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Diskriminierung in sozialen Medien: „Junge Menschen haben nicht genug Wissen über Antisemitismus“

Diskriminierung in sozialen Medien: „Junge Menschen haben nicht genug Wissen über Antisemitismus“
Foto: Gregor Bauernfeind/dpa

Antisemitismus zählt zu den ältesten Formen von Hass und Diskriminierung. In den sozialen Medien nimmt er neue Formen an. Die jüngsten Eskalationen in Israel und Palästina haben antisemitische Kommentare und Posts in den Netzwerken weiter normalisiert. Bildungsforscherin Nina Kolleck erklärt, warum es gerade bei der Generation Z eine so starke Polarisierung im Umgang mit Antisemitismus gibt.


Frau Kollek, welche Formen von Antisemitismus treten in den sozialen Medien auf, und gibt es bestimmte Plattformen, die besonders problematisch sind?

Antisemitismus in sozialen Medien tritt in verschiedenen Formen auf, die von Plattform zu Plattform variieren. Es gibt Memes, also visuell ansprechende, leicht teilbare Inhalte, die oft antisemitische Stereotype wie die „gierige jüdische Person“ oder Verschwörungstheorien verbreiten. Memes können ironisch oder humorvoll verpackt sein, was ihre schädliche Wirkung tarnt. Hasskommentare unter Beiträgen, die jüdische Personen oder Themen betreffen, sind weit verbreitet. Diese Kommentare beinhalten oft Drohungen, Beleidigungen oder die Verbreitung von Fehlinformationen. Auf Plattformen wie Youtube oder Tiktok verbreiten Influencer subtil oder offen antisemitische Inhalte. Beispiele sind Inhalte, die Verschwörungstheorien wie „jüdische Weltkontrolle“ ansprechen. Außerdem werden über Hashtags oft antisemitische Inhalte gebündelt, während Challenges oder Trends antisemitische Inhalte normalisieren können, indem sie sie als Scherz tarnen.

Zur Person: Nina Kolleck ist Bildungsforscherin und Politikwissenschaftlerin mit einem Fokus auf Demokratiebildung, soziale Netzwerke und die Wirkung von sozialen Medien auf gesellschaftliche Prozesse. Sie ist seit 2014 Professorin und lehrt seit 2023 an der Universität Potsdam. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Analyse von Verschwörungserzählungen und Hassrede in sozialen Medien, darunter auch Antisemitismus.

Foto: Thomas Roese/Uni Potsdam 

Denken Sie, dass die Anonymität in sozialen Medien den Antisemitismus fördert?

Definitiv, da Anonymität Hemmschwellen abbaut. Nutzer*innen fühlen sich weniger verantwortlich für das, was sie posten, da die Konsequenzen oft minimal sind. Dies führt dazu, dass antisemitische Inhalte schneller und unbedachter geteilt werden, insbesondere unter jüngeren Nutzer*innen, die sich der Tragweite solcher Inhalte nicht immer bewusst sind.

Welche Rolle spielen Desinformationen oder Verschwörungstheorien?

Eine zentrale Rolle. Beispiele wie die „jüdische Kontrolle der Medien“ oder „jüdische Schuld an globalen Krisen“ werden oft viral geteilt, da sie einfach formuliert und emotional aufgeladen sind. Junge Menschen sind für so etwas natürlich besonders anfällig, da sie Informationen häufig unkritisch konsumieren, ihnen eine systematische Aufklärung und Medienbildung fehlt und Peers die Informationen oft unkritisch teilen, insbesondere wenn sie von Influencern oder Freunden stammen.

Haben Sie selbst antisemitische Inhalte auf sozialen Medien beobachtet?

