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Diese Flüchtlinge wollen endlich wieder studieren

Diese Flüchtlinge wollen endlich wieder studieren
Foto:  Von Ditfurth

Das IntoStudy-Programm erleichtert Flüchtlingen den Wiedereinstieg an der Hochschule. Ein Projekt für gelungene Integration – und gegen Fachkräftemangel.

Was bedeutet das Wort ,ablenken’?”, will einer der jungen Syrer wissen. Mohamad Salem fällt sofort ein Beispiel ein: „Die Schüler werden von ihren Handys abgelenkt.” Die Teilnehmer des Deutschkurses an der Hochschule Hannover (HsH) lachen. Tatsächlich daddeln einige von ihnen unterm Tisch auf ihren Smartphones, während es eigentlich darum geht, sich gegenseitig schwierige Vokabeln zu erklären.

Was zunächst wirkt wie eine typische Seminarsituation, ist alles andere als das: Die Lernenden sind keine gewöhnlichen Studenten. Sie sind alle aus ihren Heimatländern vor Krieg, Verfolgung oder Diskriminierung geflohen. Viele von ihnen mussten dabei auch ihr Studium abbrechen. Hier, im Projekt IntoStudy der HsH, bekommen sie nun intensiven Deutschunterricht, damit sie weiterstudieren können. Nachmittags gibt es englischsprachige Einführungen in Fächer wie Informatik, Mathematik oder Kommunikation. Dafür sind die Flüchtlinge als Gasthörer eingeschrieben.

IntoStudy wurde vor knapp zwei Jahren von Professoren des Studiengangs Informationsmanagement initiiert – ursprünglich mit dem Gedanken, Flüchtlinge für ihr Fach zu motivieren. Mittlerweile bietet das Projekt Einführungen in viele  Studiengänge, die händeringend nach Nachwuchs suchen.

Floh 2014 aus Syrien: Alaa Ballan studiert jetzt Wirtschaftsinformatik – die Sprachgrundlagen lernte er beim IntoStudy-Projekt. Foto: Ditfurth

Der 29-jährige Alaa Ballan ist das beste Beispiel für den Erfolg des Into­Study-Projektes. Er war einer der ersten  Teilnehmer – und studiert jetzt Wirtschaftsinformatik an der HsH. Als politisch Verfolgter musste er 2014 sein Informatikstudium abbrechen, aus Syrien fliehen und lebt seit Januar 2015 in Hannover. Mithilfe von IntoStudy hat er vergangenes Jahr daran gearbeitet, möglichst schnell das Sprachniveau C1 zu erreichen. Das brauchen alle ausländischen Studierenden, um sich an einer deutschen Hochschule regulär einzuschreiben.

Im Seminarraum erklärt Deutschlehrerin Annegret Steudner gerade, wie der abschließende Deutschtest genau ablaufen wird. Die Teilnehmer haben vor der Prüfung in der noch fremden Sprache ganz schön Bammel. Und Alaa versteht gut, wie sie sich jetzt fühlen. Er hat den Test selbst erst im zweiten Anlauf letzten Februar bestanden. Außer ihm und einer weiteren Projektteilnehmerin sind alle Flüchtlinge des ersten Jahrgangs durchgefallen.

In den vergangenen Jahren kamen vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien viele Flüchtlinge nach Deutschland, von denen viele  wie Alaa ihr Studium abbrechen mussten. In Deutschland können sie es nur in seltenen Fällen einfach fortsetzen, sondern müssen meistens ganz von vorne beginnen.

Mit IntoStudy können die Teilnehmer schon als Gasthörer Kurse und Prüfungen auf Englisch belegen, die sie in einem zukünftigen Studium anrechnen können. Alaa belegt die Einführungskurse dieses Jahr noch einmal als richtiger Student – allerdings auf Deutsch. Ihm war es sehr wichtig, möglichst schnell die Sprache zu lernen.

Tutoren helfen auch im Alltag

Im Projekt arbeitet Alaa mittlerweile als Hiwi mit. Nach den Lehrveranstaltungen hilft er den Projektteilnehmern abends noch bei fachlichen, aber auch organisatorischen Problemen. „Manchmal brauchen sie einfach nur jemanden, der ihnen sagt, dass sie das alles schaffen können!”, erzählt Alaa. Dazu gehört zum Beispiel auch der Umgang mit bürokratischen Hürden. Projektinitiator Thomas Schult kennt solche Probleme von den meisten seiner Schützlinge. Den Betreuungsaufwand hätten sie am Anfang unterschätzt, sagt er: „Mittlerweile begleiten die Tutoren unsere Teilnehmer bei Behördengängen oder sogar zum Arzt.“

Deutsch lernen fürs Studium: Annegret Steudner unterrichtet 42 Flüchtlinge an der Hochschule Hannover. Foto: Ditfurth

Alaa und der Rest des IntoStudy-Teams hoffen, dass das Projekt sich mit den abnehmenden Flüchtlingszahlen bald noch mehr auf die fachliche Einführung der Geflüchteten konzentrieren kann.
Die Gruppe von Tutoren und  Projektteilnehmern des zweiten Jahrgangs ist in den letzten Monaten zusammengewachsen. Auch außerhalb der Hochschule verabreden sie sich über ihre Whatsapp-Gruppe zum Table Quiz oder Bowlen. Über die Tutoren haben die Flüchtlinge so auch Kontakt zu deutschen Studierenden und spüren, wie ein Studentenleben in Deutschland aussehen kann. Alaa bedeutet es viel, dass er hier in Deutschland weiterstudieren kann: „Wieder Student zu sein heißt für mich vor allem, die Chance auf einen guten Job und eine sichere Zukunft zu haben.“

 


Prof. Thomas Schult im Interview: „Da draußen ist unsere Zielgruppe“

Thomas Schult ist Professor für Neue Medien an der Hochschule Hannover und initiierte 2015 gemeinsam mit Monika Steinberg und Ina Blümel das Projekt IntoStudies an der Hochschule Hannover.

Herr Schult, wie kamen Sie auf die Idee, Flüchtlingen mit dem Projekt Into­Study den Studieneinstieg an der Hochschule Hannover (HsH) zu erleichtern?
Im November 2015 schaute ich aus meinem Büro an der Expo Plaza hinunter auf die Massen von Flüchtlingen, die damals ihre neue Unterkunft im Deutschen Pavillon bezogen. Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich sah viele junge Menschen, die so aussahen wie meine Studierenden. An dem Tag saß ich mit Monika Steinberg zusammen und wir stellten fest: Da draußen ist unsere Zielgruppe. Die jungen Männer wollen Bildung – und wir hatten damals Schwierigkeiten, unseren Studiengang Informationsmanagement vollzukriegen. Mit der Zeit haben wir allerdings gelernt, dass nicht jeder Informationsmanagement studieren möchte. So kam die Idee mit der allgemeinen Studieneingangsphase.

Thomas Schult ist Professor für Neue Medien an der Hochschule Hannover. Foto: HsH

Haben Sie sich in der Entwicklung des Projektes an bestehenden Vorbildern orientiert? 
Eher umgekehrt. Wir waren sehr früh dran. Jetzt merken wir, dass andere Hochschulen großes Interesse an unserem Modell haben.

Was ist die Hauptmotivation, Flüchtlingen den Einstieg ins Studium an der HsH zu erleichtern?
Ich finde, es ist eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die Flüchtlinge in die Hochschulbildung einzuführen. Umso schneller sind sie ein positiver Faktor in unserem Wirtschaftssystem. Uns steht schließlich ein Fachkräftemangel bevor.


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

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