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Containern: Der illegale Kampf gegen die Verschwendung

Containern: Der illegale Kampf gegen die Verschwendung
Foto: Insa

Tonnenweise essbare Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Biomüll. Aktivisten und Aktivistinnen wie Merten und Joan gehen deshalb containern – das heißt, sie fischen Lebensmittel aus Müllbehältern von Supermärkten. Das Problem: Das ist in Deutschland verboten. MADS-Autor Arne war bei einer Tour dabei.

„Brauchbares aus der Region“, steht in großen Buchstaben auf dem Werbeplakat vor dem Supermarkt. 

„Brauchbares” wird Joan heute auch finden. Nur nicht im Supermarkt, sondern in der Mülltonne. Es ist nach 21 Uhr, als sie an diesem Banner vorbeiradelt und zielstrebig einen kleinen Hinterhof ansteuert. Nach kurzer Suche in den Biomülltonnen findet Joan eine Menge Bananen, Weintrauben, Milchpacks, Joghurt und Wurst. Auf den ersten Blick wirkt alles davon nicht nur essbar, sondern in fast perfektem Zustand. Warum sollte ein Supermarkt so viele Lebensmittel wegschmeißen? 

Diebstahl oder Hausfriedensbruch: Containern ist strafbar

Seit Anfang 2020 geht Joan Containern, also „Lebensmittel retten“. Eine Rettung, die in Deutschland strafrechtlich geahndet werden kann. Der Vorwurf des Hausfriedensbruchs wird in solchen Fällen oft geltend gemacht, manchmal aber auch einfacher Diebstahl. „Ich kann es einfach nicht sehen, dass noch essbare Lebensmittel in der Tonne landen“, sagt Joan. Aus diesem Grund bevorzugt sie diesen Weg, um an ihr Essen zu gelangen. Bis zu 70 Prozent ihrer Ernährung könne sie so abdecken, nur noch Reis, Nudeln oder Öl müsse sie noch einkaufen. 

Früher war Joan fast jeden zweiten Tag containern, inzwischen ist es seltener geworden. Das liegt daran, dass es immer weniger gute Spots zum Containern gibt. Die Supermärkte schließen ihre Mülltonnen ein und umzäunen sie. Sogar Stacheldraht wird benutzt, um die „Diebe“ fernzuhalten.

Während immer mehr Spots verschwinden, ist die Menge an Biomüll in Deutschland nach wie vor gigantisch. Laut Daten des Stastistischen Bundesamtes landen jährlich circa elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Eine Studie der Umweltorganisation WWF aus dem Jahr 2015 zeigt, dass in Deutschland pro Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen werden. Ganze zehn Millionen Tonnen davon wären der Studie zufolge vermeidbar.

Das abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist der häufigste Grund, warum Lebensmittel entsorgt werden. Dabei sind die Produkte häufig noch genießbar, wie Joans Funde zeigen.

Völlig genießbar: Die Ausbeute von Joan und MADS-Autor Arne nach dem Containern. Foto: Arne Seyffert

„Noch genießbar, aber nicht mehr verkaufbar“

Es gelte bei Lebensmittelhändlern der Grundsatz, wenn Lebensmittel nicht mehr verkaufbar sind, dann werden sie weggeschmissen, klagt Merten. Der selbsternannte „Müllfluencer” setzt sich schon seit 2016 aktivistisch gegen Lebensmittelverschwendung ein. Unter dem Künstlernamen „tonnentaucherwelpe“ zeigt er auf Instagram und YouTube seinen mehr als 10.000 Followern, wie mehr Wertschätzung für Lebensmittel geschaffen werden kann.

Merten sagt: „An den Produkten ist nichts kaputt.“ Stattdessen werden sie „aus Marketinggründen“ weggeschmissen. Sobald ein Obst Druckstellen aufweist oder die Verpackung eines Joghurtbechers Knicke aufweist, wird es weggeschmissen, weil der Kunde ein makelloses Produkt bevorzuge.

„How to Containern“: Merten klärt in seinen Youtube-Videos über die verbotene Praxis auf.

Merten erhofft sich keine Verbesserung durch das Containern, „dazu sei es zu sehr Symptombekämpfung.“ Schließlich können Einzelne keine 18 Millionen Tonnen Lebensmittel retten. Durch seinen Aktivismus möchte er aber mehr Bewusstsein in der Gesellschaft schaffen. „Lebensmittel, die nicht mehr verkaufbar sind, sind kein Müll”, betont er.