Ja, sehr viele! Das liegt aber auch daran, dass ich mich explizit damit beschäftige. Die Wahrnehmung von Antisemitismus in den sozialen Medien ist für viele Menschen – und nicht nur für diejenigen, die sich explizit mit solchen Themen beschäftigen – eine alltägliche Erfahrung. Antisemitische Inhalte begegnen uns immer häufiger, sei es in Form von Kommentaren, problematischen Witzen oder in Verschwörungsbeiträgen.

Ein Beispiel für solche subtilen Formen ist die Verwendung von Symbolen oder Codes, die auf den ersten Blick harmlos wirken, aber in antisemitischen Kontexten eine tiefere Bedeutung haben. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Verwendung von „((( )))“, das als Code genutzt wird, um jüdische Personen oder Institutionen zu markieren und auf diese Weise eine feindselige Botschaft zu verbreiten, die oft mit Verschwörungstheorien verbunden ist.

Wie entwickelt sich der digitale Antisemitismus?

Antisemitismus in sozialen Medien ist ein wachsendes Problem, das tief in gesellschaftliche und politische Dynamiken eingebettet ist. Er manifestiert sich nicht nur in offenen Beleidigungen, sondern oft subtiler, in Form von Andeutungen, Symbolen oder durch das Teilen von antisemitischen Verschwörungstheorien. Die Generation Z – als digital Native – ist besonders häufig mit diesen Inhalten konfrontiert, da sie einen Großteil ihrer sozialen und kulturellen Interaktionen online gestaltet. Viele Mitglieder dieser Generation nehmen antisemitische Inhalte entweder als „normale“ Erscheinung des Internets hin oder erkennen sie gar nicht als problematisch, was eine kritische Auseinandersetzung erschwert.

Warum gibt es gerade bei der Generation Z eine so starke Polarisierung im Umgang mit Antisemitismus?

Ein wesentlicher Aspekt ist die unterschiedliche Bildung: Viele junge Menschen sind nicht ausreichend über die Geschichte des Antisemitismus und seine Auswirkungen aufgeklärt. In vielen Fällen fehlt es an einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit den historischen und gesellschaftlichen Dimensionen dieses Problems. Dies führt dazu, dass antisemitische Inhalte entweder nicht erkannt oder nicht als problematisch wahrgenommen werden.

Ein weiterer Faktor ist die digitale Kultur, die für die Generation Z prägend ist. In der Online-Welt, in der sie sich größtenteils bewegt, werden Themen häufig in humorvoller oder ironischer Weise präsentiert. Memes und Ironie verwischen die Grenzen zwischen ernsthaften Inhalten und Spaß, was es schwieriger macht, Antisemitismus zu erkennen. Zusätzlich verstärken Echokammern in den sozialen Medien die Polarisierung: Algorithmen zeigen Nutzern Inhalte, die ihren bestehenden Überzeugungen entsprechen. So können sich oft kontroverse und polarisierende Inhalte und eben auch antisemitische Inhalte noch weiter verbreiten. Diese Algorithmen fördern Inhalte, die Aufregung und starke Reaktionen hervorrufen, was die Verbreitung von Hass und Hetze begünstigt.  

Was sind die größten Hindernisse im Kampf gegen Antisemitismus auf Social Media?

Das sind vor allem mangelnde Bildung, ineffiziente Moderationsrichtlinien und die Normalisierung antisemitischer Inhalte. Viele Menschen, insbesondere junge Nutzer*innen, haben nicht genug Wissen über Antisemitismus, um ihn richtig zu erkennen und zu hinterfragen. Auch die meisten Schulen haben in den letzten Jahren darin versagt, eine substanzielle politische und historische Bildung zu realisieren. Das liegt aber weniger an der Schulen selbst, sondern zum großen Teil daran, dass die politische und die historische Bildung zunehmend als Randfächer stilisiert wurden und die Demokratiebildung in den Schulen nicht mehr zentral berücksichtigt wurde.

Glauben Sie, dass Social-Media-Plattformen genug tun, um Antisemitismus zu bekämpfen?

