Debatte in den USA: Sind Abtreibungen bald verboten?
Eine Entscheidung historischen Ausmaßes: Das liberale Abtreibungsrecht in den USA soll vom Obersten Gericht gekippt werden. Darauf deutet ein geleaktes Dokument hin. Was passiert gerade in den USA? Wie sieht die aktuelle Rechtslage aus? Und was sagt eigentlich das deutsche Gesetz zum Thema Abtreibungen? MADS beantwortet die wichtigsten Fragen.
Debatte um Abtreibungen: Worum geht es genau?
Samuel Alito, konservativer Richter des Obersten Gerichts der USA (Supreme Court), sieht in der US-amerikanischen Verfassung kein explizites oder implizites Recht auf Abtreibung. Das geht aus einem am 2. Mai an das Politikmagazin „Politico“ geleakten Dokument hervor. Eine knappe Mehrheit der Richter im Supreme Court, fünf von insgesamt neun, seien der selben Meinung, meldet „Politico“. Die Aussage Alitos bezieht sich auf den Fall Roe v. Wade, der 1973 vor dem Surpreme Court verhandelt wurde. Das Urteil führte dazu, dass Frauen ein Recht auf Schwangerschaftsabbrüche eingeräumt wurde. Diese Entscheidung sei Alito zufolge „von Anfang an unerhört falsch gewesen“.
Roe v. Wade: Was hat es damit auf sich?
Immer wieder ist in der aktuellen Debatte rund um das Recht auf Abtreibungen von Roe v. Wade die Rede. Was verbirgt sich dahinter? Am 22. Januar 1973 entschied der Supreme Court im Fall Roe v. Wade, dass ein landesweites Gesetz, das Abtreibungen nur in Einzelfällen erlaubt, um das Leben der Mutter zu retten, nicht konform ist mit der Verfassung. Unter anderem wurde in dem Urteil Bezug genommen auf Zusatzartikel 14, in dem es heißt:
Keiner der Einzelstaaten darf Gesetze erlassen oder durchführen, die die Vorrechte oder Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten beschränken, und kein Staat darf irgendjemandem ohne ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz Leben, Freiheit oder Eigentum nehmen oder irgendjemandem innerhalb seines Hoheitsbereiches den gleichen Schutz durch das Gesetz versagen.
14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, Abschnitt 1
Wer waren Roe und Wade?
„Jane Roe“ hieß eigentlich Norma McCorvey. Im Jahr 1969 wurde die in Texas lebende McCorvey schwanger. Sie wollte das Kind nicht bekommen und eine Abtreibung durchführen lassen. Zu dem Zeitpunkt war dies in Texas jedoch nur unter bestimmten Umständen möglich: wenn die Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung entstand, der Grund für die Schwangerschaft Inzest war oder es darum ging, das Leben der Mutter zu retten. Gemeinsam mit den Anwältinnen Linda Coffee und Sarah Weddington erhob sie Anklage gegen Henry Wade, den damaligen Bezirksstaatsanwalt von Dallas, Texas. Sie forderte das Recht auf eine Abtreibung in einer sicheren medizinischen Umgebung. Zu ihrem persönlichen Schutz erhielt sie im Verfahren den Decknamen „Jane Roe“.
Über drei Jahre erstreckt sich der Prozess. Im Jahr 1973 fiel dann vor dem Obersten Gericht der USA die Entscheidung. „Roe“ bekam Recht. Die Folge: Abtreibungen innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate wurden legalisiert. Bis heute herrscht bei dem Thema große Uneinigkeit zwischen konservativen und liberalen Bürgerinnen und Bürgern der USA.
Sind Abtreibungen in vielen Staaten nicht trotzdem verboten?
Die Antwort darauf lautet ja und nein. Grundsätzlich verboten sind Schwangerschaftsabbrüche in keinem Staat. Allerdings gibt es besonders im traditionell republikanisch geprägten Süden der USA sehr strenge Gesetze, die Abtreibungen regulieren.
