Die „Segel-Piraten“ vom Darß
Sie sind bereit: Janik, Leon, Hagen und Arne. Zum ersten Mal geht es nun aufs Wasser. Vorher gab es nur Theorie. Jetzt scheint die Sonne und die Jungs tragen Schwimmwesten, man weiß ja nie. Alle Theorie ist grau, aber das Wasser ist es nicht, es ist real, braun bis schwarz, kalt und nass. Und draußen, auf dem Bodden vor Wieck auf dem Darß, weht der Wind, dort ist es rauer als im kleinen, beschaulichen Hafen des Fischerdorfes. Dort kann viel passieren, wenn man keine Ahnung hat.
Janik Schenk (15), Leon Glesmer (12), Hagen Freund (11) und sein Zwillingsbruder Arne (11) haben hier zwei Stunden Schulunterricht. Segeln. Die Freie Schule Prerow bietet das Wahlpflichtfach an. Lehrer ist Steffen Grieser (57), Pädagoge für Mathematik und AWT (Arbeit-Wirtschaft-Technik), Segelfachmann und Mitglied der DLRG (Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft) der Ortsgruppe Prerow. Besondere Kennzeichen: markantes Lachen, kurze Sätze, direkte Nachfragen. Eindruck: Der Mann weiß, was er tut.
Lehrer Grieser sagt in ruhigem Ton, was zu tun ist, zeigt, wie das Segelboot startklar gemacht wird und testet die jungen Segler. „Wie heißen die Leinen, mit denen das Segel eingestellt wird?“ Schoot. „Wie heißt die Kiste, in der ihr eure Jacken verstaut habt?“ Backskiste. Was ist Gaffel, was ist Baum, Wante, Besan? Grieser lässt nicht locker. Die Schüler sind konzentriert, versuchen, während sie die Segel vorbereiten, auf die Frage richtig zu antworten.
Warum segeln lernen?
Janik, der Älteste im Team, interessiert sich für technische Details. Er hat schon geholfen, die Jolle der Freien Schule wieder auf Vordermann zu bringen. Ansonsten angelt er gern und ist Kamerad bei der Freiwilligen Feuerwehr in Zingst. Und nun segeln? „Ich bin gern draußen“, sagt der junge Mann.
Arne meint, er möchte mal ausprobieren, ob das Segeln Spaß macht. Ist mal etwas anderes, als zu zocken. Auch Hagen und Leon zocken gern, sind nun aber auf dem Boot und lernen, welche Leinen gelöst werden müssen und wo die Segel befestigt werden, damit es losgehen kann. „Meine Mutter hat mir diesen Kurs empfohlen“, berichtet Hagen. Auch weil sie ein Segelboot hat. Leons Eltern wollen auch irgendwann mal segeln. „Und damit ich das auch kann, mache ich jetzt mit“, sagt der Schüler.
Das Boot der Crew hat mehr als 40 Jahre schon hinter sich und ist ein unsinkbarer Ausbildungskutter „K 10“, der zu DDR-Zeiten extra für die Ausbildung gebaut wurde. Lehrer Grieser hat ihn von der Segelschule Dänholm Schule organisiert. Man kann mit dem 7,5 Meter langen Fahrzeug segeln wie auch rudern. Es gibt ein Groß- und ein Besansegel sowie die Fock. Ein Wiecker Zeesboot-Besitzer spendierte einen Außenbord-Motor und das Ganze „funktioniert ohnehin nur in Kooperation mit dem Hafenmeister“, berichtet Skipper Grieser dankbar.
Unterricht passt zur maritimen Tradition
Doch wozu der Aufwand? Grieser sagt: „Unsere Vorfahren haben von der See gelebt – waren Seeleute und Bootsbauer.“ Die maritimen Traditionen geraten allmählich in Vergessenheit, meint der Pädagoge. „Der Segelkurs passt zur Region.“ Außerdem kam ursprünglich von Schülern die Idee, sagt der Ausbilder. „Im vergangenen Schuljahr sagten einige, dass sie gern das Segeln erlernen möchten.“ Die Corona-Krise verzögerte noch ein wenig den Beginn des besonderen Unterrichts.
Am Steg von Wieck stehen Urlauber, lächeln die Schüler milde an, einige hören den knappen Erklärungen und Fragen von Steffen Grieser zu. Hier lernt jeder noch dazu.
Backbord, steuerbord. Links, rechts. Dann geht’s endlich auf den Bodden. Auch bei schlechtem Wetter? „Es gibt kein schlechtes Wetter!“, ruft der Mann am Ruder.
Ungewöhnlicher Unterricht
Niederdeutsch
Seit 2017 gibt es das Fach Niederdeutsch. Es ist als Abiturfach vom Bildungsministerium anerkannt. Es gibt sechs sogenannte Schulen mit dem Schwerpunkt Niederdeutsch: in Wismar, Crivitz, Dömitz, Laage, Demmin und in Stavenhagen – dort bringt der Pädagoge Michael Gielow rund 100 Schülern von der 7. bis zur 9. Klasse das Plattdeutsche näher. Er sagt: „Unsere Schule würde sofort einen Niederdeutsch-Lehrer in Vollzeit einstellen“, so groß sei der Bedarf.
Schach
Das Brettspiel als Wahlfach gibt es zum Beispiel in Rostock-Evershagen. Der Spielleiter Schulschach von der Schachjugend MV, Jörg Sonnenberger, sagt, Schach helfe, dass Schüler konzentrierter arbeiten und zielorientierter Probleme lösen. In der Grundschule Rostock-Lichtenhagen wird Schach beispielsweise als Anwendung in der Mathematik integriert. Darüber hinaus wird Schach in vielen Schulen in Arbeitsgemeinschaften gespielt.
Angeln
Neu ist, dass der Landesanglerverband MV über ein ganzes Schuljahr zum Beispiel in Hagenow montags Angelunterricht anbietet –Theorie und Praxis. „Die Erfahrungen haben gezeigt, etwa an der Schule in Satow, dass ein halbes Jahr Unterricht für die Fülle an Theorie zu knapp bemessen ist“, sagt Christoph Wittek vom Verband. Ziel des Unterrichtes sei unter anderem, den Respekt vor Fischen auszubilden, die Verantwortung Tieren gegenüber zu stärken, die Kenntnisse über Ökosysteme zu vertiefen oder die tierschutzgerechte Verwertung und Behandlung der Fänge zu erlernen. Am Ende steht die Prüfung für den Fischereischein.
Feuerwehr
Brandschutz, Rettung, Ehrenamt – das sind einige Punkte des Feuerwehrunterrichts an vier Schulen im Landkreis mecklenburgische Seenplatte. Das dreijährige Pilotprojekt geht ins zweite Jahr und der Vorsitzende des Kreisfeuerwehrverbandes, Norbert Rieger, zieht ein erstes Fazit: „Der Unterricht läuft ausgezeichnet – wir haben bereits zwölf weitere Schulen in der Warteschleife und können den Bedarf noch nicht decken.“ Mehr als 50 Kinder der 4., 5. und 6. Klasse sind pro Jahr dabei. Ziel des Unterrichts ist die Stärkung der Selbsthilfe-Fähigkeiten in der Bevölkerung. „Unser Bestreben ist es, nach dem Pilotprojekt flächendeckend mit dem Unterricht fortzufahren“, sagt Rieger.
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Von Klaus Amberger