Das Konzept der „Fairteiler“: Legale Lebensmittelrettung

Charlotte aus Leipzig verfolgt einen anderen Weg, Lebensmittel zu retten. Sie ist bei Foodsharing e.V. in Leipzig aktiv. Während sie von ihrem Engagement erzählt, befüllt sie einen sogenannten „Fairteiler“. Sorgsam verpackt sie Brot und Brötchen, Zwiebeln und Paprika in Taschen, die sie dann an einem Fahrrad anbringt. Hier darf sich später jeder bedienen. Allerdings gibt es strenge Vorgaben, was in die Taschen darf und was nicht. “Alles was in den Kühlschrank muss und schimmeln kann, darf nicht rein”, so Charlotte. 

Oft holen die Foodsharing-Aktivisten auch Lebensmittel aus Betrieben, die nicht mehr benötigt werden. „Es ärgert mich, dass ich nicht schon früher darauf gestoßen bin“, sagt Charlotte. Auch sie möchte mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass vor allem der Verbraucher auf die Problematik aufmerksam wird. So gut wie jedes Mal hinterlässt sie einen gut gefüllten “Fairteiler”. 

Legale „Essensrettung“: Charlotte füllt einen „Fairteller“: Foto: Arne Seyffert

Foodsharing ist im Gegensatz zum Containern legal, da eben keine Abfälle „geklaut“ werden. Die Aktivisten und die Betriebe arbeiten kooperativ zusammen. Gerade das sei für Charlotte das Schöne daran. Die Praxis des Containerns lehnt Foodsharing e. V. grundsätzlich ab und distanziert sich davon.

Joan und Merten geht die legale Variante, Lebensmittel zu retten, hingegen nicht weit genug. Natürlich sei Foodsharing eine gute Sache, sagt Joan. Allerdings wird immer eine hohe Zuverlässigkeit gefordert, die viele nicht garantieren könnten.

Frankreich: Supermärkte übergießen Restmüll mit Chemikalien

Einig sind sich alle drei darin, dass sowohl Politik als auch Unternehmen mehr tun müssen, um die Verschwendung zu stoppen. In Frankreich verbietet ein Gesetz Supermärkten seit 2016, unverkaufte Lebensmittel, die noch genießbar sind, wegzuwerfen. 

Doch wie wirkungsvoll ist das Gesetz? Merten erzählt, dass französische Supermärkte ihre Lebensmittel mit Reinigungsmitteln und Chemikalien übergießen würden, damit sie wirklich nicht mehr genießbar seien. Über diese perfide Praxis berichtete unter anderem die „Süddeutsche Zeitung”. Das ist allerdings ein Verstoß gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung, inzwischen drohen den Supermärkten hohe Strafen für solche Vergehen.

Auf der Suche: Seit Jahren kämpft „Müllfluencer“ Merten für mehr Wertschätzung für Lebensmittel. Foto: Sophia Roßberg

Sind sich die Supermärkte ihrer Verantwortung bewusst?

In Deutschland fehlen solche Gesetze. Immerhin machten Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Justizminister Marco Buschmann Anfang des Jahres den Vorstoß, das Containern zu entkriminalisieren – also straffrei zu stellen. Eine entsprechende Gesetzesänderung müssen aber die Bundesländer beschließen. Bewegt hat sich bis heute nichts.

Aber was tun die Supermärkte selbst gegen ihr Müllproblem? Der Rewe-Markt spende unverkaufte Lebensmittel seit 1996 an die Tafeln, teilt Pressesprecher Thomas Bonrath auf Anfrage mit. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die abgelaufenen Lebensmittel aus Verbraucherschutzgründen nicht mehr angeboten werden dürfen. „Deshalb sind unsere Container grundsätzlich nicht frei zugänglich und das Containern daher bei uns kein Thema.“

Es bleibt die Frage, warum viele Supermärkte nicht stärkere Maßnahmen gegen die Verschwendung genießbarer Lebensmittel treffen. Merten hat darauf eine ernüchternde Antwort: „Am Ende ist es einfacher, alles in die Tonne zu kloppen, als sich die Mühe zu machen und die Sachen zu spenden.”

Von Arne Seyffert


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

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