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Krisengespräche und Kontaktlisten: Vier WGs erzählen, wie sie den Teil-Lockdown erleben

Krisengespräche und Kontaktlisten: Vier WGs erzählen, wie sie den Teil-Lockdown erleben
Foto: Unsplash

Corona-Regeln in der Wohngemeinschaft – klappt das? Vier junge Menschen erzählen, wie sie während der Pandemie mit anderen zusammenleben.


Ella (19): „Uni und Arbeit gehen vor“

Wir wohnen erst seit anderthalb Wochen in unserer WG, als der Bund den „Lockdown light“ beschließt. Auf einmal werden wir ins Frühjahr zurückgeworfen und können unsere Pläne für den kommenden Monat vergessen – und das, obwohl wir ein Jahr nach dem Abitur endlich ausgezogen sind. Ein bisschen deprimierend ist das schon.

Foto: privat

Der Lockdown bringt gewisse Maßnahmen mit sich, die in unserer Fünfer-WG nun noch mehr abgesprochen werden müssen als sonst. Wer Freunde mitbringen möchte, muss – natürlich – Bescheid sagen. Vor allem, um keine Kollision von zu vielen Haushalten auszulösen, falls noch jemand anderes Besuch hat.

Problem: Stabiles Internet

Fast überlebenswichtig ist für uns das Gespräch über das W-LAN. Ohne Präsenz in der Uni läuft bei uns alles online, weswegen wir wirklich auf funktionierendes Internet angewiesen sind. Zu fünft haben wir ziemlich viele Geräte und es ist durchaus schon vorgekommen, dass ich aus einem Zoom-Meeting rausgeschmissen wurde, weil meine Verbindung instabil war. Das liegt natürlich auch an der Entfernung meines Zimmers zum Router, aber eben auch an Fernsehern oder Laptops, über die gerade Netflix geschaut wird. Daher gilt bei uns die Regel: Uni und Arbeit gehen vor.

Und noch etwas erinnert an den ersten Lockdown: Im Supermarkt stehen wir auf einmal vor fast leeren Nudelregalen. Und unser Nudelverbrauch ist wie in fast jeder anderen WG hoch und gehört zu den Dingen, die in unserer WG täglich gebraucht werden. Beim Einkaufen bringen wir uns gegenseitig Lebensmittel mit und probieren, möglichst viel auf einmal zu kaufen, um unsere Zeit mit vielen Menschen im Supermarkt so kurz wie möglich zu halten. Durch die Onlinelehre und wegen der vielen geschlossenen Läden bleiben wir vor allem in der Wohnung. Um trotzdem nicht in ein eomotionales Loch zu fallen, gehen wir aber jeden Tag wenigstens ein bisschen raus.

Ella Rinke

Amelie (24): „Da hört der spaß auf“

„Oh krass, wie könnt ihr in so einer großen WG wohnen?“ Das hören wir häufig, wenn wir über unsere Sechser-WG erzählen. Doch das hat sich mit der Corona-Krise geändert. Jetzt bekommen wir dafür eher neidische Blicke. Und das mit Recht. Schon im Frühling während der Kontaktbeschränkungen haben sich die Vorteile einer großen WG gezeigt. Filmabende mit anschließender Analyse unserer Filmexpertin, Diskussionen über das Grundgesetz mit unserer WG-Juristin und zahlreiche Wizard-Runden, die oft bis spät in die Nacht gehen – ja, wir haben viel Zeit miteinander verbracht und ja, wir sind mittlerweile bereit für eine Wizard-Meisterschaft.

Viel Platz und Kaffeepausen

Mit 160 Quadratmetern, sechs Zimmern und zwei Balkonen haben wir viel Platz – zum Glück. Denn fast alle von uns studieren oder arbeiten von zu Hause aus, da werden kurze Kaffeepausen auf dem Balkon sehr geschätzt. An manchen Tagen eröffnen wir einen Work Space, um uns gegenseitig zu motivieren. Unser großer Vorteil: Wir verstehen uns alle gut. Doch obwohl wir ein eingespieltes Team sind, gibt es auch bei uns ab und zu blanke Nerven und kleine Ausraster. Vor allem, wenn unsere Grundnahrungsmittel aufgebraucht sind: Kaffee, Brot und Wein. Da hört der Spaß nämlich auf.

Krisengespräche über Kontakte

Während einer Pandemie in einer großen WG zu wohnen, hat auch Nachteile. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie lang unsere Kontaktliste sein darf: Wie viele Leute dürfen wir sehen? Dürfen wir Besuch haben? In einem Krisengespräch haben wir zwar keine festen Regeln beschlossen, uns aber darauf geeinigt, möglichst wenig Kontaktpersonen zu haben. Für den Teil-Lockdown sind wir gut vorbereitet: Sonntags treffen wir uns alle für die Heute-Show, dann wird zu ABBA getanzt und für das Krimidinner bereiten sich schon alle auf ihre Rollen vor. Als WG sind wir enger zusammengewachsen. Das Einzige, was noch fehlt: ein neues Gesellschaftsspiel. Die Ersten haben nämlich keine Lust mehr auf Wizard.

