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Cannabis-Psychose: Wenn nach dem Kiffen der gesundheitliche Albtraum folgt

Cannabis-Psychose: Wenn nach dem Kiffen der gesundheitliche Albtraum folgt
Foto:  Unsplash/Thought Catalog

MADS-Autor Yannick erlebte nach einem Joint einen Horrortrip. Eineinhalb Jahre lang ging es ihm schlecht. Cannabis werde allzu oft verharmlost, meint er – und spricht sich trotzdem für eine Legalisierung aus.


Es waren nur ein paar Züge, abends mit ein paar Bekannten, nach einem anstrengenden Arbeitstag. Doch die Nachwirkungen dieser Züge an meinem letzten Joint hielten mindestens eineinhalb Jahre an. Es war die mit Abstand schlimmste Zeit meines Lebens.

Ampelkoalition will Cannabis legalisieren

Die neue Bundesregierung will Cannabis legalisieren. Gerade junge Leute reagieren euphorisch auf diese Ankündigung. Jahrelang haben sie sich in sozialen Medien über die Drogenbeauftragte der Bundesregierung lustig gemacht, die Sätze prägte wie „Cannabis ist kein Brokkoli“. Haben Alkoholtote (viele) und Grastote (keine) gegeneinander aufgerechnet, um für die Legalisierung zu werben.

Ich habe mich immer über solchen plumpen Aktivismus aufgeregt. Die Vergleiche der Toten fand ich verharmlosend. Sterben ist nicht das einzig Schlimme, was durch Drogenkonsum passieren kann. Aber trotz meiner schrecklichen Erfahrung finde ich die Legalisierung richtig. Vielleicht auch gerade deswegen.

Das eine verdammte Mal

Doch von Anfang: In meiner Jugend war ich im Umgang mit Drogen eher vorsichtig. Freunde von mir haben schon mit 15 regelmäßig gekifft, mitgemacht habe ich damals nie. Erst mit Mitte zwanzig habe ich hin und wieder mitgeraucht. Ich mochte das Ritual und die Wirkung. Wie leicht angetrunken, aber entspannter, wärmer. Besonders stark war der Effekt bei mir nie. Bis zu diesem einen verdammten Mal an einem Juniabend 2015.

MADS-Autor Yannick. Foto: Lena Köpsell

Zuerst kam die Übelkeit. Ich verabschiedete mich, ohne mir etwas anmerken zu lassen, und wollte nach Hause laufen. Ich kannte den Weg gut, etwa 20 Minuten, kein Problem. Doch plötzlich war ich vollkommen orientierungslos, konnte nicht mehr weiter sehen als auf den Boden vor meinen Füßen. Mehr als eine Stunde brauchte ich bis nach Hause, musste unterwegs mehrmals auf dem Handy nachsehen, wo ich gerade bin. Wie oft ich mich übergeben habe, weiß ich nicht mehr.

Endlich zu Hause. Schnell schlafen, morgen wird es schon wieder okay sein, dachte ich. Aber als ich im Bett lag, ging es erst richtig los. Die Wände meines Zimmers fingen an, sich zu bewegen, immer weiter von mir weg, bis ich das Gefühl hatte, im Freien zu liegen. Ich sah sonderbare Farben, obwohl es dunkel war und meine Augen geschlossen waren. Mich packte eine Verzweiflung, die ich in der Form erst einmal vorher gespürt hatte, nämlich als ich in einem Fiebertraum davon überzeugt war, alleine für den sich gerade ereignenden Weltuntergang verantwortlich zu sein.

Das Gehirn drückt gegen die Schädeldecke

Zufällig übernachtete meine Schwester an diesem Tag bei mir. Ich schaffte es, mich zu ihr ins Nebenzimmer zu schleppen, und sie konnte mich ein bisschen beruhigen. Irgendwann schlief ich endlich ein. An die folgenden Tage erinnere ich mich kaum. Ich weiß nur noch, dass ich mich wie in einem Tunnel fühlte. Das meine ich wörtlich. Ich konnte nur noch das sehen, was ich direkt anschaute, alles andere existierte nicht. Auch mein Kurzzeitgedächtnis war zeitweise fast weg. Ich legte einen Gegenstand aus der Hand und konnte mich Sekunden später nicht mehr erinnern, wo er hingekommen sein könnte.

Mit der Zeit wurde mein Gedächtnis wieder besser, mein Sichtfeld wieder etwas weiter. Was blieb, war ein sonderbares Gefühl in meinem Kopf. Als sei das Gehirn geschwollen und würde gegen die Schädeldecke drücken, die jeden Moment aufplatzen könnte.

Das Schlimmste war es in dieser Zeit, jeden Morgen aufzuwachen und zu merken, dass die Normalität immer noch nicht zurück war. Jedes Einschlafen war die Hoffnung auf den Neustart, jeder Morgen war Ernüchterung.

Bleibt das jetzt für immer so?

Der Arzt, bei dem ich mich behandeln ließ, war nicht überrascht. Dass Cannabiskonsum solche Folgen haben könne, sei kein Einzelfall, sagte er. Zumal man bei dem Gras, was sich im Handel befinde, nie wissen könne, ob es nicht mit Spuren anderer, härterer Drogen verunreinigt sei. Sein Rat: „Machen Sie es wie Merkel: aussitzen.“

Und das tat ich. Relativ schnell war ich auf einem Level, auf dem es mir zwar nicht gut ging, ich aber funktionierte. Ich konnte arbeiten, studieren, Leute treffen. Mir nichts anmerken lassen. Wenn ich Freunden erzählte, wie ich mich gerade fühlte, waren die sehr überrascht.

