Prüfungen im Kinderzimmer: Wie Pauline (19) trotz ME/CFS Abi gemacht hat
Pauline leidet seit mehr als zwei Jahren an der chronischen Krankheit Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS. Betroffene haben dabei mit konstanter körperlicher Schwäche zu kämpfen. Im Interview erklärt sie, wie sie sich mit der Krankheit auf ihre Abiturprüfungen vorbereitet hat – und wie es jetzt weitergeht.
Im Jahr 2023 haben im Bundesland Bayern rund 35.000 Schülerinnen und Schüler Abiturprüfungen abgelegt. Eine davon ist Pauline B. (19). Ihre Prüfungen liefen jedoch anders ab, als die ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler – denn Pauline ist an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS, erkrankt. Dabei verspüren Betroffene konstante körperliche Schwäche, die sich oft schon bei kleineren geistigen und physischen Aktivitäten verstärkt. In einem Gespräch mit MADS hat die damals 18-Jährige im vergangenen Jahr von ihrem Leben mit der Krankheit erzählt und über ihre Zukunftswünsche gesprochen. Dazu gehörte auch, 2023 ihr Abitur nachzuholen. Im Interview erzählt Pauline nun, wie das gelaufen ist.
Hi Pauline, wie geht es dir aktuell?
Ganz okay, würde ich sagen. Es ist jetzt nicht überragend, und ich würde auch nicht von gut sprechen. Aber ich konnte mich in den letzten Monaten gut vom Abistress erholen. Nach den Prüfungen habe ich natürlich gemerkt, was ich meinem Körper da abverlangt habe, und ich musste es erst mal sehr ruhig angehen lassen. Ich habe die meiste Zeit eher auf dem Sofa und im Bett verbracht. Seit Kurzem machen wir aber ab und zu wieder kleinere Ausflüge, und ich kann meinem Körper wieder ein bisschen mehr abverlangen. Dementsprechend würde ich sagen, dass es mir jetzt gerade nicht so schlecht geht, wie es schon mal war.
Wie macht sich deine Krankheit derzeit bemerkbar?
Ich kämpfe nach wie vor dauerhaft mit Gliederschmerzen, Kopfschmerzen und auch immer noch mit meinem Kreislauf. Der Sommer war zwar ganz schön, aber eben nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Und wenn etwas zu viel war, dann habe ich das spätestens den Tag drauf gespürt, und dann war auch wirklich die nächsten zwei, drei Tage Schicht im Schacht. Aber da ich aktuell wenig Belastung habe – ich habe gerade keine Schule und keine anderweitigen Termine, die mich stressen -, kann ich relativ gut haushalten mit der Energie, die mir zur Verfügung steht.
Du hast in diesem Jahr dein Abi nachgeholt, wie sind deine Vorbereitungen gelaufen?
Ich habe mir im Vorhinein für jedes meiner Prüfungsfächer einen Plan erstellt. Die Themen, die für die Prüfung wichtig waren, habe ich immer wieder wiederholt und mir, eigentlich wie üblich, alte Abi-Aufgaben angesehen. Aber ich würde sagen, dass ich prinzipiell nicht alles auf einmal kurz vor den Prüfungen gelernt habe, sondern immer wieder in kleinen Päckchen, denn lange Lerneinheiten von mehreren Stunden gibt mein Körper ohnehin aufgrund der Erkrankung nicht her. Durch dieses Einteilen konnte ich mir sehr viel Stress sparen und habe meinen Körper nicht zu sehr belastet.
Das ist ME/CFS
Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Weltweit sind laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS etwa 17 Millionen Menschen betroffen. In Deutschland wurde die Zahl der Erkrankten vor der Corona-Pandemie auf etwa 250.000 geschätzt, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein.
Laut einer Studie der Aalborg Universität aus dem Jahr 2015 ist die Lebensqualität von ME/CFS-Erkrankten im Durchschnitt niedriger als die von Multiple Sklerose-, Schlaganfall- oder Lungenkrebserkrankten. Ein Viertel aller Patientinnen und Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Schätzungsweise mehr als 60 Prozent sind arbeitsunfähig.
Häufig beginnt ME/CFS nach einer Infektionskrankheit. In der Pandemie zeigte sich, dass eine Subgruppe der Long-Covid-Betroffenen ME/CFS entwickelt. Daher werde mit einer deutlichen Zunahme ME/CFS-Erkrankter gerechnet, teilt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS mit.
