Seite auswählen

Werbung

„Sex Work Is Also Work“: Prostitution – eine ganz normale Arbeit?

„Sex Work Is Also Work“: Prostitution – eine ganz normale Arbeit?
Foto: Stas Svechnikov/ Unsplash

In der Debatte um Prostitution gehen die Argumente auseinander. Einerseits wird Prostitution oft als feministische Praxis dargestellt. Die andere Seite der Debatte hinterfragt, inwiefern Sexarbeit eine „normale Arbeit“ sein kann. Über aktuelle Debatten, das nordische Modell und den Ausstieg aus der Prostitution.


Die CDU-Politikerin Dorothee Bär fragte: Wenn Prostitution eine „normale Arbeit“ ist, warum gibt es dann keine Betriebspraktika im Bordell? Ausgelöst durch diese Anfrage der CDU, fand am 23. Februar eine Bundestagsdebatte zum Thema Prostitution statt. Die CDU forderte eine allgemeine Freierstrafbarkeit, also dass der Kauf von sexuellen Dienstleistungen als Vergehen geahndet wird. Zuhälterei, die Ausbeutung von Prostituierten und Menschenhandel soll grundsätzlich strafbar sein. Die Prostituierten selbst sollen nicht kriminalisiert werden. Bär verweist auf die psychischen und physischen Auswirkungen von Prostitution und argumentiert, dass Freiwilligkeit und Konsens durch Bezahlung ausgeschlossen würden.

Wie sieht die gesetzliche Lage aus? Das aktuelle Gesetz ist aus dem Jahr 2002 und legalisiert Prostitution, wurde aber 2017 durch das Prostituiertenschutzgesetz erweitert. Es schafft gewerberechtliche Vorgaben für Prostitutionsbetriebe und stärkt die rechtliche Situation von Prostituierten. Es gibt beispielsweise eine Meldepflicht für Prostituierte, die verhindern soll, dass Prostitution unfreiwillig stattfindet. Momentan sind schätzungsweise 28.000 Prostituierten in Deutschland gemeldet. Die Dunkelziffer wird auf zwischen 90.000 und 400.000 geschätzt.

Debatte um das nordische Modell

Das nordische Modell setzt das um, was die CDU vorschlägt. Variationen des Modells existieren bereits in vielen Ländern, zum Beispiel in Schweden, Frankreich oder Kanada. Der Grundgedanke bleibt aber gleich: Prostituierte sollen entkriminalisiert und Freier und Betreiber von Bordellen kriminalisiert werden. Denn die Sexkäufer schaffen durch ihre Nachfrage überhaupt erst den Markt.

Als Gegenargument wird häufig angeführt, dass Prostitution in einem solchen Modell allerdings nicht verschwinde, sondern bloß für schlechtere Bedingungen der Prostituierten sorge. Prostitution werde dadurch weniger sichtbar. Dorothee Bär sagt dagegen, Gesetze hätten eine normative Wirkung. So solle das Kaufen von Sex gesellschaftlich geächtet werden. Aber auch Ausstiegs- und Präventionsprogramme spielen eine wichtige Rolle im nordischen Modell, denn die Öffentlichkeit soll für das Thema sensibilisiert und ein Bewusstsein für die häufig prekäre Lage der Prostituierten geschaffen werden. 

Foto: Hermes Rivera/ Unsplash

Dennoch: Die Kritik am nordischen Modell bezieht sich primär auf die Risiken, die die Prostituierten eingehen müssen. So soll es zum Beispiel keine gesetzestreuen Kunden mehr geben, was das Gewaltrisiko erhöhe. NoNordicModell schreibt dazu: „Es gibt selbstbestimmte, einvernehmliche Sexarbeit.“

Gibt es freiwillige Prostitution?

Ramirez Vega, stellvertretende Geschäftsführerin des Vereins „Frauenrecht ist Menschenrecht“, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, dass die wenigsten Frauen aus freier Wahl und ohne äußere Zwänge in der Prostitution arbeiten. Denn auch Armut oder emotionale Abhängigkeit seien Zwänge. Freiwilligkeit würde voraussetzen, dass es einem Spaß mache und man trotz der Risiken in dem Bereich arbeiten möchte – also ohne durch Geld oder Ähnliches getrieben. Mehrere Polizisten schätzen den Anteil derer, die sich aufgrund diverser Zwänge prostituieren, auf 90 bis 95 Prozent. Die Antwort auf die Frage lautet demnach: Prostitution findet in den seltensten Fällen freiwillig statt.

Die Folgen von Prostitution

Prostitution zieht physische und psychische Probleme nach sich. Ingeborg Kraus, eine Psychotherapeutin, behandelt Prostituierte und Soldaten und stellte fest, dass Prostitution genauso traumatisch sein kann wie die Erlebnisse von Soldaten im Bosnienkrieg. Denn um ungewollte körperliche Nähe zu ertragen, muss die Person dissoziieren, den eigenen Körper verlassen. Dafür werden alle Sinne abgeschaltet, Empfindungen gibt es nicht mehr.