Über allem stand immer die Frage: Bleibt das jetzt für immer so?

Zum Glück nicht. Nach etwa eineinhalb Jahren wurde das Hirnschwellungsgefühl so selten, dass ich nicht mehr jeden Morgen in mich hineinfühlen musste, auf der Suche nach Normalität. Ob heute wieder alles genau wie vorher ist oder ob ich mich an manche Sachen gewöhnt habe, kann ich nicht sicher sagen. Die Diagnose Cannabis-Psychose habe ich nie erhalten. Heute weiß ich aber, dass es genau das gewesen sein muss.

Gesundheitliche Probleme nach Cannabiskonsum sind nicht selten, erfährt Yannick beim Arzt. Foto: Unsplash/Christopher Lemercier

Nie wieder werde ich an einem Joint ziehen. Teilweise werde ich schon nervös, wenn ich das Zeug nur rieche. Zu groß ist die Angst vor der Hilflosigkeit, dem eigenen Körper und Geist nicht mehr vertrauen zu können. Ich wünsche niemandem, einen solchen Horrortrip erleben zu müssen.

Lies auch: Jugendschützerin: „Darf nicht der Eindruck entstehen, dass Cannabis harmlos sei“

Die Legalisierung ist trotzdem richtig. Erstens, weil das Verbot niemanden vom Kiffen abhält. Ich kenne nur wenige Menschen in meinem Alter, die noch nie Gras geraucht haben. Und die hätten es sicher auch nicht getan, wenn es legal wäre. Laut dem Forschungsbericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2019 hat fast die Hälfte aller Deutschen zwischen 18 und 25 schon mal gekifft.

Legalisierung macht Cannabis-Konsum sicherer

Der wichtigere Grund: Die Legalisierung ermöglicht Qualitätskontrollen. Ich weiß bis heute nicht, woher das Zeug kam, das mich auf meinen Horrortrip geschickt hat. War da noch irgendetwas anderes mit drin? War es einfach zu stark? Vielleicht wäre mir mit legal gekauftem Gras dasselbe passiert, das Risiko besteht immer. Vielleicht aber auch nicht. Legalisierung bedeutet vor allem auch Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten.

Dieser Text soll kein erhobener Zeigefinger sein. Wer erwachsen ist und kiffen will, soll kiffen. Viele kommen gut damit klar. Entscheidend wird sein, neben der Legalisierung mehr über Risiken aufzuklären. Und mehr Hilfsangebote für die anzubieten, bei denen etwas schiefgeht. Denn es wird immer wieder Leute geben, die ein Joint in die Psychose schickt. Cannabis ist nämlich wirklich kein Brokkoli.

Von Yannick von Eisenhart Rothe


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

3 Bemerkungen

  1. Change

    Das war keine Cannabis-Psychose. Die tritt oft erst nach übermäßigen Konsum über einen längeren Zeitraum auf. Was viele nicht wissen ist, dass Cannabis Platten oft mit Fremdstoffen gestreckt werden um den Gewinn zu steigern. Kundenbindung erfolgt dann mit von z.B. LSD verunreinigten „Piece“ (kleine Stücke für den Konsumenten), um die Wirkung zu verstärken und Lust auf eine „Pappe“ (LSD Trip) zu machen. Aufgrund der Beschreibung vom Autor tippe ich mal auf eine „Verunreinigung“ mit LSD (intensive Farben und sich bewegende Wände). Aus diesem Grund kann man es nur befürworten, dass Cannabis endlich legalisiert und über offizielle Verkaufsstellen angeboten wird. Dadurch wird die Polizei entlastet, der Staat verdient mit und der Konsument wird vor „Dreck“ bewahrt.

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  2. Larry

    Ich kann genau nachvollziehe, was der Autor durchgemacht hat. Ich habe das gleiche nämlich auch schon zwei mal erlebt. Beim ersten mal dachte ich noch es lag am schlechten oder gestreckten Gras. Beim zweiten mal dann das gleiche wieder, beide Male war es absolut furchtbar. Es war einfach der pure Kontrollverlust über den eigenen Verstand gepaart mit heftigster Paranoia und Übelkeit. Ob ich jetzt wirklich zwei mal Pech mit dem Gras hatte, ob es einfach zu viel von der Menge her war oder ob ich das ganze einfach nicht vertrage – keine Ahnung. Eigentlich schade, denn so einen leichten, entspannenden Rausch kann ich mir schon gut vorstellen. Vielleicht werde ich es nach der Legalisierung mal mit einer sanften Sorte in kontrollierter Umgebung ausprobieren.

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  3. Knauy

    Der THC Gehalt ist in dem heutezutage verkauften Cannabisprodukten häufig so hoch, dass er durchaus Halluzinationen auslösen kann. Diese Halluzinationen können gerade bei psychisch labilen Personen durchaus Angstzustände auslösen. Ich wäre im Prinzip trotzdem für eine Legalisierung, allerdings sollte ein Beratungsgespräch durch eine Drogenberatungsstelle oder speziell geschulte Ärzte vor einer Berechtigung zum Kauf zwingend vorgeschrieben werden.

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