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Sex-Podcasts sind im Trend: „Ein bisschen emotional mitnaschen“

Sex-Podcasts sind im Trend: „Ein bisschen emotional mitnaschen“
Foto:  Jörg Carstensen/dpa

Sex in Zeiten des Internets: In Podcasts reden Menschen offen über ihr Sex- und Gefühlsleben. Selbst echten Sitzungen aus Paartherapien kann man zuhören. Was macht diese Offenheit mit uns?

Wie lange dauert der perfekte Sex? Und wann ist die beste Tageszeit dafür? Warum gehen wir fremd – und warum finden Männer One-Night-Stands toll? Fragen, die man peinlich, klischeehaft oder interessant finden kann, sind bei den Podcasts „Beste Freundinnen“und „Besser als Sex“ Titel einzelner Folgen.

In den Gesprächsreihen reden in einem Fall zwei Männer und im anderen zwei Frauen über alles, was ihnen zum Thema Liebe und Sex einfällt. Aus den USA wiederum kommt ein Podcast, der Einblick in echte Paartherapie-Stunden gibt. Reden wir mehr über Intimstes als früher? Und was macht das mit uns?

Nichts für schwache Nerven

Eine Frau findet über eine Chlamydien-Infektion heraus, dass ihr Mann sie betrogen hat, sie liebt ihn noch, er sie auch, sie muss weinen, er auch. Der Podcast „Where should we begin?“ ist nichts für schwache Nerven, auch, weil die Dramen, die sich dort abspielen, nach Angaben der Macher echt sind. Namen fallen nicht, auch Details, die identifizierbar machen, fallen raus, der Rest sei wahr. Zu hören sind Paartherapie-Sitzungen mit der Psychotherapeutin Esther Perel, die über diesen Fall sagte: „Wir lernen nicht aus den Dingen, die gut gelaufen sind, nur aus den schlechten.“

Die Fragestellungen sind so intim wie universell: Was, wenn Sex dem einen Partner wichtig ist und dem anderen nicht? Was, wenn der eine ein Kind will, und der andere nicht? Der Ton ist ernst, die Geschichten sind emotional. Derber und selbstironischer, aber genau so echt geht es bei „Besser als Sex“ zu: Ines Anioli und Leila Lowfire reden über Genitalherpes, Probleme beim Analsex oder darüber, warum sie es nicht immer mögen, wie Männer ihre Brüste anfassen. Max und Jakob aus Berlin dagegen fragen sich im Podcast „Beste Freundinnen“, warum sich Frauen beim Sex schneller verlieben oder zu laut stöhnen.

„Kann ich nicht sagen, muss ich nackt sehen“

„Where Should We Begin“ ist in die dritte Staffel gegangen, „Besser als Sex“ und „Beste Freundinnen“ stehen in den Podcast-Charts nach Sendungen gelistet unter den Top 25, einzelne Folgen in den Top 10. Zu beiden Formaten gab und gibt es Live-Touren, aus den „Besten Freundinnen“, die 2015 starteten, gingen zwei Bücher hervor – das neuere heißt „Kann ich nicht sagen, muss ich nackt sehen – Was Männer über Beziehung, Sex und Liebe denken“. Wieso das Interesse?

„Wir alle sind auch voyeuristische und exhibitionische Wesen“, sagt die Sexualtherapeutin Sandra Gathmann. „Wir hören gerne Fremden beim Erzählen von sexuellen Eskapaden zu, weil wir uns dann damit beschäftigen können: Wo stehe ich? Würde ich auch? Würde ich nicht?“ Es gehe um ein Ausloten in der Fantasie, auch wenn man wisse, dass bestimmte Dinge gar nichts für einen seien. „Aber ein bisschen emotional mitnaschen möchte ich.“

Jakob von „Beste Freundinnen“, der wie Max anonym bleiben will, sagt: „Ich glaube, es ist ein Grundbedürfnis von Menschen, sich mit anderen Menschen zu verbinden. In physischer Form und gedanklich.“ Dieses Bedürfnis bediene ihr Podcast, weil beide nahbar seien. Tatsächlich eckt der manchmal chauvinistische Ton der beiden an. Etwas zurücknehmen wollen sie aber nicht. Ihr Anspruch sei es, zu reden, wie Männer eben redeten. Jakob: „Klar wird es da Reibungspunkte geben, aber wenn es die nicht gäbe, wäre der Podcasttendenziell auch eher uninteressant.“

Sex ist im Netz omnipräsent

Laut Gathmann treffen Sex-Podcasts den Nerv der Zeit. Zum Einen sehnten sich die Menschen nach Kontakt und Echtheit – und Podcastsermöglichten einen intimen Rahmen, wie ein Gespräch unter Freunden. Außerdem gehe es darum, sich Stimuli zu holen, ohne dass es tatsächlich zum Körperlichen kommen müsse. „Heute sind wir weniger sexuell getrieben, als dass wir mehr Lustsucher geworden sind.“

Und auch in der Sexualität gebe es einen Trend zur Selbstoptimierung. „Wir verstehen Sexualität weniger als Trieb denn als Ressource, die gestaltet werden soll.“ Sex-Podcasts seien unterhaltsam, lieferten aber auch Infos, von denen Menschen hofften, nicht nur ihren Sex, sondern auch sich selbst zu verbessern.

Sex und alles drum herum ist im Netz omnipräsent. In Foren kann man sich austauschen. Auf Lifestyle-Blogs finden sich Artikel wie „11 erotische Filme, die sich perfekt zum Masturbieren eignen“. Bei Twitterwünscht die bekannte US-Sexualtherapeutin Ruth Westheimer Pärchen bei schlechtem Wetter Spaß unter der Bettdecke. Was macht das mit uns? Gibt es noch Scham?

Informierter, aber auch verwirrter

„Viele Menschen sind einerseits informierter, andererseits sind sie gerade durch diese Flut und Inputs verunsicherter und verwirrter“, sagt Gathmann. „Wir haben heute eine aufgeräumte Ernüchterung, wo Schamgrenzen scheinbar sinken, aber das erlebe ich eher öffentlich als beim Einzelnen.“ Ohne Scham funktioniere sexuelle Erregung nicht. „Es ist gut, dass wir die Scham haben. Ohne Scham wäre Sex eine unglaublich langweilige Sache.“

Jakob von den „Besten Freundinnen“ meint: „Ich glaube, heutzutage wissen die Leute auf einer Wissensebene mehr, aber nicht unbedingt auf einer emotionalen Ebene.“ Vieles wisse man erst, wenn man es erlebt habe. Darüber zu reden, sei nicht alles, aber es helfe. Ängste und Zweifel gehören auch in ihre Gesprächsreihe. Sie wollen zeigen, dass nicht alles im Leben glänzt. Max: „Das Leben ist matt.“

Von RND/dpa


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