Schulen nach Corona: Lernrückstände noch nicht aufgearbeitet
Das aktuelle „Deutsche Schulbarometer“ zeigt die größten Probleme in Deutschlands Schulen. Ganz weit vorn mit dabei: das Thema Lernrückstände. Die Schulen haben die Folgen der Pandemie noch nicht überstanden, meint MADS-Autorin Chiara.
Anfang Februar ist eine der letzten großen Corona-Maßnahmen gefallen – die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch während die Pandemie spätestens jetzt überwunden scheint, sind die Folgen an Schulen noch deutlich zu spüren. Neben Personalmangel sind nämlich Lernrückstände und unzureichende Kapazitäten für Sprachförderung die zurzeit größten Sorgenkinder. Zu diesem Schluss kam das neue „Deutsche Schulbarometer“, eine repräsentative Umfrage der Robert Bosch Stiftung zur aktuellen Situation in Deutschlands Schulen. Über Lehrermangel wird schon seit längerer Zeit geklagt, und auch die Probleme zur Sprachförderung von beispielsweise ukrainischen Schülerinnen und Schülern überraschen wenig. Dass aber die coronabedingten Lernrückstände trotz Bundeshilfen offenbar nicht annähernd aufgearbeitet werden konnten, ist beunruhigend.
Die vergessene „vergessene Generation“
Die „vergessene Generation“ während der Corona-Pandemie wurde offenbar ein weiteres Mal vergessen. Eigentlich herrscht in deutschen Schulen ja wieder Normalbetrieb, oder? Es findet Präsenzunterricht statt, Klausuren werden geschrieben, Ausflüge sind wieder möglich. Über die massiven Lernrückstände, die auch drei Jahre nach Beginn der Pandemie nicht aufgearbeitet werden konnten, spricht kaum jemand mehr. Dass die junge Generation schnell vergessen wird, hat bereits die Vergangenheit bewiesen. Umso wichtiger ist es daher, die aktuellen Sorgen deutscher Schulleiterinnen und -leiter ernst zu nehmen.
In der repräsentativen Umfrage für das „Deutsche Schulbarometer“, im Auftrag der Robert Bosch Stiftung durch das Meinungsinstitut forsa erhoben, schätzen die 1055 befragten Schulleitungen, mehr als ein Drittel ihrer Schülerinnen und Schüler hänge derzeit mit dem Lernstoff zurück. An sogenannten Brennpunktschulen seien es sogar fast zwei Drittel. Welche gravierenden Folgen Lernrückstände haben können, machte der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer bereits 2021 in einem Beitrag des „Deutschlandfunks“ deutlich: „Wenn wir hier die Augen zumachen und darauf hoffen, das regelt sich von selber, dann gefährden wir nicht nur die Wirtschaftskraft Deutschlands, sondern auch die Demokratie Deutschlands.“ Das Bildungsniveau beeinflusse das wirtschaftliche wie politische System eines Landes unmittelbar. Das zeigt die Tragweite, die ein jetziges Vernachlässigen der bestehenden Lernrückstände in deutschen Schulen haben könnte.
Kritik am Corona-Aufholprogramm des Bundes
Das Mitte 2021 beschlossene Aufholprogramm der Bundesregierung in Höhe von 2 Milliarden Euro konnte seinen Zweck demnach nicht erfüllen. Für 68 Prozent der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter habe die Aufarbeitung fehlenden Unterrichts nicht den erhofften Effekt erzielt. 70 Prozent der Befragten fordern weitere Fördermittel. Die ersten Berichte und Analysen zum Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ unterstreichen die gravierende Lage, in der sich die Schülerinnen und Schüler weiterhin befinden. Schuld daran trägt wohl vor allem die Art, wie die bisherigen Fördermittel verteilt wurden. Das sogenannte Gießkannenprinzip (alle erhalten gleich viel) erscheint im Nachhinein wenig sinnvoll, wenn die Lernrückstände nicht an allen Schulen gleich ausgeprägt sind. Eine bedarfsgerechte Verteilung wäre angebracht gewesen.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte genau das tatsächlich in ihren Empfehlungen zur Umsetzung des Corona-Aufholprogramms im Juni 2022 gefordert: Eine Verteilung nach dem Prinzip „Ungleiches ungleich zu behandeln“. Die Autoren erklärten damals: „Wer kontinuierlich, in überschaubarem Umfang fördert, kann gezielter, schneller, individueller und motivierender auf Lernschwierigkeiten reagieren.“ Kurz gesagt: Mithilfe einer bedarfsgerechten Verteilung hätten die Fördermittel wahrscheinlich eine größere und insbesondere langfristigere Wirkung zeigen können.
Kinder und Jugendliche brauchen jetzt Unterstützung
Kinder und Jugendliche, die besonders unter den Lernrückständen leiden, brauchen also jetzt gezielte Förderung. Sollten die Rückstände nämlich nicht aufgeholt werden können, wäre nicht nur die gesamte Gesellschaft später betroffen – die ohnehin bereits verstärkten psychosozialen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen könnten so noch weiter zunehmen. Bei den Kultusministerinnen und -ministern der Länder war bereits im Juni 2022 die Forderung nach zusätzlich mindestens 500 Millionen Euro laut geworden. Bisher hat sich in dieser Hinsicht noch nichts auf Bundesebene getan. Die Ergebnisse des „Deutschen Schulbarometers“ verdeutlichen nun: Der Handlungsbedarf besteht. Schülerinnen und Schüler sollten endlich zu einer Priorität der Politik werden.
Von Chiara Heims
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