Nein! Zwar gibt es Ansätze wie die Implementierung von Community-Richtlinien und Hassrede-Filter, doch diese Maßnahmen sind oft unzureichend und werden nicht konsequent durchgesetzt. Es fehlt an klaren und durchsetzbaren Richtlinien, insbesondere in weniger sichtbaren Bereichen wie Kommentaren, Direktnachrichten oder privaten Gruppen. Plattformen wie Twitter/X und Telegram haben in der Vergangenheit gezeigt, wie schwierig es ist, antisemitische Inhalte zu kontrollieren, da diese dort oft ungehindert verbreitet werden. Ein weiteres Problem ist, dass die Plattformen in vielen Fällen nicht transparent genug sind, was die Bekämpfung von Antisemitismus betrifft.

Welche konkreten Maßnahmen könnten Plattformen ergreifen, um antisemitische Inhalte zu erkennen und zu entfernen?

Plattformen sollten verbesserte Moderationsmechanismen einführen, die sowohl Künstliche Intelligenz als auch menschliche Moderatoren umfassen. KI kann dabei helfen, antisemitische Begriffe und Symbole schnell zu identifizieren, aber menschliche Moderatoren sind nötig, um den Kontext zu beurteilen und fehlerhafte Entscheidungen zu vermeiden. Darüber hinaus sollten Bildungskampagnen direkt auf den Plattformen gefördert werden. Diese Kampagnen könnten gezielt die Gefahren des Antisemitismus und die Verantwortung der Nutzer*innen thematisieren, um das Bewusstsein zu schärfen.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Einführung von härteren Konsequenzen für Nutzer*innen, die wiederholt antisemitische Inhalte verbreiten. Dies könnte in Form von Sperrungen, Account-Entfernung oder anderen dauerhaften Maßnahmen geschehen, um klarzustellen, dass Hassrede nicht toleriert wird.

Welche Verantwortung tragen Nutzer*innen selbst, um Hassrede und Diskriminierung zu bekämpfen?

Nutzer*innen tragen eine erhebliche Verantwortung, wenn es darum geht, Hassrede und Diskriminierung zu melden. Das Schweigen oder Ignorieren von antisemitischen Inhalten verstärkt deren Normalisierung und ermöglicht es, dass diese sich weiter verbreiten. Wenn jeder und jede Einzelne antisemitische Inhalte aktiv meldet und sich gegen diese stellt, trägt dies dazu bei, dass solche Inhalte schneller entfernt werden und die Plattformen gezwungen sind, stärker zu moderieren. Darüber hinaus können Nutzerinnen ihre Plattformen und Reichweiten nutzen, um über Antisemitismus aufzuklären, Diskussionen zu fördern und die Wichtigkeit der Verantwortung im Umgang mit Medien zu betonen.

Haben Sie eine Botschaft für die Generation Z oder Social-Media-Nutzer*innen im Umgang mit Antisemitismus?

Meine Botschaft ist klar: Ihr habt die Macht, den digitalen Raum sicherer zu machen. Ihr seid die digitale Generation, die die Verantwortung trägt, den Online-Raum zu gestalten und ihn zu einem Ort des Respekts, der Aufklärung und der Menschlichkeit zu machen. Jeder von euch hat eine Stimme, die ihr nutzen könnt, um gegen Antisemitismus, Hassrede  und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sowie des Rassismus anzukämpfen. Seid wachsam und hinterfragt die Inhalte, die ihr konsumiert und teilt. Kritisches Denken und Verantwortungsbewusstsein sind entscheidend, um gegen Antisemitismus anzukämpfen. Meldet antisemitische Inhalte, unterstützt Betroffene und nutzt eure Reichweite, um Positives zu verbreiten. Ihr habt die Möglichkeit, Veränderung zu bewirken und den digitalen Raum zu einem sicheren Ort für alle zu machen.

Von Jekaterina Jalunina


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Über den Autor/die Autorin:

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