Amelie Rook

Lucas (22): „Wir schränken uns stark ein“

Ich wohne in einer Vierer- WG mit drei weiteren Jungs, von denen zwei zur Corona-Risikogruppe gehören: der eine hat Diabetes und der andere Asthma. Deshalb schränke ich jetzt im „Lockdown light“ meine sozialen Kontakte stark ein und treffe mich nur mit einer sehr kleinen Anzahl gleichbleibender Freunde. Ich möchte nämlich kein zu hohes Risiko eingehen und am Ende Schuld daran sein, dass einer meiner Mitbewohner an Corona erkrankt.

Foto: privat

Obwohl wir keine Zweck-WG sind, ist mir der persönliche Kontakt zu meinen anderen Freunden sehr wichtig. Ich finde es gut, während einer solchen Situation in einer größeren WG zu wohnen und nicht allein zu sein. Aber auch wenn sich jeder nur mit sehr wenigen Freunden trifft, ist das Infektionsrisiko erhöht. Da es nicht ausgeschlossen ist, sich bei einer kleinen Kontaktgruppe zu infizieren, versuche ich auch innerhalb unserer Wohnung einen gewissen Abstand zu wahren. Das ist natürlich nicht ganz so einfach, wenn man Küche und Badezimmer teilt.

Für drei Wochen in die Heimat

Während der ersten Beschränkungen im Frühjahr waren wir in unserer WG sehr vorsichtig. Die beiden Risikomitbewohner hatten mich und unseren vierten Mitbewohner damals darum gebeten, jeglichen persönlichen Kontakt vorerst einzustellen und erst mal unter uns zu bleiben, das ja auch von der Regierung angeordnet war. Daraufhin bin ich für drei Wochen zu meinen Eltern aufs Land und der vierte Mitbewohner zu Freunden gezogen. So konnte er seine feste Freundin trotzdem sehen.

Nachdem die Infektionszahlen wieder sanken, bin ich wieder zurück in die Wohngemeinschaft und habe mich nach Rücksprache mit meinen Mitbewohnern auch wieder regelmäßig mit einer kleinen und gleichbleibenden Freundesgruppe getroffen.

Lucas Kreß

Monika (24): „Manchmal fällt es schwer“

Man könnte meinen, WGs seien inzwischen geübt in Sachen Teil-Lockdown. Nicht so meine Wohngemeinschaft, denn wir haben uns erst im Sommer, zu einer Zeit, in der Corona fast schon überwunden schien, gefunden. Der zweite Lockdown ist daher für uns eine ganz neue Erfahrung.

Foto: privat

Zu dritt bewohnen wir eine Vierzimmerwohnung inklusive Wohnzimmer und Balkon. Jetzt über geschlossene Cafés und Bars, entfallene Partys und Theatervorstellungen oder geplatzte Urlaubsträume zu jammern, wäre unangebracht. Das Einzige, was uns eines Abends zu schaffen machte, war die Sperrstunde: Der Kiosk unseres Vertrauens durfte uns tatsächlich kein Bier mehr verkaufen.

Wir sind privilegiert

Sich darüber zu beschweren, wäre so, als ob wir unsere Privilegien nicht sehen würden, aber die haben wir: Während meine eine Mitbewohnerin weiterhin jeden Tag zur Arbeit fährt, arbeiten mein anderer Mitbewohner und ich ohnehin im Homeoffice. Arbeit, Uni, Yoga und Tanzkurse – alles findet online statt. Das Wohnzimmer hält tagsüber als Arbeitszimmer her. Um sich von den Videokonferenzen zu erholen, verbringen wir die Pausen gemeinsam. Die Zeit muss aber nicht langweilig werden: Vorsorglich habe ich mir einen Hula-Hoop-Reifen angeschafft, meine Mitbewohnerin hat ihr Puzzle vom letzten Weihnachtfest ausgepackt. Und unser Mitbewohner knetet nun Sauerteig und fiebert dem ersten Schluck Kombucha entgegen, den er angesetzt hat.

Doch obwohl wir jederzeit die Möglichkeit haben, nicht allein sein zu müssen, fällt es manchmal schwer, das Bett zu verlassen. Freunde sehen wir kaum noch, wenn, dann virtuell. Gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, auch das soziale Umfeld derer kennenzulernen, mit denen ich mir meinen sicheren Rückzugsort teile.

Monika Dzialas


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