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„Das Boot“ umschifft bei Sky alle Klippen

„Das Boot“ umschifft bei Sky alle Klippen
Foto:  Sky

Die ersten Minuten sind natürlich ein Sakrileg: Käsige Männer mit feuchten Bärten starren angstvoll auf den Tiefenmesser. Klaustrophobisches Knirschen. Das gespenstische Pochen des Echolots. Die heiseren Ansagen („Schraubengeräusch!“). Die routinierten Kommandos („Vorn unten hart, hinten unten zehn“). All die dünnen, blassen Jungs in nassen Wollpullis und viel zu großen Mützen. Dazu der legendäre 13-Töne-Soundtrack von Klaus Doldinger, bei dessen Erklingen im Kopf verlässlich ein U-Boot aus den Wellen auftaucht wie ein Wal aus dem Ozean.

Das kennen wir. Das ist der beklemmende Mikrokosmos, den Wolfgang Petersen 1981 erfunden hat. Die Lage ernst, das Trinkwasser schmutzig und die nächste Wasserbombe nie weit entfernt. Testosteronbefeuerte Möchtegernmachos in schlechter Luft. Bloß wo sind Jürgen Prochnow, Herbert Grönemeyer, Martin Semmelrogge, Uwe Ochsenknecht, Jan Fedder, Ralf Richter und Otto Sander?

Hier geht es zu den Sendeterminen.

Nur wenige Filmbilder sind derart tief im Kollektivgedächtnis verankert wie das Drama jener angststarren Männer in den schlampig verschweißten Stahlsärgen der Atlantikschlacht. Die Nachricht, dass der Pay-TV-Anbieter Sky Petersens Welterfolg neu verfilmen will, ließ daher das Schlimmste befürchten. Ein zweites „Boot“? Was soll das werden? Wie „Casablanca“ mit Heiner Lauterbach statt Humphrey Bogart? Wie „Titanic“ mit Matthias Schweighöfer? Vergreift sich Sky wirklich an diesem Heiligtum, am Urknall des deutschen Actionkinos, der dann 1985 zum Fernsehstraßenfeger mit bis zu 24 Millionen Zuschauern wurde? „Das Boot“ – das war mitten in der wachsenden Friedensbewegung ein maskuliner Dampfkessel mit magischen Bildern.

Und jetzt? Die Popcornversion? Entwarnung. Das neue „Boot“ ist kein Untergang. Regisseur Andreas Prochaska hat – abgesehen von den dramatischen ersten Minuten – nicht den Versuch unternommen, sich mit Petersen zu messen. Die Drehbuchautoren Tony Saint und Johannes W. Betz ehren ihn eher, indem sie das moralische Zwielicht im schwitzigen Dampf des engen Bootes dramaturgisch auf das Land erweitern. Nur lose orientieren sie sich an Lothar-Günther Buchheims Romanvorlagen „Das Boot“ und „Die Festung“ – dennoch ist „Das Boot“ kein Etikettenschwindel.

Das Original aus dem Jahr 1981. Quelle: United Archives/ImpressUnited Archives/Impress

Die neue Geschichte beginnt neun Monate nach dem Untergang der alten U-96 im Herbst 1942 in Frankreich. Die Lage ist düster, schon zwölf deutsche Boote liegen auf dem Grund des Atlantiks. Aus den Jägern sind Gejagte geworden. Die junge Übersetzerin Simone Strasser (Vicky Krieps) aus dem Elsass tritt im deutschen U-Boot-Hafen von La Rochelle ihren Dienst bei der örtlichen Gestapo an. Ihr Bruder Frank Strasser (Leonard Scheicher) bereitet sich als Funker mit 40 Kollegen auf die Jungfernfahrt der U-612 vor. Was Simone nicht weiß: Frank ist Morphiumschmuggler und Mitglied der französischen Résistance.

„Game-of-Thrones“-Star Tom Wlaschiha spielt mit

Schnell gerät sie selbst ins Visier des zwielichtigen, auch sexuell interessierten Gestapo-Chefs Hagen Forster („Game of Thrones“-Star Tom Wlaschiha). An Bord der U-612 liefern sich gleichzeitig der unerfahrene „Kaleun“ Klaus Hoffmann (Rick Okon) und der eifersüchtige „Eins Weh-Oh“, der Erste Wachoffizier Karl Tennstedt (August Wittgenstein), einen Machtkampf. Zu Wasser und zu Lande entfalten sich also reizvolle Konflikte um Loyalität, Liebe, Krieg und Leid mit durchaus soghafter Wirkung. Ihr dramaturgisches Bindeglied ist Frank, ihr emotionales Zentrum Simone – und ihr tiefes Thema die zerstörerische Macht von blindem Gehorsam.

Petersens Sujet war ohne jede moralische Bewertung die grausame Wahrheit des U-Boot-Kriegs, das stumpfe, alle Menschlichkeit abtötende Warten auf Tod oder Triumph. Das neue „Boot“ ist breiter angelegt, zugleich aber auch konventioneller erzählt. Der Landstrang der Geschichte ist handwerklich sauber, aber teils vorhersagbar. Vicky Krieps spielt Simone, die zunehmend in innere Überzeugungskonflikte gerät, mit unaufgeregter Hingabe und sehr präzise als sympathische Ankerfigur.

Es wird angemessen geschraubt und geschwitzt

Auf dem „Boot“ wird angemessen geschraubt und geschwitzt, an Land wird gelitten und gehadert, aber das emotionale Geschehen bleibt seltsam aseptisch. Prochaskas Achtteiler ist dennoch eine dichte, spannende und vor allem eigenständige Erzählung, die nicht den Fehler macht, Petersens Klassiker imitieren zu wollen.

Das Original verzichtete konsequent auf Land und Frauen. Prochaska liefert beides nach – freilich nicht aus Zielgruppenkalkül, wie Sky-Chef Carsten Schmidt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) versicherte: „Wir haben nicht nach einer fixen Formel gesucht nach dem Motto: Wie viel Weiblichkeit müssen wir der Serie geben?“ Seine Sorge sei aber durchaus gewesen, dass das Team „hier ein Stück Kunst zu sehr aus kommerzieller Sicht betrachtet und damit dem Ursprungsstoff nicht gerecht wird“, sagte Schmidt. „Ich war schon nervös – bis ich die ersten Bilder gesehen habe.“

27 Millionen Euro investierten Sky und die Produktionsfirma Bavaria (die schon „Das Boot“ von 1981 verantwortete) in die Serie. Die Rechte wurden bereits in 100 Länder verkauft. Das „Boot“ selbst ist ein 67 Meter langer Nachbau, der schon im Hollywoodfilm „U571“ aus dem Jahr 2000 zum Einsatz kam. Für eine Generation, die Petersens Feindfahrt nur aus den Schwärmereien ihrer Väter kennt, ist das neue „Boot“ zwar kein Serientorpedo, aber eine zeitgemäße Neuauflage. Und das muss man im Angesicht der einschüchternden Vorlage auch erst mal schaffen.

Von Imre Grimm/RND


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