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Rezo-Video: Die CDU verscherzt es sich mit der Jugend

Rezo-Video: Die CDU verscherzt es sich mit der Jugend
Foto: Rezo/YouTube / Mohssen Assanimoghaddam/dpa (Collage)

Ein YouTube-Star kritisiert die CDU und löst eine bundesweite Debatte aus, in der es erstaunlich oft um blaue Haare geht. Was der Fall Rezo zeigt, ist wie groß die Kluft zwischen Jung und Alt in der Digitalisierung ist– und wie arrogant die CDU mit jungen Wählern umgeht, meint Mads-Autor Joss.


Wenn YouTube-Star Rezo das Wort „Zerstörung“ benutzt, gefällt das der CDU gar nicht. Generalsekretär Paul Ziemiak meint etwa: „Wir zerstören einander nicht, sondern wir hören einander zu, wir reden miteinander, wir finden gemeinsame Lösungen.“ Auch CDU-Jungpolitiker Philipp Amthor findet, dass „Zerstörung nicht der Stil der CDU“ sei. Pikiert bewegen die beiden Unionsvertreter dieses Wort in ihrem Mund herum, das von ihrem Gegenüber Rezo so locker in die Welt hinausposaunt wurde.

„Die Zerstörung der CDU“ hat Rezo sein Video mit den mehr als fünf Millionen Klicks genannt. Was den konservativen Politikern nicht bewusst zu sein scheint, ist, dass es sich bei dem Namen um den Slang einer Welt handelt, mit dem sie einfach nicht vertraut sind. „Zerstörungsvideos“ nennt man YouTube-Videos, in denen ein Kontrahent mit Worten – nun, ja – zerstört wird. Und genau das tut Rezo dann in seinem Video auch. In 55 Minuten spricht er argumentativ über soziale Ungleichheit, Klimawandel, Krieg und die Urheberrechtsreform – und kritisiert die CDU/CSU in ihrem Umgang mit diesen Themen. Am Ende ruft er seine Zuschauer auf, weder die CDU/CSU noch SPD oder AfD zu wählen.

Seitdem das Video am vergangenen Samstag online gegangen ist, hat es 5,3 Millionen Klicks verzeichnet und eine überragend positive Resonanz erfahren – allerdings nur wenn man von den Kommentaren und dem Like/Dislike-Verhältnis auf YouTube spricht. Anders sieht es aus, wenn man sich die Reaktionen etablierter Politiker anschaut.

Beißreflex von der CDU

So zeigten viele Vertreter der CDU vor allem einen erschreckenden Beißreflex, der sich nicht inhaltlich mit dem Video befasste, sondern vor allem seiner Diskreditierung diente. So wurde etwa von „verkürzten Argumenten“ gesprochen – ohne, dass man diese zunächst klar benennen wollte. Es war die Rede davon, dass Rezo sich populistischer Klischees bediente – während die Konservativen selbst von „Clickbaiting“, „Fake News“ und anderen populistischen Digital-Kampfbegriffen Gebrauch machten. Qualitätsjournalismus sehe ohnehin anders aus – dabei ist Rezo doch gar kein Journalist. Und warum wird immer wieder über seine blauen Haare gelästert?

Oft setzt sich die Kritik an Rezo und dem Video nicht inhaltlich mit dem Thema auseinander. Und das, obwohl Rezo selbst eine äußerst umfangreiche Liste mit Quellenangaben vorlegt. Immerhin: Am Donnerstag veröffentlichte die CDU schließlich eine Pressemitteilung unter dem Titel „Offene Antwort an Rezo: Wie wir die Sache sehen“. Nach einer platitüdenüberladenen Einleitung folgt ein Wechselspiel aus eingeworfenen Gegenargumenten und Verlinkungen auf Studien und Statistiken. Inhaltlich mag man davon halten, was man will – die Chancen, dass eine Zielgruppe aus YouTube-Fans sich ein zehnseitiges, offenbar hektisch zusammengewürfeltes pdf-Dokument durchliest, sind vermutlich eher gering.

