Männertag und Movember: Warum der November nur bedingt als Monat der Männer funktioniert
Der November ist Männermonat: Tatsächlich fallen der Weltmännertag, der internationale Männertag und die Movember-Challenge alle in denselben Monat. Aber warum sind die Aktionstage so unbekannt? Und warum gibt es mehr als einen? Der Versuch einer Aufklärung.
Am 3. November wäre Weltmännertag gewesen – hätte sich der Autor Georg Kindel mit seiner Idee durchgesetzt. Er forderte einen Tag zur Erweiterung des männlichen Gesundheitsbewusstseins und zur kritischen Selbstreflexion von Männern und deren Rolle in der Gesellschaft. Gemeinsam mit den Vereinten Nationen in Wien und der Gorbatschow-Stiftung rief er 2000 einen Aktionstag ins Leben. Michail Gorbatschow selbst übernahm die Schirmherrschaft.
Gefeiert wurde der Tag mit den World Awards – einer Gala, auf der Männer für ihre Vorbildfunktion geehrt wurden. 2004 widmete Kindel den Award plötzlich um und ehrte auch Frauen. Während die Ehrung der Männer kurz darauf eingestellt wurde, existierte der Women’s World Award noch bis 2009. Mit ihm verschwand auch der wohl eher kommerziell orientierte Weltmännertag – außerhalb der deutschsprachigen Länder hatte er sich ohnehin nicht etablieren können. Auch die UN und die Gorbatschow-Stiftung verfolgten das Projekt nicht weiter.
Männer sterben früher
Der Weltfrauentag am 8. März wird international bereits seit 1911 gefeiert. Auch wenn seitdem bereits Meilensteine erreicht wurden, verfolgt der politische Kampftag heute im wesentlichen noch dasselbe Ziel wie damals: Gleichberechtigung. Geht es Männern international einfach so gut, dass sie keinen eigenen Tag benötigen?
Betrachtet man gesellschaftliche Machtverhältnisse, ist die These naheliegend. Doch beim Thema Gesundheit sieht es ganz anders aus. Die generelle Lebenserwartung von Männern liegt in Deutschland mit 78,3 Jahren deutlich unter der der Frauen (83,2 Jahre) – in anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Auch von Suiziden sind Männer weltweit überproportional häufig betroffen. In Deutschland ist der Unterschied besonders gravierend, denn 75 Prozent aller Suizide werden von Männern begangen.
Als maßgeblich verantwortlich für diese Zahlen gelten starre Geschlechterrollen. Eng verbunden mit dem gesellschaftlichen Stereotyp von Männlichkeit sind laut WHO risikoreiches Verhalten, Rauchen, Alkoholkonsum und Gewalttätigkeit. Außerdem gehen Männer laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seltener zum Arzt, was (rechtzeitige) medizinische Diagnosen unwahrscheinlicher macht. Wenn Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten zustande kämen, versuchten Männer zudem häufiger, ihre psychologischen Symptome zu verstecken, und besprächen eher körperliche Symptome.
So kommt es, dass trotz der eklatanten Unterschiede bei Selbsttötungen, Frauen etwa doppelt so häufig die Diagnose Depressionen erhalten wie Männer. Aber nicht nur das eigene Verhalten wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Auch Behandelnde tendieren laut BZgA dazu, bei Männern nach körperlichen Ursachen für ihr Leid zu suchen und mentale Gründe seltener in Betracht zu ziehen als bei Frauen. Alles in allem nutzt das Patriarchat Männern also nicht nur, es schadet ihnen auch – insbesondere gesundheitlich.
Bessere Gesundheit – aber wie?
Eine der größten internationalen Kampagnen, die sich der Verbesserung männlicher Gesundheit verpflichtet hat, ist der Movember. Seit 20 Jahren werden Männer im November dazu aufgerufen, sich einen Schnurrbart (Englisch: moustache) wachsen zu lassen, mit anderen über Männergesundheit zu sprechen und Spenden zu sammeln. Besonderen Fokus legt die australische NGO Movember dabei auf psychische Gesundheit und Suizidprävention sowie die Vorsorge von Prostata- und Hodenkrebs.
