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Kirche in der Krise: Junge Menschen über ihre Beziehung zum Glauben

Kirche in der Krise: Junge Menschen über ihre Beziehung zum Glauben
Foto: Unsplash/Karl Fredrickson

Muss man unbedingt in der Kirche sein, um religiös zu sein? Und woran glauben Jugendliche heute? Fünf junge Menschen berichten von ihren Erfahrungen mit Glaube, Gott und Spiritualität. 


Religiosität nimmt vor allem bei jungen Menschen ab. Dieser Trend besteht schon lange und bestätigte sich wieder in der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die vergangenes Jahr bei der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) vorgestellt wurde. Doch fünf junge Menschen haben MADS von ihrer Haltung zu Kirche, Glaube und Gott berichtet, die nicht unbedingt in dieses Bild passt.

„Mein Glaube gibt mir Halt“: Finja Timm (22), Psychologiestudentin aus Kiel

Foto: privat

Mein Glaube gibt mir Halt in schwierigen Momenten. Ich bete viel im Alltag, lese in der Bibel, um zur Ruhe zu kommen, gehe zum Gottesdienst und zum Junge-Erwachsene-Treff. Ich habe im Glauben wertvolle Freundschaften gefunden. 

Wenn man in einer christlichen Familie aufwächst, stellt man sich irgendwann die Frage, ob der Glaube, den man lebt, auch der eigene Glaube ist. Ich habe eigene Erfahrungen im Glauben gesammelt und weiß jetzt, dass mir der Glaube in meinem Leben sehr wichtig ist. Zu glauben bedeutet für mich, dass ich geliebt bin. Da ist ein Gott, der alle Menschen liebt, der einem Hoffnung gibt, der zuhört und hilft. Vor allem Nächstenliebe ist für mich Teil des christlichen Glaubens. Menschen sind manchmal unfair, und ihnen dann trotzdem Respekt entgegenzubringen, ist nicht einfach. Der Respekt gegenüber anderen Menschen bedeutet für mich Christsein. Allerdings tragen wir diese Verantwortung als Menschen eigentlich alle. 

Es gibt viele Beispiele in der Bibel, in denen Jesus den Menschen begegnet, die als Außenseiter und Minderheiten gelten. Er ist auf sie zugegangen und hat ihnen gezeigt, dass Gott für sie da ist. Deshalb gehört Gemeinschaft für mich zum Glauben dazu, genauso wie verschiedene Meinungen zu hören und darüber zu diskutieren. Den Glauben zu hinterfragen ist sehr wichtig, weil wir Gott nicht immer verstehen. Wir sehen ihn nicht als Person, und manchmal fehlt einem da Vertrauen. Diese Zweifel kann man aber überwinden. Mir hilft vor allem die Gemeinschaft mit anderen Menschen und das Austauschen über die Zweifel. Wer Glaubenszweifel hat, kann sicher sein, damit nicht allein zu sein. Sie gehören zum Leben dazu.

Leonie Gelhaar (23), Personaldienstleisterin aus Hannover: „Kirche muss sich wandeln“

Foto: privat

Ich bin mir gar nicht sicher, wie ich zum Glauben gekommen bin. Plötzlich war er da. Wahrscheinlich war er immer da, weil er durch meine Familie immer eine Rolle spielte, aber bewusst wurde es mir erst spät. Nach der Konfirmation bin ich Teamerin geworden. Ich mochte die Gemeinschaft. Sie stand für mich immer im Vordergrund, unabhängig vom Glauben. Ich habe in der Gemeinschaft und im Glauben meine engsten Freunde kennengelernt und mein Zuhause gefunden. Den Ort, wo ich sein kann, wer ich bin. 

Deshalb setze ich mich für eine offene Gemeinschaft im Glauben ein. Über den Kirchenkreisjugendkonvent (KKJK) und den Sprengeljugendkonvent hat es mich in die Landesjugendkammer verschlagen, wo ich die Möglichkeit habe, die Rahmenbedingungen für diese Gemeinschaft zu beeinflussen. Denn Kirche und Glauben müssen sich wandeln, um die Wege für eine offene Kirche der Zukunft zu ebnen.

Je nach Lebenssituation ist mein Glaube präsenter oder rückt etwas in den Hintergrund. Das heißt nicht, dass ich weniger glaube. Denn ich glaube, dass Gott mich immer begleitet. Für mich zählt: Gott ist da. Und auch die Gemeinschaft an jungen Menschen und Freunden. Mein Glaube ist Begleiter meines Lebens, der immer den Platz einnimmt, der gerade frei ist.

Und genauso ist es mit Zweifeln. Sie gehören für mich dazu. Sie zeigen, dass ich mich reflektiert mit Themen auseinandersetze. Ich bin nicht schlechter, weil ich Zweifel habe, oder etwas anders sehe. Das einzig wichtige ist, dass ich hinter den Werten stehe, an die ich glaube: Gleichheit, Gemeinschaft, Frieden, Toleranz und Liebe.

„Glaube ist individuell“: Sunny Marko Lorenz (21), Lehramtsstudent aus Kiel

Foto: privat

Glaube ist bei mir im Leben allgegenwärtig. Ich glaube, dass Gott einen Plan für mich hat und mich durchs Leben führt. Ich bin niemand, der täglich betet und sagt, dass der Glaube den höchsten Stellenwert einnimmt. Aber er hat definitiv einen Platz in meinem Herzen. 

