Diese Frau designt Schmuck aus Muttermilch
Wenn Nicole Zillmann Post bekommt, muss alles ganz schnell gehen. Denn in den Paketen, die ihr regelmäßig nach Hause geliefert werden, ist verderbliche Ware. Die 31-jährige Altenpflegehelferin aus Retzow designt individuelle Schmuckstücke aus Muttermilch. Mit ihrer Geschäftsidee hat sie sich vor einigen Monaten selbstständig gemacht.
Ihre Kunden kommen aus ganz Deutschland. Über 70 Anhänger, Ringe oder Armbänder hat sie bereits gefertigt. „Erinnerungen an eine intensive Zeit mit dem Neugeborenen, die Geburt oder einen Schicksalsschlag – es gibt viele Gründe, warum sich die Frauen für ein Schmuckstück aus ihrer Muttermilch entscheiden“, so die Retzowerin, die auch Haare, kleine Stücken Nabelschnur oder Blumen vom Brautstrauß in die kleinen Kunstwerke einarbeitet.
So wird die Milch haltbar gemacht
Sie hat ein Verfahren entwickelt, die gehaltvolle Säuglingsnahrung haltbar zu machen. „Sobald die Mütter ihr Paket losschicken, läuft die Zeit. Wenn es bei mir ankommt, stelle ich die Milch in einen Extra-Kühlschrank. Dort bleibt sie je nach Fettgehalt und Zusammensetzung ein bis zwei Wochen“, so die Zweifach-Mama. Immer wieder müsse sie die Flüssigkeit, die sich an der Oberfläche absetzt, abschöpfen.
„Irgendwann ist die Milch fast trocken und kann weiterverarbeitet werden. Ich mische die Masse mit Kunstharz, gieße sie in eine Silikonform und lasse das Ganze aushärten“, so Nicole Zillmann, die bereits im Vorfeld mit ihren Kundinnen abklärt, welche Fassung, Form und Farbe sie sich vorstellen.
Von Perle bis Glitzerstein – alles ist möglich
„Ich habe viele Möglichkeiten und kann von der schlichten Perle bis zur Schneckenform alles herstellen, was sich die Mutter wünscht. Das Harz lässt sich einfärben, ich verarbeite Kristallsteine eines bekannten österreichischen Herstellers oder arbeite die fertigen Formen in alle möglichen Fassungen ein.“
Viele Stunden verbrachte sie mit Recherche, nach und nach wuchs ihr Bestand an Materialien, Silikonformen und Fassungen. Für ihren Ein-Frau-Betrieb hat sie eigens einen Raum im Keller des Retzower Mehrfamilienhauses eingerichtet, ihre Materialien sind gut sortiert. Dort arbeitet sie so oft es ihre Zeit neben dem Schichtdienst und ihrer kleinen Familie zulässt.
Familie unterstützt tatkräftig
„Mein Mann hält mir den Rücken frei, ohne seine Unterstützung hätte ich den Schritt in die Selbstständigkeit nicht gemacht“, so die 31-Jährige, die einen ihrer Anhänger in Form einer Schnecke um den Hals trägt. „Ich habe bereits während meiner ersten Schwangerschaft davon gehört und wollte ein solches Erinnerungsstück. Leider hat es mit dem Stillen nicht geklappt und so nahm ich es beim zweiten Kind gleich selber in Angriff“, erinnert sich die Retzowerin.
Karl ist mittlerweile vier und seine Schwester Lucy ein Jahr alt. Während sie im Kindergarten sind, führt Mama Nicole Zillmann Kundengespräche oder arbeitet Aufträge ab, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit macht. „Für mich ist das kein Stress, ich habe Spaß an dem, was ich tue. Manchmal werfen mich jedoch die Schicksalsschläge meiner Kundinnen um“, sagt Zillmann.
Schicksalsschläge, die bewegen
Die Erinnerung an ein Sternenkind aufrecht zu erhalten, an ein Kind, das nicht mehr da ist, das man nicht aufwachsen sehen kann, ist für viele Eltern ein wichtiger Teil der Trauer. „Diese Aufträge gehen mir sehr nahe. Ich habe automatisch Tränen in den Augen, wenn ich daran denke“, so die Zweifach-Mutter. Auch aktuell arbeitet Nicole Zillmann an einem solchen, ganz besonderen Schmuckstück.
Es ist ihr zehnter Auftrag für Mütter von Sternenkinder. Die drei kleinen Anhänger sind in Silber gefasst und auf ein schwarzes Lederarmband gefädelt. Eines der milchigen Schmuckstücke ist mit einem kleinen Kristall versehen, als Andenken an das verstorbene Kind.
Online-Shop auf Facebook
Über ihre Facebook-Seite „Schmucke Stillzeit“ vertreibt sie die individuellen Kunstwerke, bietet feste Beratungszeiten an. Auf Interesse und Zustimmung stößt sie mit ihren außergewöhnlichen Arbeiten nicht immer.
„Viele reagieren mit Unverständnis, können nicht verstehen, dass aus dem Stillen ein so großes Ding gemacht wird.“ Für sie sowie für ihre Kunden ist es das aber, denn nichts sei praktischer und gesünder für ein Neugeborenes. „Wenn du stillst, hast du alles dabei und musst keine Riesentasche mitschleppen. Außerdem entsteht eine ganz andere Bindung zum Kind.“
Stillen in der Öffentlichkeit ist ein Tabu
Was sie nicht verstehen könne, ist die Reaktion vieler Menschen. „Stillen in der Öffentlichkeit ist für viele nach wie vor ein Tabu. Warum muss ich mich mit meinem Säugling auf eine Toilette zurückziehen – es sollte doch das Normalste der Welt sein“, sagt die Retzowerin.
Von Laura Sander