Außerdem sind Prostituierte oftmals Gewalt ausgesetzt. 50 Prozent der Prostituierten gaben in einer Studie des BMFSFJ an, dass sie schon mal Opfer einer Gewalttat durch Sexkäufer, Zuhälter oder Bordellbesitzer gewesen seien. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 30 bis 70 Prozent der Prostituierten ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht nicht ausleben können, wie die Zeit berichtet. Somit fällt der Konsens bei sexuellen Handlungen weg.

Etwa drei Viertel aller Frauen in der Prostitution müssen mehr als die Hälfte ihres Einkommens an Dritte abgeben, und sind somit Opfer der Zuhälterei, wie die TAMPEP-Studie berichtet. Prostituierte leiden mehr als doppelt so häufig an chronischen körperlichen und psychischen Problemen wie die weibliche Durchschnittsbevölkerung, wie das BMFSFJ bestätigt. Auch hier stellt sich die Frage, welche Person sich diesen Konsequenzen freiwillig aussetzen möchte.

Die Problematik hinter Onlyfans

Auch Onlyfans kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Viele Frauen verkaufen intime Inhalte auf Online-Plattformen. Aber auch hier kann Zuhälterei ein Problem werden. Mehrere Frauen berichten gegenüber Business Insider von Managements und Freunden, die einen Großteil ihres Geldes nahmen.

Hier greifen ebenfalls die psychische Belastung von Prostitution, denn viele der Frauen fühlen sich unter Druck gesetzt, immer mehr von sich zu zeigen. Sie erhalten erniedrigende Nachrichten, ihre Abonnenten sehen sie als Objekt. Sie werden entmenschlicht und sexualisiert, wie eine Creatorin gegenüber Business Insider erzählt. Es greift also das gleiche Prinzip wie auch in der Prostitution: Das Selbstwertgefühl sinkt, und es kommt zu Dissoziation.

Foto: Sydney Sims/ Unsplash

Ehemalige Prostituierte im Interview

Jara Anouk hat mit MADS über ihre Vergangenheit als Prostituierte gesprochen. Sie engagiert sich im Netzwerk Ella.

Das Netzwerk Ella solidarisiert sich mit Frauen, die in der Prostitution waren oder sind und distanziert sich ganz klar von jedem, der von der Prostitution Dritter profitiert. Das Netzwerk Ella bezieht die Stellung, dass Prostitution sexuelle Gewalt ist und jene zur Verantwortung gezogen werden müssen, die diese Gewalt ausüben.

Jara lernte ihren Zuhälter durch die „Loverboy“-Masche kennen. 2018 schaffte sie es, auszusteigen. Davor entwickelte Jara eine Essstörung und nahm häufiger Drogen. Sie sagt, ohne Drogen hätte sie das Ganze nicht ertragen können. „Ich konnte da eigentlich schon gar keinen Freier mehr annehmen. Ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch leben will“, sagt sie. Sie erzählt, dass sie sich an ihre Mutter gewandt hat. Diese half ihr zu fliehen, obwohl sie davor keinen Kontakt hatten. Dieses Glück haben die wenigsten, denn die meisten Prostituierten entfremden sich stark von ihrer Familie.

Beim Ausstieg sind unter anderem die Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie die Angst vor Abschiebung große Probleme, so Jara. Schließlich benötige man Geld, um ein Leben bestreiten zu können. Auch die Stigmatisierung sei noch ein großes Problem. Denn das alte Leben muss meistens für ein Neues komplett verschwiegen werden. Gerade um den Ausstieg zu vereinfachen, müsse sich daher sich noch einiges in den Köpfen der Menschen ändern.

„Prostitution ist kein normaler Job“

Jara Anouk befürwortet ebenfalls das nordische Modell. Auch sie stimmt Dorothee Bär zu: Prostitution sei kein normaler Job. In der Prostitution werde gerade durch die jetzige Legislation verschleiert, was an Gewalt und Machtmissbrauch passiere. Durch die heutige Gesetzgebung werden „Tür und Tor für Menschenhändler und Zuhälter geöffnet, durch die hohe Nachfrage, die auch einen großen Markt nach sich ziehen muss“, sagt Jara. Dadurch wirkt Prostitution wie eine ganz normale Dienstleistung, die sie aber keinesfalls ist. Jara sagt, sie kenne keine Frau, die das wirklich freiwillig mache. „Ich habe meine Freier auch immer angelächelt und du täuschst natürlich Spaß vor, aber die Freier können nie wissen, ob die Frau das freiwillig macht“, ergänzt sie.

Auch Jara hat schon körperliche Gewalt von ihren Freiern und von ihrem Zuhälter erfahren. Ihre Zeit als Prostituierte belastet sie bis heute. „Ich habe immer noch Flashbacks bei bestimmten Gerüchen oder bestimmten Fahrzeugen“, sagt sie. Es falle ihr auch schwer, neue Leute kennenzulernen. Sie stehe dann immer vor der Entscheidung, Menschen von ihrer Vergangenheit zu erzählen und sich so Stigmatisierung auszusetzen.

Wie und ob sich die gesetzliche Lage in Deutschland verändern wird, ist jetzt bisher nicht absehbar. Die Forderung nach dem nordischen Modell wird aber auch in Deutschland immer lauter.

Von Olivia Bodensiek


Lies auch:


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

Poste einen Kommentar:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert