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Fahrer kritisiert Moia: „Man fühlt sich wie eine Maschine“

Fahrer kritisiert Moia: „Man fühlt sich wie eine Maschine“
Foto:  Franson

Das kurze Einnicken an der roten Ampel, der flüchtige Blick über die Schulter beim Abbiegen, solche Konzentrationsmängel kennt Daniel Schmidt zur Genüge. „Wenn man stundenlang herumkurvt, lässt die Aufmerksamkeit nach“, sagt er. Und so hat Schmidt eine Taktik entwickelt, wie er bis zu fünf Stunden am Stück möglichst unfallfrei durch den Stadtverkehr kommt: „Mit der Konzentration haushalten“ nennt er das. Bei Schichtbeginn sucht er zunächst unbelebte Straßen auf und irgendwann, wenn die Augen zufallen, steuert er gezielt einen Stau an. „Das verschafft etwas Luft“, sagt er.

Daniel Schmidt ist Fahrer beim neuen Beförderungsdienst Moia, und er will seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen. „Wir dürfen mit keinem Journalisten reden, das Gespräch mit Fahrgästen ist uns während der Fahrt verboten“, erzählt er. Auch Musik dürfe er nicht hören. „Genießen Sie die Ruhe in Ihrem Moia“, diesen Satz sollen Fahrer an allzu redselige Kunden richten. So steht es in einer Dienstanweisung, die der HAZ vorliegt. Im Grunde, meint Schmidt, ist Moia der erste Schritt zum automatisierten Fahren – mit Menschen am Steuer. „Wir fühlen uns wie Maschinen“, sagt er.

Fahrer fühlt sich von Moia überwacht

Seit gut einem Jahr bietet die VW-Tochter ihren Beförderungsdienst in Hannover an. Irgendwo zwischen öffentlichem Nahverkehr und Taxibetrieb ordnet sich Moia ein. Das Prinzip ist einfach: Eine Flotte von T6-Bullis kurvt durch die Stadt, Fahrgäste können per App eines der Fahrzeuge zu einer virtuellen Haltestelle in der Nähe rufen. Das Computerprogramm berechnet eine Route zum gewünschten Ziel und bringt zugleich andere Fahrgäste mit ähnlichem Ziel zusammen. Prinzip Sammeltaxi. Im Gegensatz zu Taxis sind die Moia-Bullis ständig in Bewegung und haben keine festen Haltepunkte. Es gibt lediglich den sogenannten Hub, ein Depot in der Podbielskistraße, in dem die Fahrer längere Pausen verbringen dürfen.

Kurze Pausen, einmal Luft schnappen und zur Toilette gehen – das ist im Moia-Konzept eigentlich nicht vorgesehen. „Wir sind angehalten, ständig zu fahren“, sagt Schmidt. Wer ein dringendes Bedürfnis erledigen müsse, habe das mit dem Disponenten, einem Kollegen in der Zentrale, abzusprechen. „Manchmal geht es nicht anders, und ich muss irgendwo wild urinieren“, erzählt Schmidt. Stoppen scheint grundsätzlich nicht erwünscht zu sein bei Moia. Sobald ein Fahrzeug länger als eine Viertelstunde steht, leuchtet in der Zentrale eine Warnlampe und ein Disponent fragt nach, was los sei. „Wir fühlen uns überwacht“, sagt Schmidt.

Unternehmen verweist auf gute Unfallstatistik

Moia versteht die Kontrolle als Fürsorge. Tatsächlich gebe es ein Signal, wenn sich ein Fahrzeug länger als 15 Minuten nicht bewege, sagt Moia-Sprecher Michael Fischer auf Nachfrage der HAZ. „Der Disponent ist in diesem Fall angehalten, mit dem Fahrer in Kontakt zu treten, um auszuschließen, dass es sich um eine Betriebsstörung oder Schlimmeres handelt“, sagt er. Im Übrigen halte sich das Unternehmen an die gesetzlich vorgegebenen Arbeitszeiten und verfolge eine „vorausschauende Pausenplanung“. Seit Beginn des Moia-Betriebs vor einem Jahr und nach 250.000 Fahrten habe es nur zwei Unfälle mit größerem Sachschaden gegeben. Bagatellschäden und Verkehrsverstöße lägen auf einem niedrigen, weiter abnehmendem Niveau. „Diese gute Statistik ist vor allem auf das umsichtige Verhalten unserer Fahrer zurückzuführen“, meint Fischer.

Moia hält sich an die gesetzlichen Vorschriften, das lassen Schichtpläne, die der HAZ vorliegen, erkennen. Nach dem Arbeitszeitgesetz dürfen Fahrer, die nicht mehr als neun Personen befördern, bis zu sechs Stunden hinter dem Lenkrad sitzen. Moia reizt die Zeitspanne nicht aus, die längsten Schichtabschnitte dauern fünf Stunden. „Im Stadtverkehr ist das dennoch eine lange Zeit“, sagt Verdi-Sekretär Hermann Hane, Fachmann für den Bereich Transportwesen. Ihn ärgert vor allem, dass es weder einen Betriebsrat bei Moia gibt, noch einen Tarifvertrag. „Wir brauchen vernünftige Bedingungen und kein Lohndumping bei der VW-Tochter“, sagt Hermann.

Fahrer meist Geringqualifizierte

Moia-Fahrer sind überwiegend Zeitarbeiter, die meisten gering qualifiziert, einige Studenten finden sich in der Belegschaft. Schmidt bekommt nach eigenen Angaben 10,13 Euro pro Stunde brutto. Er überlegt, den Job hinzuwerfen. „Die Fahrerei macht mich fertig, das geht anderen Kollegen ähnlich“, sagt er. In den vergangenen Wochen habe er häufig leeren Raum durch die Stadt befördert. Nach dem Boom in der Testphase, als der Kilometer noch sechs Cent kostete, sei das Geschäft eingebrochen, berichtet Schmidt. Jetzt schwanken die Preise je nach Tageszeit, Angebot und Nachfrage. Im Schnitt liegen sie zwischen Taxipreisen und Stadtbahntickets.

Kürzlich haben die Moia-Fahrer eine interne Mitteilung bekommen. Darin heißt es. „Durch mehrere Unfälle“ sei Moia von Behörden auf ein Gesetz hingewiesen worden, das Gespräche beim Lenken aus Sicherheitsgründen untersagt. „Damit können angesichts der aktuellen Nachfrage nur Selbstgespräche gemeint sein“, sagt Schmidt.

Von Andreas Schinkel

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