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Sieg des Nerds: Jan Böhmermann wechselt ins ZDF-Hauptprogramm

Sieg des Nerds: Jan Böhmermann wechselt ins ZDF-Hauptprogramm
Foto: DPA

Schluss mit der Nische: ZDFneo-Moderator Jan Böhmermann verlässt 2020 mit seiner Show den Spartensender in Richtung Hauptprogramm. Die Lehr- und Wanderjahre sind vorbei. Muss das Kulturmagazin “aspekte” weichen?


„Wer die große ZDF-Bühne betritt, wird auf großer ZDF-Bühne verhauen“, hat Jan Böhmermann mal gesagt. „Das ist halt so. Das ist meine Jobbeschreibung.“ Er betrat dann mit seiner Show „Neo Magazin Royale“ erstmal nur die etwas kleinere Bühne des Spartensenders ZDFneo. Aber das soll sich jetzt ändern: 2020 wechselt Jan Böhmermann komplett ins ZDF-Hauptprogramm. Unter neuem Namen soll seine wöchentliche Show ab Herbst nur noch im „großen“ Fernsehen zu sehen sein. Das verkündete er laut „Spiegel Online“ vor seinen Mitarbeitern in Köln. Schluss mit der Nische.

Das letzte „Neo Magazin“ läuft im Dezember

Das letzte „Neo Magazin Royale“ soll demnach im Dezember laufen. Danach wollen er und sein Team das Konzept überarbeiten. Im Herbst 2020 soll die erneuerte Sendung zurückkehren – unter neuem Namen und nicht mehr auf ZDFneo, sondern im ZDF. Der Sender bestätigte den Wechsel. „Wir können bestätigen, dass das Magazin von Jan Böhmermann ins Hauptprogramm wechseln wird“, sagte Sprecherin Regina Henrich-Diele dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Das wird aber erst in einem Jahr der Fall sein. Wie das Format aussehen wird und wo es ausgestrahlt wird, ist noch offen.“

Böhmermann wöchentlich im Hauptprogramm. Das ist so etwas wie die späte Rache des Nerds. Seit Jahren hatte er einen festen, regelmäßigen Sendeplatz im ZDF für sich reklamiert. Zwar lief auch das „Neo Magazin Royale“ auch im ZDF, aber zu wechselnden Zeiten, sehr spät und immer nur als Echo auf die Erstausstrahlung. Es war immer eine ZDFneo-Sendung. Im Auge hat Böhmermann offenbar den bisherigen Sendeplatz des Kulturmagazins „aspekte“: freitagabends nach Oliver Welkes „heute-show“.

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„Man kann sich nicht ewig mit dem Prädikat ,Nachwuchs‘ schmücken“

„Man kann sich nicht ewig mit dem Prädikat ,Nachwuchs‘ schmücken“, sagte Böhmermann einst RND. Was treibt ihn an? „Bei mir ist schon viel dummer Idealismus im Spiel. Und eine gewisse Grundaggression und Angriffslust. Man muss offensiv sein.“ Late Nightwar immer sein Traum.

„Es gibt ja diesen Harald-Schmidt-Nimbus, die Annahme also, dass niemand eine Late-Night-Show machen kann wie Schmidt außer Schmidt“, sagte er. „Und ich glaube, das stimmt auch. Aber es kann auch niemand eine Late-Night-Show machen wie Stefan Raab außer Raab. Und keiner kann das machen, was ich mache, außer mir selbst – wie auch immer man das auch findet, was ich mache.“

Was er macht, macht er erfolgreich: Böhmermann hat 2014, 2016, 2017 und 2018 und 2019 den Grimme-Preis gewonnen. Wenn das so weitergeht, hat er bald mehr Grimme-Preise kassiert als Jopi Heesters Bambis (10). Längst ist er vom Ein-Mann-Sittenpolizisten gegen die Schlechtigkeit der Welt zum Gesellschaftskritiker gereift, der ab und zu aufpassen muss, dass der Zorn den Witz nicht überlagert. Erdogan-Affäre, Varoufakis-Stinkefinger – ein warmherziger Weltumarmer wird Böhmermann nicht mehr werden. Das ist nicht seins.