Ein Beispiel: In Texas ist das aktuell geltende Gesetz sogar strenger als zur Zeit von Roe v. Wade. Ab dem Moment, wo ein Herzschlag beim Fötus festgestellt werden kann, ist eine Abtreibung verboten. Das ist in der Regel ab der sechsten Woche der Fall. Zu diesem Zeitpunkt wissen viele Menschen mit Uterus oft noch gar nichts von der Schwangerschaft. Ausnahmen bei Vergewaltigungen oder Inzest gibt es nicht. Zusätzlich soll die Einhaltung des Gesetzes auch von Bürgerinnen und Bürgern überwacht werden. Das heißt Privatpersonen können Ärzte und Helfer verklagen, die bei einem Schwangerschaftsabbruch mitwirken. Gleiches gilt fortan auch im Bundesstaat Oklahoma.
Was passiert, wenn Roe v. Wade gekippt wird?
Werden Abtreibungen in den USA landesweit verboten, wenn Roe v. Wade gekippt wird? Das ist eher unwahrscheinlich und nicht zwangsläufig der Fall. Dennoch kann der Beschluss gravierende Folgen für Millionen von Menschen haben. Sollte das Oberste Gericht Roe v. Wade kippen, wird es wesentlich einfacher für die Bundesstaaten, Gesetze zu verabschieden, die Schwangerschaftsabbrüche streng regulieren oder sogar verbieten. Laut einer Analyse des Guttmacher Instituts gelten in 23 der insgesamt 50 Bundesstaaten bereits jetzt Gesetze, die eine strenge Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen verfolgen.
Und bereits jetzt gibt es in 13 Bundesstaaten sogenannte Trigger Laws, die Abtreibungen verbieten und unter hohe Strafe stellen. In dem Moment, in dem Roe v. Wade offiziell gekippt würde, träten diese Trigger Laws unmittelbar in Kraft. Ein Beispiel: Im Bundesstaat Kentucky wären Schwangerschaftsabbrüche dann grundsätzlich verboten und sogar eine Straftat. Ausnahmen gäbe es nur in Fällen, in denen Lebensgefahr oder die Gefahr sehr schwerer Verletzungen für die gebärende Person besteht.
Wann entscheidet das Oberste Gericht?
Eine endgültige Entscheidung des Supreme Courts wird aktuell Ende Juni erwartet. Erst dann wird offiziell abgestimmt und darüber entschieden, ob die Entscheidung zum Fall Roe v. Wade gekippt wird oder nicht. Hinweise darauf, dass es sich bei diesem Dokument um eine Fälschung handelt, gibt es nicht. Im Gegenteil: Der Vorsitzende des Gerichtshofs, John Roberts, bestätigte die Echtheit des Dokuments.
Abtreibungen: Wie sieht die Lage in Deutschland aus?
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche in §218 des Strafgesetzbuchs geregelt. Streng genommen sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nicht legal. Unter bestimmten Umständen jedoch straffrei.
Dazu ist es zum Beispiel nötig, dass Betroffene sich drei Tage vor dem geplanten Eingriff bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Anschließend muss dem Arzt oder der Ärztin, der oder die den Eingriff vornimmt, eine Beratungsbescheinigung vorgelegt werden. All das sowie der Eingriff an sich müssen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen passieren. Dann ist der Abbruch für alle Beteiligten straffrei.
Darüber hinaus steht auch die Abtreibung aus medizinischen Gründen nicht unter Strafe, also wenn für die schwangere Person Lebensgefahr oder die Gefahr „einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht“. Auch wenn die Schwangerschaft in Folge eines Sexualdelikts, beispielsweise einer Vergewaltigung entstanden ist, gibt es Ausnahmen. Ein Abbruch ist dann auch nach der zwölften Woche möglich.
Doch der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch ist für die Betroffenen nicht immer leicht. In vielen Regionen gibt es nur wenige Arztpraxen oder Krankenhäuser, in denen der Eingriff angeboten wird. Besonders in Bayern ist die Lage aus Sicht der Betroffenen dramatisch. Nach Recherchen des „Bayerischen Rundfunks“ gibt es in Niederbayern, der Oberpfalz und in Schwaben keine einzige Klinik, in der Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Insgesamt gebe es im gesamten Bundesland nur 77 Anlaufstellen für insgesamt 12.400 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr (Stand 2020).
Von Anika Schock
Lies auch: