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„League of Legends“ und „Rocket League“: So ticken Hannovers junge E-Sport-Profis

„League of Legends“ und „Rocket League“: So ticken Hannovers junge E-Sport-Profis
Foto: Nancy Heusel

Viele Kinder träumen nicht mehr davon, Polizist oder Pilotin zu werden, sondern Influencer oder Youtuberin. Auch E-Sport steht auf der Liste. Dafür braucht es Disziplin und Training. Ein Besuch bei Hannovers Profis in den Teams von „League of Legends“ und „Rocket League“, die an der Dr.-Buhmann-Schule zocken.


Teo Barliba (19) sieht ein bisschen müde, als er freundlich in die Kamera lächelt, die ihn am Schreibtisch sitzend filmt. Er habe in der Nacht zuvor ziemlich schlecht geschlafen, „deshalb koffeinhaltige Getränke. Ich weiß, es ist nicht perfekt, aber…“ Im Twitch-Stream plaudert der junge Erwachsene mit seinen Zuschauern wie mit guten Freunden, dann wechselt das Kamerabild vom Selfiemodus in die Fantasywelt auf dem Bildschirm. Barliba, der sich im Internet „Techoteco“ nennt, ist 19 Jahre und spielt „League of Legends“ (kurz: LoL oder schlicht League). Nicht nur als Hobby, sondern professionell. Er ist E-Sport-Profi, von Beruf Computerspieler. Dafür ist er extra nach Hannover gezogen und hat ein Stipendium an der Dr.-Buhmann-Schule bekommen. Ein Zocker-Stipendium.

Der 19-Jährige mit den dunklen Wuschelhaaren zählt zu den 50 besten League-Spielern Deutschlands. Seine Position: Jungler. Das ist im „Fünf gegen Fünf“-Duell der Fantasywelt so etwas wie der Spielmacher. Barliba behält den Überblick über sein Team und (möglichst) den Gegner, gibt den Matchplan vor, macht die Ansagen. Das läuft ziemlich erfolgreich: Mit dem „Team Omniscius“ ist er gerade in Deutschlands 2. Liga aufgestiegen. Alle Spieler sind Buhmann-Stipendiaten.

Zockerhimmel: Im Gamingstudio der Dr.-Buhmann-Schule haben die E-Sportler perfekte Spielbedingungen so wie „League of Legends“-Profi Teo Barliba (19, hinten rechts). Quelle: Nancy Heusel

Barliba und die Teamkollegen studieren kostenlos, haben in der Dr.-Buhmann-Schule nahe der Oper sogar Trainingsräume mit Hochleistungs-PCs für mehrere Zehntausend Euro. Der Zockerraum hat Frischluftzufuhr, Fußbodenheizung, Sponsorennamen zieren die Zimmerwand. Auch die schicke Wohnung in Hannovers Nordstadt wird gestellt: Im Gaminghaus der Buhmann-Schule gibt es sechs frisch sanierte Wohnungen für je zwei Profizocker. Zusätzlich bekommen der 19-Jährige und die anderen ein kleines Gehalt, Ernährungscoaching, mentales Training und die Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Nicht, dass Barliba besonders gerne Eisen stemmt, aber Computersport wird mittlerweile ganzheitlich betrachtet. „Das ist wie bei jedem Athleten ein Beruf, der viel Disziplin erfordert“, weiß der 19-Jährige.

Aber er liebt, was er tut. Er zocke seit frühen Kindertagen, erzählt der 19-Jährige. Sein Vater setzte sich mit ihm an den Rechner, auch wenn die Mama das gar nicht so gerne sah. „League of Legends“ spiele er nun seit neun Jahren. Er sei durch einen Freund dazugekommen. „Und ich wollte sofort so gut wie möglich werden“, erinnert sich Barliba. Er trainiert mehr als andere, damals wie heute. Wenn die Saison laufe, komme er allein mit dem Team auf 27 Spielstunden pro Woche, rechnet er vor. „Dazu kommt, was ich individuell mache, und ich spiele etwas mehr als der Durchschnitt.“

Auch jetzt noch guckt der Papa aus Süddeutschland fast immer zu, wenn der Sohnemann aus Hannover seine Spiele ins Internet überträgt. Mal vor einer Handvoll Zuschauenden, mal vor mehreren Tausend bei wichtigen Spielen. Die größte Kulisse fürs Team der Buhmann-Schule: fast 40.000, als es gegen bekannte Streamer ging.

