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Blinde Passagiere: Was neue Tier- und Pflanzenarten für unsere Umwelt bedeuten

Blinde Passagiere: Was neue Tier- und Pflanzenarten für unsere Umwelt bedeuten
Foto:  Shutterstock

Der Waschbär ist nur ein Beispiel: Neue Tier- und Pflanzenarten kommen nach Europa. Aber wie kommen sie hierher? Und was bedeutet das für die einheimische Flora und Fauna?


Egal, wo man hinschaut, man findet sie eigentlich überall. Sei es der Waschbär aus Nordamerika, der nun flächendeckend in Deutschland zu finden ist, das Indische Springkraut, welches entlang von Uferböschungen reichlich vorkommt, oder der auffällige Halsband-Sittich, der ursprünglich aus Südasien stammt.

Die Rede ist von neuen Tier- und Pflanzenarten, die es vorher bei uns noch nicht gab, sogenannten Neobiota. In Deutschland geht man offiziell von etwa 800 Neobiota aus, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen könnte. Aber wo kommen diese Arten her, und was bedeutet dies für unsere einheimische Flora und Fauna?

Ein Großteil dieser Arten wird über den internationalen Handel und Transport eingeführt. Ein Beispiel: Schiffe stellen das Rückgrat des weltweiten Handels dar und verbinden mittlerweile alle Küsten der Erde miteinander. Und mit jedem Schiff werden nicht nur Güter oder Menschen transportiert, sondern auch Muscheln, die sich an den Schiffsrumpf anheften, Fische, Krebse und Plankton, welche mit dem Meerwasser in die Ballastwassertanks der großen Frachtschiffe gepumpt werden, oder Insekten und Pflanzensamen, die zufällig in Container gelangten.

Unbemerkte blinde Passagiere

Als blinde Passagiere können diese Arten in kurzer Zeit in weit entfernte Gebiete transportiert werden und diese besiedeln. Neben dem Schiffsverkehr gibt es eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten der Einfuhr: Arten können in Flugzeugen transportiert werden, aber auch in Zügen, Autos und Lastwagen.

Eigentlich werden mit jeder Bewegung von Fahrzeugen oder Menschen auch Tiere, Pflanzen und andere Organismen transportiert. Manchmal findet dies absichtlich statt, etwa bei exotischen Haustieren wie Reptilien oder Gartenpflanzen, die häufig nicht einheimisch sind. Aber in den meisten Fällen bekommen wir das gar nicht mit.

Das Ausmaß dieser Ausbreitung von Neobiota ist enorm. Weltweit wurden bisher 13 168 Pflanzenarten außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets gefunden. Die Zahl entspricht in etwa der Gesamtzahl an Pflanzen in Europa. Man weiß aber auch von knapp 1000 nicht einheimischen Vögeln weltweit und schätzt auf mehr als 3000 neue Insektenarten allein in Europa.

Globaler Handel, Schiffs- und Flugverkehr begünstigen die Ausbreitung von Tier- und Pflanzenarten – sei es absichtlich oder zufällig
Globaler Handel, Schiffs- und Flugverkehr begünstigen die Ausbreitung von Tier- und Pflanzenarten – sei es absichtlich oder zufällig. Quelle: privat

Und es werden immer mehr. Eine aktuelle Studie unter Leitung des Autors hat ergeben, dass jeden Tag irgendwo auf der Welt eine neue Art hinzukommt. Und der Trend geht steil nach oben, sodass wir auch in Zukunft noch mit vielen anderen Arten rechnen können.

Aber was bedeutet das für die Natur oder für uns? Die Einwanderung neuer Pflanzen- und Tierarten ist ein natürlicher Prozess, der einen festen Bestandteil der Erhaltung von Arten und Biodiversität – der Vielfalt des Lebens – darstellt. Allerdings hat der Mensch die Rate der Ausbreitung drastisch erhöht und auch Gebiete auf unterschiedlichen Kontinenten miteinander verbunden, die vorher nie verbunden waren. Wir befinden uns aktuell in einer Phase der Erdgeschichte, in der Arten auf der Erde in großer Zahl neu verteilt werden.

Die Konsequenzen dieser modernen Ausbreitung sind vielfältig und nicht immer einfach zu verstehen. Man könnte es als Zugewinn betrachten, da wir nun mehr Arten haben, die vielleicht sogar dem Verlust an einheimischer Biodiversität entgegenwirken könnten. Dabei vergisst man aber, dass die Ausbreitung von Neobiota ein globales Phänomen ist und dass Biodiversität nicht nur vor unserer Haustür stattfindet.

Die Lebensgemeinschaften werden weltweit immer ähnlicher

Biodiversität beschreibt auch die Vielfalt an regionaler Einzigartigkeit. Über Millionen Jahre haben sich sehr unterschiedliche Lebensgemeinschaften auf der ganzen Welt entwickelt. Wenn nun Arten ausgetauscht werden, werden die Lebensgemeinschaften weltweit einander immer ähnlicher, da immer dieselben Arten auftauchen. Die regionale Einzigartigkeit – und damit Biodiversität – nimmt ab.

Auch wenn wir vor unserer Haustür einen Anstieg in der Anzahl an Arten beobachten, kann der Austausch an Arten mit der heutigen Geschwindigkeit immer nur zu einem Verlust an globaler Biodiversität führen. Daneben gibt es zahlreiche weitere Auswirkungen auch für die menschliche Gesundheit, Wirtschaft oder Gesellschaft. Die Effekte können positiv oder negativ ausfallen, wobei bei vielen Arten beides auftreten kann, was die Sache kompliziert macht.

Der Halsbandsittich stammt ursprünglich aus Asien, lebt aber mittlerweile auch in vielen Städten in Europa

 

Der Halsbandsittich stammt ursprünglich aus Asien, lebt aber mittlerweile auch in vielen Städten in Europa. Quelle: privat

Neobiota mit überwiegend negativen Auswirkungen wie Forst- oder Agrarschädlinge werden als invasive Arten bezeichnet und bekämpft. Bei anderen Arten fällt die Entscheidung nicht so leicht. Die höhere Anzahl an Krebsarten in unseren Gewässern mag manchen Angler erfreuen, brachte aber die einheimische Krebsart an den Rand der Ausrottung. Die Bewertung der Neobiota hängt häufig von der Perspektive ab.

Aber was kann unternommen werden, um die Ausbreitung von invasiven Arten einzudämmen? Sobald Arten einmal große Populationen aufgebaut haben, ist es sehr schwierig und kostenintensiv, diese wieder zu entfernen.

Die effizienteste Maßnahme stellt daher die Vermeidung des Transports und der Einfuhr neuer Arten dar. Die Kosten hierfür liegen deutlich unter denen zur Bekämpfung der Arten, nachdem sie einmal stabile Populationen aufgebaut haben. Länder wie Aus­tralien oder Neuseeland haben die Problematik bereits früh erkannt und strikte Kontrollen eingeführt, da sie massive Probleme mit invasiven Arten haben. Europa ist von solchen Standards noch weit entfernt.

Von Hanno Seebens


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

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