Ich bin in der Schule damit in Kontakt gekommen. Meine Familie ist nämlich gar nicht so gläubig. Dort habe ich dann von der Kinderferienwoche erfahren. Da habe ich tolle Menschen kennengelernt, die mich gesegnet und mir den Glauben nähergebracht haben. Aber nicht auf eine langweilige Weise, sondern als bunte Abenteuerreise. Und das ist bis heute hängen geblieben. 

Für mich ist der Glaube sehr individuell, weil jede und jeder für sich das Beste aus dem Glauben holt und eine eigene Beziehung zum Glauben hat. Für mich bedeutet es, den Sinn des Lebens gefunden zu haben und nicht allein zu sein. Trotzdem zweifelt man manchmal, weil man sich alleingelassen fühlt, weil man manchmal in seiner eigenen Perspektive so gefangen ist, dass man der Situation nicht entkommen kann. Deshalb ist auch Gemeinschaft sehr wichtig, denn sie bedeutet Austausch.

Ich bin Mitglied des Kirchengemeinderates in meiner Kirchengemeinde. Diese Arbeit ist eine spezielle Verantwortung, die ich anderen gegenüber habe und auslebe. Meine Kirchengemeinde ist sehr progressiv, offen für junge Menschen und setzt sich auch für die Rechte und Bedürfnisse aller ein. Ich finde, das ist ein Kerngedanke der Kirchengemeinde und jede Gemeinde sollte so sein.

Silas Linn (23), Mechatroniker aus Nürtingen: „Mehr als ein Gottesdienst“

Foto: privat

Glauben hat für mich einen wichtigen Stellenwert und durchdringt alle Bereiche meines Lebens. Er bedeutet Hoffnung, Sinn und Zuversicht. Durch meine Familie bin ich schon immer in christlicher Gemeinschaft aufgewachsen. Ein entscheidender Schritt war für mich die Glaubenstaufe mit 19 Jahren.

Für mich ist Glaube etwas Individuelles und Persönliches. Es ist mehr als eine Institution oder an einem Gottesdienst teilzunehmen. Natürlich gibt es keine handfesten Beweise für Gott. Aber Zweifel regen zum Nachdenken und Hinterfragen an und haben nach meiner Erfahrung eine stärkende Wirkung. Ich finde, man sollte sich auch mit schwierigen Fragen auseinandersetzen. 

Ein weiterer wesentlicher Teil des Glaubens ist die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen. Ich denke, es ist wichtig, sich um das Wohl seiner Mitmenschen zu kümmern und sich für Personen einzusetzen, denen es nicht so gut geht. Menschen sind unterschiedlich. Dafür müssen wir sensibel sein. Deshalb ist auch Vielfalt so wichtig, aber auch sehr herausfordernd. Denn es bedeutet, den Anderen ehrlich verstehen zu wollen und wirklich zu akzeptieren. Wir fühlen uns natürlich am wohlsten, wenn alle so sind wie wir selber, aber das ist aus den unterschiedlichsten Gründen nicht so und wird auch hoffentlich nie so sein.

Ich denke, die Kirche sollte Angebote machen, bei denen die Bedürfnisse von jungen Leuten im Fokus stehen. Junge Leute sollen in ihrer Lebensrealität abgeholt werden. Das Interesse am Glauben ist auch bei ihnen vorhanden. Ich wünsche mir sehr, dass Glauben nicht als etwas Altmodisches angesehen wird. 

Berit Krüger (24), Skandinavistik-Studentin aus Kiel: „Bibel ist zu streng“

Foto: privat

Glaube spielt in meinem Leben keinen allzu große Rolle. Mit meiner Familie gehe ich manchmal an Weihnachten in die Kirche, aber in meinem Alltag praktiziere ich keine Religion. Ich versuche, die Welt an sich als Wunder zu sehen. 

Als Kind war ich in der Kinderkirche. Damals war ich sehr gläubig. Mir hat das „Magische“ im Glauben sehr gefallen. Später wurde ich konfirmiert, aber eher, weil man das auf dem Dorf halt so macht. Ab der Pubertät habe ich dann immer mehr Abstand vom Christentum genommen. Heute denke ich, dass ich nicht Mitglied der Kirche sein muss, um einen Glauben auszuüben. Glaube ist für mich etwas Individuelles. Denn glauben kann man an viele Sachen: an Gott, Wunder oder das Universum. Glaube hat aus meiner Perspektive immer etwas mit dem individuellen Vertrauen auf einer spirituellen Ebene zu tun.

Ich habe festgestellt, dass die Kirche und die Bibel mir zu strenge Konstrukte darstellen. Sie vermitteln, dass es „richtige“ und „falsche“ Arten zu glauben gibt und zu viele Regeln, die mich einschränken. Wenn die Kirche ein offenes Bild ausstrahlen und vermitteln würde, dass alle willkommen sind, genauso wie sie sind, würde sie auch mehr erreichen. Ich glaube nicht, dass Zweifel meinen Glauben gefährden, sondern für mich arbeiten, indem sie fragen: Passt der Glauben zu mir und meinen eigenen Werten? Möchte ich überhaupt glauben? Zu glauben bedeutet für mich, ein tiefes Urvertrauen zu haben, das einem in sämtlichen Lebenslagen Zuversicht gibt. Ob dieses Urvertrauen nun durch Gott oder andere Instanzen gegeben ist, ist nicht so wichtig.

Aufgezeichnet von Mirja Kaune


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Über den Autor/die Autorin:

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