„Rumdaddeln“ und Arroganz

Der Fall Rezo zeigt die Zuspitzung einer größeren Problematik: Die ältere Generation verliert den Bezug zur jüngeren – nicht zuletzt durch die fortschreitende Digitalisierung.

Zwischen den Zeilen der verärgerten Konservativen leben die Vorurteile über eine Jugend, die vermeintlich nur noch auf ihre Handys starrt, Videos guckt, „rumdaddelt“ und verdummt. Auf der anderen Seite stehen Ältere, die auch im Jahr 2019 oftmals noch ratlos auf die Digitalisierung blicken und nicht wissen, wie sie die Jungen erreichen. Mit herabblickender Arroganz wird das aber auch nichts.

Die Schüler von heute informieren sich nicht in Zeitungen oder Parteiprogrammen, sondern dort, wo ein großer Teil ihres täglichen Lebens stattfindet: im Digitalen. Allein Rezo hat auf seinem Hauptkanal mehr als 1,5 Millionen Abonnenten – und hat damit ein größeres Publikum als etwa die meisten deutschen Tageszeitungen. Eine solche Stimme einfach diskreditieren zu wollen, statt den offenen Dialog zu ermutigen, ist dumm. Erst recht, wenn das Video beim Zielpublikum überragend positive Reaktionen hervorruft.

Doch scheint die Kluft zwischen den Seiten so groß zu sein, dass eine gemeinsame Kommunikationsebene kaum noch vorhanden ist. Und dass, obwohl die Vertreter der CDU selbst gerade einmal Mitte 20 (Philipp Amthor) und Anfang 30 (Paul Ziemiak) sind. Ein zunächst angekündigtes Antwortvideo der CDU mit Amthor wurde kurz vor seiner Veröffentlichung doch wieder abgesagt. Als Begründung sagte man, es solle keine „Videoschlacht“ geben, sondern man müsse sich jetzt an einen Tisch setzen und sich unterhalten. So ist der Tenor, den Amthor und Ziemiak am Donnerstag vor laufenden Kameras und auf Twitter hören lassen.

Hat die Union Angst vor Rezo und YouTube?

Damit kneift die CDU und begibt sich nicht auf fremdes Gebiet, also YouTube. Schließlich hat sich das Publikum dort der Partei gegenüber bislang nicht so freundlich gezeigt. Wirft man einen Blick auf den Kanal „CDUtv“ , sieht man Videos mit niedrigen Klickzahlen und mehr Dislikes als Likes. Rezo erntet dagegen regelmäßig Zahlen im Millionenbereich und ist unter seinen Zuschauern sehr beliebt. Man muss kein Social-Media-Experte sein, um zu realisieren, dass ein Antwortvideo der CDU wahrscheinlich nicht gut ankomme.

Stattdessen setzt man also lieber auf eine persönliche Einladung zum analogen Treffen – ob die Zielgruppe mittels digitaler Öffentlichkeit auch mit am Tisch sitzen darf, beantwortet die Einladung der beiden Politiker nicht. Für die CDU dürfte das eine Lose-Lose-Entscheidung sein: Entweder sie kuscht vor der jungen Öffentlichkeit oder sie stellt sich der Ablehnung. Beides ist nicht gerade verlockend. So oder so: Im Fall Rezo demonstriert die Union eine überhebliche Arroganz gegenüber ihren jungen Kritikern und ein mangelndes Verständnis ihrer Lebensrealität. Das allein könnte schon genügen, um sie gänzlich zu vergraulen – egal, ob die CDU nun gute Gegenargumente hat oder nicht.

Von Joss Doebler


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

1 Kommentar

  1. Grebin

    Solch einen offenen Beitrag, der mit Fakten die politischen Führungsparteien und deren Politik entlarvt, habe ich bisher in den Medien
    Deutschlands nocht nicht erlebt. Ich bin gespannt, wie sich die Medienwelt auf diesen, mir vorher nicht bekannten Journalisten stürzt.

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