Interview mit Islam-Experten: Warum fasten Menschen im Ramadan?
Serdar Kurnaz ist Juniorprofessor für Islamische Theologie an der Universität Hamburg. Er ist auch ausgebildeter Imam. Im Interview mit MADS-Autorin Kira erklärt er, warum Muslime fasten, wie strikt der Ramadan eingehalten werden muss und wie ein modernes Fasten aussieht.
Herr Kurnaz, was sind die Hintergründe – aus islamhistorischer Sicht – für das Fasten und wird die Tradition heute moderner interpretiert?
Serdar Kurnaz: Im Koran, Sure 2:183 heißt es, dass den Muslimen, wie es auch zuvor für andere Religionsgemeinschaften der Fall war, das Fasten auferlegt wurde. Damit gibt der Koran selbst zu erkennen, dass den Arabern der vorislamischen Zeit das Fasten bekannt ist. Der Sinn hinter dem Fasten ist, dass nachempfunden wird, was bedürftige Menschen empfinden, wenn sie nicht genügend Mittel haben, um tägliches Essen der Familie zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund ist es auch für jeden Muslim eine Pflicht, während des Ramadans einmal eine Spende zu entrichten, die etwa der Versorgung für zwei einfache Malzeiten gleichkommt (rund 15-20 Euro). Zudem soll das Fasten dazu führen, dass man sich mehr auf seine Handlungen und den Prinzipien, die diese leiten, konzentriert, diese kritisch hinterfragt und mögliche neue Handlungsprinzipien und -muster entwickelt, um ethisch wertvolle Handlungen bis zum nächsten Ramadan täglich zu vollziehen.
Intellektuelle Dimension des Ramadan im Fokus
Heute wird mehrfach diese spirituelle, teilweise intellektuelle Dimension des Ramadan fokussiert, wobei früher noch stärker gottesdienstliche Handlungen wie Koranrezitation oder zusätzliche Gebete diskutiert wurden. Auch aufgrund der langen Sommertage wird über die Dauer des Fastens diskutiert – klassisch von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang -, ob vor Sonnenuntergang das Fasten begrochen werden darf, zumindet an langen Tagen.
Müssen Jugendliche fasten oder gibt es Ausnahmen?
Serdar Kurnaz: Auch wenn es Unterschiede in den Rechtsschulen gibt, gehen die meisten Gelehrten davon aus, dass man mit zwölf Jahren mit dem Fasten beginnen muss. Diese Zahl ist aber aushandelbar, denn sie ist nicht alleine entscheidend. Auch gesundheitich und körperlich müssen bestimmte Bedingungen erfüllt werden, wie etwa, dass man während des Fastens nicht schwächelt und seiner Arbeit mehr oder weniger wie gewöhnlich nachgehen kann. Daher können Jugenliche selbst entscheiden, ob sie Fasten oder nicht, denn diejenigen, die nicht in der Lage dazu sind, können an kürzeren Tagen nachfasten oder aber auch die einmal fällige Spende, für jeden einzelnen Tag, an dem nicht gefastet wurde, als „Sühne“ entrichten, sofern man finanziell dazu in der Lage ist. Also Ausnahmen sind durchaus möglich.
Wer den ganzen Tag nicht trinkt oder isst, ist oft nicht mehr so leistungsfährig. Sollten Jugendliche eine Ausnahme machen, wenn wichtige Prüfungen wie das Abitur anstehen?
Serdar Kurnaz: Jugendliche können eine Ausnahme machen, damit ihre schulischen Leistungen nicht darunter leiden, insbesondere wenn es sich dabei um das Abitur handelt, das ja entscheidend für die spätere Karriere sein kann. Aber es ist jedem selbst überlassen, Verantwortung zu übernehmen, und zu sagen, dass aufgrund der Umstände heute nicht gefastet wird. Sobald ein nachvollziehbarer Grund vorliegt, kann auf das Fasten verzichtet, der Verzicht unterschiedlich kompensiert werden.
Wettfasten, Mobbing, Unverständnis: Nicht immer werden Schüler, die nicht, vermeintlich falsch oder überhaupt fasten von ihren Mitschülern kommentarlos akzeptiert. Sollten muslimische Traditionen aus Ihrer Sicht mehr in den Unterricht integriert werden?
Serdar Kurnaz: Ja, über das Fasten muss offen gesprochen werden, ohne mit dem Hintergedanken, dass man doch nicht lieber Fasten sollte. Beide Seiten, die Fastenden sowie Nichtfastenden müssten mit Respekt zueinander ins Gespräch kommen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden, wann auf das Fasten lieber verzichtet werden sollte, und wann nicht.
„Gespräch über Religion in der Schule ist wichtig“
Das Niveau des Gesprächs in der Schule ist wichtig; plakative Fragen wie „Wieso fastet ihr eigentlich“, „ist das nicht überholt“ führen eher zu Trotzreaktionen im Gespräch auf beiden Seiten. Wettfasten, Mobbing und Unverständnis gegenüber Nichtfastenden sind genau die Dinge, die im Monat Ramadan vermieden werden sollten, die das Fasten selbst verhindern sollte. Wer fastet und immer noch auf diese Weise aggiert, sollte sich Gedanken darüber machen, ob er doch nicht nur einfach hungrig über den Tag hinaus verweilt, anstatt wirklich mit dem gesamten Körper zu fasten.
Interview: Kira von der Brelie