„Ich bin Teil dieser Gesellschaft“: Moutasm Alyounes schreibt Buch über Flucht
Als Jugendlicher ist Moutasm Alyounes allein aus Syrien nach Deutschland geflohen. Jetzt hat er sein erstes Buch „Die Wahrheit aus meiner Sicht“ veröffentlicht. Im MADS-Interview erzählt er seine Geschichte.
Herr Alyounes, Sie sind 2015 vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen, Ihre Familie nicht. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie heute?
Mir geht es gut. Wie es meiner Familie geht, dazu kann ich nicht viel sagen. Ich habe sie seit mehr als sieben Jahren nicht gesehen. Sie sagen aber immer, dass es Ihnen gut geht.
Im vergangenen Jahr haben Sie Ihr erstes Buch veröffentlicht, „Die Wahrheit aus meiner Sicht“. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Jeder Mensch von uns glaubt an die Wahrheit, die er erlebt hat. Vor allem beim Krieg in Syrien ist es schwierig, von einer einzigen Wahrheit zu sprechen. Deswegen schreibe ich über das, was ich erlebt habe. Als der Krieg in Syrien ausbrach, war ich 15 Jahre alt. In dem Buch erzähle ich meine Geschichte – eine Geschichte von Heimatliebe, Krieg, Flucht und Überleben. Es gibt nicht eine Wahrheit – aber es gibt Menschenrechte, die für uns alle gelten müssen.
Zur Person
Moutasm Alyounes ist 23 Jahre alt. Ende 2015 ist er vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen. Sein Abitur hat er 2021 in Essen nachgeholt. Neben seinem Studium im Fach Bauingenieurswesen ist er als Autor, Aktivist und Filmproduzent tätig. Er bezeichnet sich selbst außerdem als „unqualifizierten Psychologen und Hobby-Journalisten“.
Sie leben seit mittlerweile sieben Jahren hier, was bedeutet Deutschland für Sie?
Es ist für mich eine zweite Heimat geworden. Das Leben in Deutschland hat mich sehr geprägt. Ob es manche wollen oder nicht, ich bin Teil dieser Gesellschaft und leiste meinen Beitrag. In Deutschland hatte ich wieder ein Dach über dem Kopf, Frieden, Sicherheit und Perspektive. Außerdem fühle ich mich durch die ersten 19 Artikel des deutschen Grundgesetzes bestärkt. Solange das Gesetz mir meine Rechte wie allen anderen Menschen in der deutschen Gesellschaft sichert, ist mir Wurst, wenn mich eine Person aufgrund meiner Herkunft ablehnt.
Inwiefern hat sich der Krieg auf Sie ausgewirkt?
Durch meine Kriegserfahrungen haben sich meine Psyche und mein Verhalten massiv verändert. Ich weiß, wie es ist, arm zu leben oder genug zu haben. Wie es ist, ohne Strom oder Wasser zu leben. Wie es ist, Familie und Freunde plötzlich zu verlieren. Und wie es ist, wenn Gefühle und Emotionen mit der Zeit aussterben. Meine Erfahrungen im Krieg haben immer noch einen Einfluss auf mich, auf meine Entscheidungen, meine Ziele und Perspektiven. Ich musste mit 15 Jahren Verantwortung tragen, um mein Leben und meine Zukunft kämpfen. Dieses Jahr werde ich 24, und ich erlebe immer noch viel. Ich weiß nicht, was für mich noch kommt, aber ich wünsche mir nur eins: ein Happy End.
Sie haben 2017 den Youtube-Kanal „Solidarität TV“ gegründet. Was wollen Sie damit erreichen?
Wir behandeln viele verschiedene Themen, das Verständnis von Integration, Vielfalt und Solidarität in der Gesellschaft, Rassismus, Parallelgesellschaften, Bildungschancengleichheit, Zukunft und Perspektive. Es geht dabei nicht um Kohle oder Klicks, sondern um Menschenrechte und um Werte des Grundgesetzes. Wenn Medien Menschen trennen können, dann können sie sie auch zusammenbringen. Ich wollte den Menschen eine Stimme geben, die oft vergessen werden. Ich wollte Menschen unabhängig von Kultur, Religion oder Herkunft zusammenbringen.
Sie haben also nach Ihrer Flucht eine neue Sprache gelernt, das Abi nachgeholt, ein Buch geschrieben, einen Youtube-Kanal gegründet und jetzt auch noch ein Studium begonnen. Wie schaffen Sie das alles?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten, denn das ist alles automatisch gelaufen. Ich hatte nie das Ziel, nach Deutschland zu flüchten, aber der Krieg hat mich dazu gezwungen. Ich hatte auch nie das Ziel, ein Buch zu schreiben, aber die Vorurteile gegenüber Geflüchteten haben mich dazu gezwungen. Doch diese Erfahrungen haben mich stärker und selbstbewusster gemacht. In den Medien liest man häufig Zahlen und Statistiken, aber keine Geschichten. Ich wollte, dass Journalisten, Politiker und andere Menschen mit uns sprechen und nicht über uns. Ich suche kein Mitleid. Ich möchte nur, dass sich die Menschen mehr informieren, dass sie nachdenken und reflektieren, bevor sie beurteilen. Das war meine Priorität, deswegen habe ich das geschafft. Außerdem habe ich Menschen, die mich wertschätzen und auf meinem Weg unterstützen.
Wie geht es jetzt weiter, wollen Sie noch mehr Bücher schreiben?
Auf jeden Fall! Ich habe auch schon angefangen, mein zweites Buch zu schreiben. Es ist ein Roman, der in einer Fantasiewelt spielt. Dort sind Diskriminierung, Waffenproduktion, Umweltverschmutzung, Diebstahl, Betrug und so weiter legal. Die Menschen in dieser Welt haben ganz andere Werte als wir, richtig und falsch werden ganz anders definiert. Wann das Buch erscheinen wird, kann ich aber noch nicht sagen.
Interview: Rita Mahlis
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