„League of Legends“: Profi hat 40-Stunden-Woche

Von Nervosität aber keine Spur, zumindest lässt der 19-Jährige sich die nicht anmerken. Für Barliba ist Computerspielen ein fast normaler 40-Stunden-Job. Und einer, der ihn gut auf das Leben vorbereite, egal, wohin der Weg ihn letztlich führe: „Man nimmt aus dem E-Sport Lifeskills mit“, findet er und zählt diese Lebenskompetenzen auf: Konzentration, Menschenführung, Entscheidungsfähigkeit, wie man sich in einem Team zu verhalten habe.

Was ist E-Sport?

E-Sport ist längst mehr als bloß ein Trendthema: Computerspiele und Computerspielen ist angekommen in der Mitte der Gesellschaft und wie im analogen Profisport geht es auch beim Gaming mittlerweile um ordentliche Gehälter und hohe Preisgelder. Kein Wunder, denn bei großen weltweiten Events schauen zum Teil Hunderttausende oder Millionen Fans zu. Statt um Fußball, Eishockey und Handball geht’s am Computer bei „League of Legends“, „Counterstrike“, „Rocket League“ und Co. um den Erfolg. Statt mit schnellen Beinen überzeugen die E-Sportler und -Sportlerinnen mit schnellem Kopf und flinken Fingern. Und die Stars spielen statt bei Real Madrid und FC Bayern bei T1, Karmine Corp oder BIG. Auch beim Streamen, also dem Übertragen der Spiele, können Tastaturathletinnen und -athleten Geld verdienen: Twitch heißt die beliebteste Plattform und ist damit, vereinfacht gesagt, das Youtube für E-Sportler.

„Und Verhandlungsgeschick“, ergänzt Sascha Timm von der Seite. Auch der schlanke, hochgewachsene Lockenkopf ist 19 Jahre alt und E-Sportler für die Dr.-Buhmann-Schule. Allerdings im Spiel „Rocket League“, das sich etwas leichter erklären lässt als Barlibas Fantasy-Strategiegame. „Rocket League“ ist Fußball mit Autos, die gekonnt gelenkt auch fliegen können, im Modus Drei-gegen-Drei.

Eine weitere Parallele, dass auch Timm fürs Computerspielstipendium umgezogen ist und anders wohl nie in Hannover gelandet wäre. „Wenn ich in den Norden gewollt hätte, wäre es wahrscheinlich eher Hamburg oder so geworden“, überlegt er. Und „ohne die Möglichkeit wäre ich ziemlich sicher niemals hergezogen“. Denn der Karrierewunsch E-Sport-Profi sei „ohne Unterstützung superriskant. Wenn du acht, neun Stunden am Tag spielst“ sei das kaum mit einem Studium kompatibel. Durch das Coaching lasse sich aber vieles optimieren, auch die Spielzeit. „Das ist viel besser, und du setzt nicht alles auf eine Karte.“

„Rocket League“-Team aus Hannover fliegt zur WM nach Dallas

Das mit der Karte war allerdings mal anders: Nach dem Abi wollte der 19-Jährige, der sich online „systm03“ nennt, nicht durch die Weltgeschichte reisen, sondern lieber am Computer daddeln. Mitunter exzessiv, gibt er zu: „Das war auch mal ungesund viel Zeit“, die er mit „Rocket League“ verbracht habe. Doch durch den Fleiß hat er sich auch den etwas anderen Karriereweg geebnet, was Türen öffne.

Mit dem Uniteam der hannoverschen Schule wurde der Student (Fach: Internationales Management und Marketing) gerade Universitätseuropameister und fliegt im Juni zur WM in die USA nach Dallas, Texas. Realisiert habe Sascha das noch nicht so richtig. „Ich bin vorher erst einmal geflogen, das waren so zwei Stunden nach Italien. Jetzt fliege ich für ein Videospiel zu einer WM, das ist doch Wahnsinn“, beschreibt der wortgewandte 19-Jährige. „Wir spielen nicht nur für uns, sondern auch für Hannover. Und irgendwie auch für Deutschland, das ist schon krass.“

Keine 0815-Ausstattung: Maus, Tastatur, Bildschirm und die übrigen Peripheriegeräte sind extra auf die Bedürfnisse der E-Sport-Athleten angepasst. Quelle: Nancy Heusel

Im hannoverschen Profiteam „Recken Rockets“, das beim Handball-Bundesligaklub angedockt ist, ist er aktuell zwar Ersatz, aber das macht ja nichts. Mit dem richtigen Training kann das wieder anders laufen. Damit er sich darauf konzentrieren kann, wohnt auch Timm im Gaminghaus in der Nordstadt. Wie schick es da aussehe, habe auf seine Eltern ebenfalls Eindruck gemacht.