Wie liefen denn die Prüfungen an sich ab?
Alle Prüfungen fanden bei mir zu Hause statt. Zum Prüfungsbeginn kam jeweils eine Lehrkraft und hat mir die Prüfungsmaterialien gegeben. Ich saß in meinem Zimmer an meinem Schreibtisch, und etwas entfernt saß die Aufsicht und hat kontrolliert, dass ich nicht irgendwo abschreibe oder mir sonstige Informationen herhole. Es war geregelt, dass ich während der Prüfung Pausen machen durfte. Also wenn mein Körper nicht mehr konnte, durfte ich das Blatt abgeben und mich hinlegen. Das habe ich tatsächlich auch ein paar Mal wirklich gebraucht. Wenn ich mich dann zumindest ein bisschen erholt hatte, habe ich die Materialien wiedergekriegt und durfte da weiterarbeiten, wo ich aufgehört habe. Wenn ich nicht mehr konnte, habe ich die Prüfung abgegeben, so weit ich eben gekommen bin. Und bin dann auch recht schnell aufs Sofa gefallen. Also die Prüfungswochen kann man sich schon so vorstellen, dass ich für die Prüfung auf den Beinen war und sonst eher im Bett lag, um einfach alles Mögliche an Anstrengung zu sparen. Bei den mündlichen Prüfungen war es genauso – mit dem Unterschied, dass die Prüfungsdauer kürzer war und ich kaum etwas schreiben musste.
Bist du mit bestimmten Zielen oder Vorstellungen in die Prüfungen gegangen?
Der größte Wunsch war, dass ich alle fünf Prüfungen gesundheitlich schaffe und nicht in die Nachprüfung muss. Das ist mir zum Glück gelungen. Da war ich sehr stolz auf meinen Körper, weil ich gemerkt habe: Okay, es ist zwar anstrengend, es verlangt mir sehr viel ab, aber am Ende des Tages habe ich es geschafft und bin parallel zu allen anderen fertig geworden. Und klar, ich bin ehrgeizig und wollte natürlich auch sehr gute bis gute Leistungen erzielen. Insgesamt ist mir auch das gelungen. Also ich bin sehr zufrieden mit der körperlichen Leistung, aber auch mit meinem Ergebnis.
Wie hast du die Zeit seit dem Abitur verbracht?
Nach dem anfänglichen Crash, der auf die Prüfungen gefolgt ist, habe ich ein kleines Buch geschrieben. Darin geht es um ME/CFS, und das Schicksal von Betroffenen. Das ist von der Realität inspiriert, aber anonymisiert. Das war so mein kleines Projekt nach dem Abitur und hilft hoffentlich ein bisschen, auf das Thema aufmerksam zu machen.
Hast du schon Pläne für die weitere Zukunft?
Klar! Ich möchte auf jeden Fall studieren. Wann das geht, weiß ich noch nicht. Da muss ich einfach in meinen Körper reinhören. Aber das mache ich auf alle Fälle, ich habe eigentlich mein ganzes Schulleben darauf gewartet, bis ich endlich studieren darf. Ich möchte sicherlich auch noch ein bisschen was von der Welt sehen, aber mein Körper schafft aktuell keine großen Reisen. Vielleicht komme ich ja in Deutschland oder vielleicht sogar Europa ein bisschen herum. Da mache ich jetzt meinem Körper keinen großen Stress. Und insgesamt hoffe ich natürlich – und das betrifft jetzt gar nicht so sehr mich, sondern insgesamt uns ME/CFS-Betroffene -, dass die momentane Aufmerksamkeit nicht nur von temporärer Natur ist, weil wir einfach weiterhin Unterstützung und Forschung brauchen. Und da wünsche ich mir, dass das Interesse der Öffentlichkeit bleibt.
Hat sich denn seit dem letzten Interview schon etwas getan bei der Behandlung von ME/CFS?
Mit Behandlungsmöglichkeiten sieht es aktuell relativ mau aus. Insgesamt geht die Forschung aber weiter – auch von der Bundesregierung fließt Geld in die Forschung. Aber ich mache mir jetzt gerade nicht so viele Hoffnungen, weil ich einfach glaube, dass wir noch relativ weit am Anfang sind.
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