In diesem Kiosk in Hannover sind viele Preise noch in D-Mark
Lichtpausen. Der Begriff ist längst aus der Zeit gefallen; ein Wort wie „Rabattmarken“ oder „Nadeldrucker“. „Lichtpausen“ steht über der Tür, und pünktlich sperrt Alfons Sossna seinen Laden auf und schiebt seinen Rollator hinein. An sechs Tagen in der Woche steht der 84-Jährige in seinem Geschäft für Bürobedarf hinter dem Tresen. Ans Aufhören denkt er nicht. „Ich kann meine Ware doch nicht wegwerfen“, sagt der Misburger, „und einfach nur zu Hause zu sitzen und Fernsehen gucken ist nichts für mich.“
In seinem Reich verschwindet der kleine alter Herr förmlich zwischen den Schreibwaren. Die Holzregale sind vollgepackt mit mit Plaka-Farben und Postkarten. Sie biegen sich unter der Last Hunderter Leitz-Ordner. Man kann sich in dem kleinen Laden kaum bewegen, weil er überquillt vor Kalendern und Klebstoffen und Karteikarten, vor Pinseln, Stiften und Schnellheftern. In Fantasy-Filmen sind solche verwunschenen Läden der Eingang in verborgene Gegenwelten.
Die alten Schätze in Alfons Sossnas Laden
Der gebürtige Oberschlesier kam in den Fünfzigern nach Deutschland. Er arbeitete in einem Architekturbüro, das immer wieder Lichtpausen von großen Plänen anfertigen lassen musste. Irgendwann machte er dann mit seiner Frau Hildegard in dem ehemaligen Modeladen in der kleinen Ladenzeile an der Buchholzer Straße sein eigenes Geschäft auf. Das muss 1981 gewesen sein, vielleicht auch 1989, so genau weiß er das nicht mehr. Vor acht Jahren ist seine Frau gestorben. „Sie fehlt mir sehr“, sagt er. Aber er macht alleine weiter.
„Lichtpausen sind heute nicht mehr so gefragt“, sagt Alfons Sossna, „aber ein Stammkunde lässt sie noch bei mir machen – und ich habe viele Dinge im Sortiment, die es anderswo längst nicht mehr gibt.“ Er zeigt auf Tintenfässer in den Regalen. Bei ihm gibt es noch Tipp-Ex in verschiedenen Sorten. Eine Magneto-Zeichenschablone der Trickfilmfigur Sindbad steht seit Jahrzehnten hier; die Adresse des Herstellers hat noch eine vierstellige Postleitzahl. Erst vor Kurzem hat er ein Registerbuch verkauft. „Als die Kundin die 15 auf dem Preisschild sah, kam ihr das teuer vor“, sagt er schmunzelnd. Das Buch war aber noch in D-Mark ausgeschildert. „Ich habe es ihr für die Hälfte gelassen, also für 7 Euro.“
Preise noch in D-Mark
Wo allein der Markt regiert, das Gesetz von Angebot und Nachfrage, gibt es solche Läden wie diesen nicht mehr. „Ich machte keine großen Geschäfte“, sagt Sossna unumwunden. Es gibt auch Tage, an denen kommt kein Kunde. Aber das ist nicht schlimm. „Wenn es zu viele wären, würde ich es gar nicht schaffen, ich bin ja langsamer geworden“, sagt er. Dennoch ist dieser Laden sein Leben; seine große Aufgabe. „Ich klöne mit den Leuten über dies und das, über Ärzte und Krankheiten“, sagt der 84-Jährige. Dieses Geschäft würde es ohne ihn nicht mehr geben. Und vielleicht würde es auch ihn ohne dieses Geschäft nicht mehr geben.
Hinter ihm, im Regal, stapeln sich sieben Sorten Kohlepapier. „Das verkauft sich nur noch selten“, sagt er. Er hat auch Diktaphone und Disketten, „aber die hat seit zwei oder drei Jahren niemand mehr verlangt.“ Die Digitalisierung hat ja viel Neues gebracht und vieles auch wieder aus der Welt geschafft. „Gestern hat einer Farbbänder für seine Schreibmaschine gesucht“, sagt Sossna. „Hatte ich natürlich.“ Über die Jahre sind Dinge gekommen und gegangen. Alfons Sossna aber ist geblieben.
Von Simon Benne