Man kann „Jugend“ nicht mehr outsourcen

Deshalb haben sie ihn in Mainz lange in der Nische geparkt. Aber sie wissen sehr genau: Aufmerksamkeit wird dem linearen Fernsehen das Überleben sichern. Und Böhmermann bedeutet: sehr viel Aufmerksamkeit. Man kann „Jugend“ nicht mehr outsourcen, nicht mal im ZDF. „Ich hätte ohne Probleme Material, um dreimal die Woche Sendung zu machen“, sagte der Mann, der 2009 noch Tänzer und „Sidekick“ in der „Harald Schmidt Show“ war, schon vor Jahren.

Rückendeckung erhält er von Oliver Welke. „Du brauchst Leute wie Schmidt oder Böhmermann, die entsprechende Bühnenerfahrung haben“, lobte der in einem Interview. Es gebe viele deutsche „Ansager“. Aber es sei etwas anderes, Menschen so zu unterhalten, „dass sie mental dranbleiben“.

„Ich bin ein unseriöser Quatschvogel“

Dem ZDF ist heftig zu gratulieren zu der Entscheidung, Böhmermannins erwachsene Fernsehen zu lassen. Es ist eine Flucht nach vorn. Sie werden die Kreativität der Jungs von der bildundtonfabrik brauchen, der Produktionsfirma um Böhmermanns Vertrauten Philipp Käßbohrer(31), die aus einer Clique von Medienstudenten hervorging und die eine quasifamiliäre Omertà, Verschworenheit, umgibt.

Die tragen während der Sendung alle schwarz, auch die Kameraleute, aus „Respekt vor dem Medium“. Manchmal wirkt es, als sei der heilige Zorn, mit dem er sich gegen Nazis, deutsche Songwriter oder das Jugendportal Bento wehrt, noch lodernder geworden. Stimmt das? „Das liegt einfach daran, dass der Wahnsinn noch größer geworden ist“, urteilte er jüngst. „Aber natürlich stehe ich wie alle unseriösen Quatschvögel auf verlorenem Posten. Und das wird so bleiben, auch wenn sich die Welt in alle möglichen Richtungen dreht. Das ist ein Job. Und den muss auch einer machen.“

Eine Art lebendes Zwinker-Smiley

Böhmermann ist der Gerhard Richter in der Kunst der Uneigentlichkeit, eine Art lebendes Zwinker-Smiley. „Es hat etwas Befreiendes, sich auf eine uneigentliche Position zurückzuziehen“, sagt er. Der Bremer, 1981 geboren, ist bisher gut gefahren mit diesem Schutzmantel. Die Schule war nicht lustig. „Ich war ein richtiger Nerd“, sagt er. „Ich hab schon als Kind alle mit meinem Performance-Zwang genervt. Diesen Beruf wählt man ja nicht. Er findet einen, das ist eine Zwangsläufigkeit. Entweder man wird Entertainer, oder man macht beruflich etwas völlig Unauffälliges und implodiert privat.“ 17 Jahre alt war er, als sein Vater, ein Polizist, an Leukämie starb.

Böhmermann schrieb für die Lokalzeitung, studierte kurz und halbherzig Medienkram in Köln und wollte dann Schauspieler werden. Aber dann fuhr er nach Hannover zu seinem vierten Vorsprechen. „Und dann standen da diese 19-Jährigen mit Säbeln an der Seite und Federn im Haar, die alle in der Theater-AG zehn Jahre auf diesen Tag hingearbeitet hatten. Ich bin dann doch nicht reingegangen.“ Für 1Live erfand er die Podolski-Parodie „Lukas’ Tagebuch“, in der er den Satz „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel!“ prägte, den schon viele Podolski zuschrieben.

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Das brachte ihm neben einer Klage mittelfristig einen Job beim großen Meister ein: In den drei „unpädagogischen, sehr lehrreichen“ Jahren bei der „Harald Schmidt Show“ wurde er zur Feuilletonvariante von Oliver Pocher – schmerzfrei und dickfellig, aber deutlich klüger, böser und lustiger.

Nun also ist er angekommen im Erwachsenenfernsehen. Sicher wird er der Alte bleiben. Es wächst einem ja nicht automatisch ein Karojackett, nur weil man jetzt ZDF-Moderator ist.

Von Imre Grimm/RND


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