Lies auch: E-Sport: Ist das der Beruf der Zukunft?

Also liegen bei E-Sportlern doch keine alten Pizzakartons und Energydrinkdosen herum? „Schönes Klischee“, kommentiert der 19-Jährige und lacht: „Natürlich nicht! Ernährung spielt eine wichtige Rolle.“ Professionelles Computerspielen ist längst mehr, als es das olle Klischee vom faulen Kellerkind suggerieren mag. „In meinem Lebenslauf steht als Job auch E-Sportler drin“, sagt der „Rocket League“-Profi selbstbewusst: „Wir sind auf einem guten Weg, es wird immer normaler und akzeptierter.“

Einer der Entscheider: Björn Benke checkt im Streamingstudio, ob alles passt. Als Sportchef ist er an der Dr.-Buhmann-Schule für die Zusammenstellung der professionellen Computerspieleteams verantwortlich. Früher war er unter anderem Akademieleiter beim Fußball-Proficlub FC St. Pauli. Quelle: Nancy Heusel

Hannovers E-Sport-Chef war früher Talente-Boss beim FC St. Pauli

Wie hoch es in der Karriere hinausgeht, darauf haben die Profi-E-Sportler zum Beispiel durch ihre Disziplin Einfluss. Mit wem sie im Team zusammenspielen, das entscheiden beim Uniteam in Hannover aber andere. Die Dr.-Buhmann-Schule hat einen eigenen Sportdirektor angestellt, der auch Dozent für die Studierenden ist. Björn Benke ist ein echter Vollprofi, leitete früher knapp drei Jahre lang das Fußballnachwuchsleistungszentrum vom Traditionsklub FC St. Pauli.

Wie funktioniert das E-Sport-Stipendium in Hannover?

2021 wünschte sich die BWL-Abschlussklasse der Dr.-Buhmann-Schule das Thema E-Sport-Vermarktung, seit dieser Zeit ist auch die Chefetage des Bildungsträgers begeistert von der Materie. „Mehr als 90 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler gamen regelmäßig“, betont Akademieleiter Matthias Limbach. „Das hat mich überrascht, auch wenn es das nicht sollte.“ Computerspielen verbessere entscheidende „Jobskills“, etwa „Kommunikation im Team, auch im digitalen Umfeld, Entscheidungskompetenz und taktisches Denken“, zählt Limbach auf. Das sei wichtig fürs Leben, egal, in welchen Berufszweig es mal gehe.

Im vergangenen Jahr hat die Dr.-Buhmann-Schule dann ihr erstes E-Sport-Profiteam auf die Beine gestellt, auch professionelle Gamingräume und ein Streamingstudio eingerichtet. Die „Recken Rockets“ spielen das Fußball-Auto-Spiel Rocket League und sind beim Handball-Bundesligisten angedockt. Alle professionellen Buhmann-Spieler, sie starten auch im Fantasy-Spiel „League of Legends“, haben ein Stipendium an der Schule.

Die Umsetzung ist einmalig in Deutschland: Ambitionierte Gamer können sich bewerben und haben die Chance auf ein kostenfreies Studium an der Buhmann-Schule. Dazu gibt es ein kleines Gehalt, eine Wohnung und Trainingsmöglichkeiten mit Coaches am PC, mental, im Fitnessstudio. „Bei uns kann man das Lernen und Profi-E-Sport kombinieren. Also beides, nicht entweder oder“, wirbt Limbach.

Das Angebot mache die Bildungseinrichtung wiederum bundesweit bekannt und bringe sie damit auch bei anderen potenziellen Schülern und Studierenden ins Bewusstsein. Limbach: „Wir sind mittlerweile bekannt in Deutschland bei den Gamern. Wir als Schule investieren viel, weil wir glauben, die Gen-Z so abholen zu können. Das bringt uns viel!“ Das gilt für die Schule und die Gamer gleichermaßen.

So prestigeträchtig wie Fußball ist E-Sport in Deutschland zwar noch nicht, doch es entwickelt sich. Und auch bei Benke fühlt sich die Begeisterung echt an. „Für mich ist das Leistungssport im Kopf“, schwärmt er überschwänglich. „Den Kopf zu trainieren, kann nicht so schlecht sein!“ Auch für künftige Arbeitgeber, falls es doch nicht mit der großen Gamerkarriere klappen sollte.

Von Jonas Szemkus


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