Laut eigener Angaben wurde so bereits eine Milliarde Euro an Spenden generiert, die an Hilfsprojekte, lokale Organisationen und an die Forschung gehen. Trotz des finanziellen Erfolgs wird gelegentlich bemängelt, dass die sozialen und performativen Aspekte des Movembers, wie lustige Schnurrbartfotos auf Social Media, sein eigentliches Ziel verdecken.
Der internationale Männertag
Die BZgA bewirbt auf ihrem Männergesundheitsportal eine andere Novemberveranstaltung: Den internationalen Männertag, kurz IMD, am 19. November. Er wurde bereits 1999 in Trinidad und Tobago ausgerufen. Das Datum wählte der Gründer Dr. Jerome Teelucksingh – es war der Geburtstag seines Vaters und der Tag eines der wichtigsten Fußballspiele der Nationalmannschaft des karibischen Inselstaats. Neben der Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Männern soll der Aktionstag vor allem ihre gesellschaftliche Rolle thematisieren, alltägliche männliche Vorbilder ehren und besondere männliche Leistungen in Familie und Gesellschaft anerkennen.
Obwohl der Tag heute in mehreren Nationen gefeiert wird, erkennen ihn weder die UN noch die UNESCO als offiziellen Welttag an. Woran das liegt, ist nicht bekannt. Möglicherweise an einem terminlichen Dilemma: Am 19. November begehen die UN den Welttoilettentag. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Internationale Männertag sich wegen seines Wertekompasses nicht weltweit etablierte.
Radikale Ideale
Obwohl sich der Aktionstag mit seinem diesjährigen Motto „Zero Male Suicides“ einem bedeutenden Problem widmet, verrät ein genauerer Blick auf die Website ein fragwürdiges Männerideal. Es ist nicht nur eng an ein binäres Geschlechterverständnis und eine klare Rollenverteilung zwischen Mann und Frau geknüpft, sondern vor allem an den christlichen Glauben. Dazu passt, dass die federführende Organisation des Internationalen Männertags aktuell eine christliche Organisation namens Dads4Kids ist. Die australische NGO machte in der Vergangenheit vor allem mit Aktivismus gegen gleichgeschlechtliche Ehen Schlagzeilen.
Dads4Kids und somit auch der IMD vertreten die Ansicht, dass Geschlechterunterschiede wichtig, erhaltenswert und gottgegeben sind. Dabei sind es gerade altmodische Rollenbilder und die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, die auch der Gesundheit von Männern schaden. Die WHO ist der Ansicht, dass sich eine Gleichstellung der Geschlechter deutlich positiv auf die Gesundheit von Männern auswirkt. Dass Dads4Kids dieser wissenschaftlich belegten Annahme nicht folgt, liegt womöglich nicht nur an der traditionellen Auslegung ihres christlichen Glaubens, sondern auch an ihrer politischen Ausrichtung. Der Glaube an eine systematische kulturmarxistische Infiltrierung staatlicher Institutionen gehören sowohl zum Repertoire von Dads4Kids als auch zum festen Fundus rechter Verschwörungsmythen.
Ein Tag im November, der sich der Verbesserung der männlichen Gesundheit widmet und dabei auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu Geschlechterrollen und ihren Auswirkungen setzt, konnte sich bislang also noch nicht etablieren. Aber das Bewusstsein, dass sich die Gesundheitssituation von Männern weltweit verbessern muss, ist da. Die WHO hat bereits 2018 eine europäische Strategie zur Verbesserung der Männergesundheit veröffentlicht. Ob und wie die Strategie umgesetzt wird, liegt in der Hand der Staaten.
Du hast Suizid-Gedanken? Hier findest du kostenlos und anonym Hilfe:
Am Telefon, rund um die Uhr:
(0800) 111 0 111
(0800) 111 0 222
116 123
Im Chat: https://online.telefonseelsorge.de/
Von Luna Gebauer
Lies auch: