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Der 8. Mai: Ein Tag der Befreiung?

Der 8. Mai: Ein Tag der Befreiung?
Foto: Unsplash/Mateus Campos Felipe

Mit der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 enden der Zweite Weltkrieg und die Diktatur der Nationalsozialisten. 2020 wird der Tag in Berlin als Feiertag begangen, allerdings durchaus umstritten. Für manche stellt der Tag nämlich nicht nur die Befreiung der KZ-Inhaftierten dar, sondern auch die militärische Niederlage Deutschlands, die in der Besetzung und Teilung des Landes endet. Wie blicken wir heute auf diesen Tag? 


Am 8. Mai vor 79 Jahren kapituliert Deutschland, wodurch der Zweite Weltkrieg beendet wird – und damit auch die Diktatur der Nationalsozialisten. Während der Nachkriegszeit sind viele Deutsche unsicher, wie dieser Tag zu begehen ist: Einerseits möchten sie die Vergangenheit verdrängen, andererseits blicken sie unsicher auf die Zukunft. Daraus entsteht eine Art Verweigerung, sich zu erinnern.

Die DDR und die BRD begehen den 8. Mai grundsätzlich anders, wie die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) berichtet. Während in der BRD eine Art Schweigekonsens herrscht und Verfolgten, wenn überhaupt, nur auf regionaler Ebene gedacht wird, ist der Tag in der DDR ein offizieller Feiertag. In der BRD wird der Tag häufig mit Trauer verbunden, die Deutschen sind demnach die Opfer des Krieges, den sie verloren haben.

Auch Historiker Norbert Frei erklärt gegenüber dem „Deutschlandfunk“: „Wirklich befreit waren am 8. Mai 1945 nur die Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager und diejenigen, die sich als aktive Gegner des Nationalsozialismus fühlen konnten und durften.“

Der 8. Mai als nationaler Feiertag?

Es ist nicht unumstritten, dass der Tag 2020 als Feiertag in Berlin begangen wurde – was auch zum 80. Jahrestag 2025 wieder geplant ist. Könnte der 8. Mai zum nationalen Feiertag werden? Da das Festlegen der Feiertage Ländersache ist, ist das nicht gerade einfach. Auch wichtig zu beachten ist, dass Deutschland ja nicht wirklich befreit wurde. Das impliziert eine gesamte Entnazifizierung, die so nicht stattgefunden hat. Der Feiertag könnte die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit allerdings voranbringen oder zumindest ein Zeichen setzen.

Samuel Salzborn, Professor für Politikwissenschaft und Berliner Antisemitismusbeauftragter, sieht die Aufarbeitung der NS-Zeit als „die größte Lüge der Bundesrepublik“ an, wie er in seinem Buch „Kollektive Unschuld“ beschreibt. Denn gerade durch die Erinnerungsverweigerung der Nachkriegszeit sei in vielen Familien die Auffassung entstanden, dass es kaum Mitläufer und Unterstützer des NS-Regimes gab. Salzborn ist der Meinung, das erneute Erstarken des Antisemitismus ab den Neunziger-Jahren hänge mit der lückenhaften Aufarbeitung des Kriegs zusammen. Forderungen nach einem Schlussstrich, den man unter die Geschichte der NS-Zeit ziehen solle, vertieften das Opfernarrativ der Deutschen.

Studien belegen lückenhafte Aufarbeitung

Mehrere Studien bestätigen diese Annahme. Die Studie „Opa war kein Nazi“ von Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall bestätigt, dass die Befragten ihre Vorfahren eher als Opfer oder Helfende darstellen denn als Täter. Die Studie des Erinnerungsmonitors, die seit 2018 läuft, bestätigt diese Ergebnisse. Demnach schätze nur ein Drittel der Deutschen die Deutschen als Täter ein. Noch geringere Prozentsätze erscheinen, wenn es um die eigenen Vorfahren geht. Es wird deutlich, dass die persönliche Schuldfrage von sich gewiesen werden soll. Auch offenbaren Studien große Wissenslücken bei Befragten, etwa bei der Frage nach Opfergruppen.

Was sagen Experten zum 8. Mai?

Oliver von Wrochem ist Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Stephanie Bohra ist Leiterin der Bildungsabteilung der Topographie des Terrors in Berlin. MADS hat mit ihnen über die Erinnerungs- und Aufarbeitungskultur in Deutschland gesprochen.

Bohra erklärt, dass der 8. Mai aus ihrer Sicht kein Feiertag werden müsse, denn Feiertage seien ja positiv konnotiert, die Verfolgung der Befreiten habe diese aber bis an ihr Lebensende begleitet. Auch gebe es bereits eine Reihe von offiziellen Gedenktagen, etwa den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar.

Oliver von Wrochem in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Foto: Natalia Kataeva
 

Von Wrochem dagegen empfindet Feiertage als förderlich für die Gedenkkultur und erklärt, die Ereignisse an diesem Tag seien von verschiedenen Menschen unterschiedlich erlebt worden. Bekenne man sich zu dem Feiertag, so bekenne man sich dazu, die Verfolgtenperspektive in die Geschichte hineinzuschreiben. Er gibt aber zu bedenken, dass die Menschen nicht vergessen dürften, dass Deutschland das NS-Regime mehrheitlich getragen habe. Die Interpretation als Befreiungstag könne in die oben genannte Selbstwahrnehmung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung als Opfer des Krieges hineinspielen. 

Wie funktioniert Erinnerungskultur ohne Zeitzeugen?

Auch die Frage nach Zeitzeugen, die die Erinnerungskultur in Deutschland maßgeblich geprägt haben, beschäftigt Bora und von Wrochem. Bohra erzählt, es gebe noch einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, gleichzeitig sei es aber so, dass in der Gedenkstättenpädagogik, also in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit von Gedenkstätten, schon länger auch ohne Zeitzeugen und Zeitzeuginnen gearbeitet werde. Stattdessen würden beispielsweise Audio- und Videointerviews genutzt, die die Erinnerungen der Überlebenden dauerhaft zugänglich machten. Auch gebe es erste Entwicklungen für „virtuelle Zeitzeugen“, die mit Aufzeichnungen von Zeitzeugenaussagen, digitalen Hologramm-Effekten und KI arbeiten. Wichtig seien auch persönliche Erinnerungsstücke von Überlebenden, die diese an Gedenkstätten und Museen spendeten. Gerade in dieser Zeit, in der es immer weniger Überlebende der NS-Verbrechen gibt, die aus eigener Erfahrung berichten können, müssten die Gedenkstätten auf neue Methoden der Vermittlung setzen, um die Menschen auch emotional zu erreichen, sagt von Wrochem.

Jungen Menschen und die Erinnerungskultur: Wie passt das zusammen?

Für Jugendliche mag die Zeit des Zweiten Weltkriegs sehr weit weg erscheinen. Dennoch sei das Interesse der jüngeren Generationen, sich mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen, durchaus vorhanden, sagt Bohra. Das bestätigt auch von Wrochem. Er erzählt, dass es auch bei ihm in Hamburg sehr viele junge interessierte Menschen gebe. Er sieht es aber vor allem als bedeutsam an, dass die Verantwortungsträger der Gesellschaft diesem Thema eine hohe Relevanz einräumen. Die Aufarbeitung des Themas müsse gesamtgesellschaftlich getragen werden, sagt er.

Von Olivia Bodensiek


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