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AnnenMayKantereit: So klingt „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“

AnnenMayKantereit: So klingt „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“
Foto: Martin Lamberty

„Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ ist das vierte Album von AnnenMayKantereit. Die Pop-Rock-Band überzeugt mit melancholischer Stimmung, Alltagsszenarien und der Ruhe, die all ihren Texten innewohnt.


Dass einem Album namens „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ als erste Hörprobe ausgerechnet eine Single namens „Ausgehen“ vorausgeht, wirkt erst mal ironisch. Wenn man sich AnnenMayKantereits viertes Werk dann aber in seiner Gesamtheit anhört, fügen sich die Puzzlestücke zusammen. Die Band betrachtet „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ als „Gastgeberalbum“. Das heißt, dass bei den Sessions zum Album Gäste anwesend waren, der Musikschaffensprozess also von Freundinnen und Freunden begleitet wurde. Die Intimität, die wohl oder übel mit dem Teilen der eigenen Kunst einhergeht, ist dem Album durchweg anzuhören und fungiert als Bindeglied zwischen den 15 Titeln.

Ohrwürmer und Offenheit

Das vierte Album der Pop-Rock-Band führt fort, wofür die Musiker bekannt sind. Simpel gestaltete Melodien, bei denen kein Ton unüberlegt gesetzt scheint, melancholische Stimmung und Ohrwurm-Refrains, vorgetragen von einer der großartigsten Stimmen der deutschen Musiklandschaft. „Lass es raus“ fordert der Opener „Lass es kreisen“ auf, und eben genau das haben auch AnnenMayKantereit im Folgenden getan. Zwar ist der erste Song der schnellste, vielleicht auch der tanzbarste, doch ein falsches Bild zeichnet er nicht. Von Beginn an vermitteln AnnenMayKantereit nämlich die gewohnte Offenheit. „Wenn du fällst, fang ich dich auf“, heißt es, und diese Unterstützung blitzt auch in anderen Songs durch.

Gefühlvolle Nahbarkeit bei AnnenMayKantereit

Hervor sticht das besondere Miteinander in drei Liebesliedern in der Mitte des Albums. „Katharina“ hebt Positives an einer Person hervor, die diese Dinge bei sich selbst nicht sieht. Die Protagonistin wird nicht beschönigt, sondern gerade für ihr Nicht-Perfektsein geliebt. „Verliebt sein“ hebt die Relevanz von Kommunikation in Beziehungen hervor. Danach wird in „Ausgehen“ der Respekt des lyrischen Ichs gegenüber der besungenen Person deutlich. Nie kommt es zu unrealistischen Überhöhungen, stets ist klar, dass eine normale Person bewundert wird. Die Band inszeniert sich damit als nahbar, geht aber den entscheidenden Schritt weiter. In manchen Kreisen mag es bereits zum Alltag gehören, doch manche Menschen gestehen sich eine solche Verletzlichkeit, wie AnnenMayKantereit sie in ihren Texten zeigen, nicht zu. Doch die Musik der Band bringt diese Denkweise in den Mainstream.

Aktuelle Zeitlosigkeit

Ebenso aktuell ist „Als ich ein Kind war“. Das Konzept des Erzählens von früher wird häufiger der Großelterngeneration zugeschrieben, doch hier spricht mit Henning May ein Millennial. Es geht um das Aufwachsen ohne Internet und andere Annehmlichkeiten. Aufgegriffen wird dabei aber die Social-Media-„Aesthetic“ der Nostalgie. Mit dem „Orangenlied“ wird diese dann auch in einen zeitlosen Kontext gesetzt: In diesem Gänsehautstück geht es darum, dass man über Dinge sprechen muss, damit sie nicht in Vergessenheit geraten – und warum nicht lieber früher?

Auf dem Album findet auch das bereits 2019 in Live-Version veröffentlichte „Tommi“ ein Zuhause. Zwar ist der Song nicht ganz so eindrücklich wie andere Tracks, sticht dafür aber durch seine Form durchaus hervor. Der im Kölner Dialekt vorgetragene Song ist eine Liebeserklärung an die Heimatstadt von AnnenMayKantereit. Der Karnevalsmusik ist das Lied fern – es geht um ein Gefühl von Zuhause.

AnnenMayKantereit: Ruhepunkt

Die Musiker beschreiben Lebensrealitäten, die Hörenden bekannt sind. Das macht ihre Musik greifbar, erzeugt auch als Studioaufnahme ein Wohnzimmerfeeling. Untermalt sind die Songs wie üblich für AnnenMayKantereit mal von Klavier, mal von Akustikgitarre, doch auch Soli finden ihren Platz. Henning Mays Stimme, gewohnt immer irgendwo zwischen cooler Gleichgültigkeit und tiefer Betroffenheit, vermittelt hier vor allem eines: Es ist okay. Dieses Gefühl und die Bestätigung machen „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ zum Soundtrack einer nachdenklichen Generation, zum Ruhepunkt in einer schnelllebigen Gesellschaft.

Info: „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ erscheint am Freitag, 3. März.


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Über den Autor/die Autorin:

Annika Eichstädt

Annika (24) macht ihren Master in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft. Das ist zwar brotlose Kunst, aber sie liest oder schreibt nun einmal den ganzen Tag. Bei MADS rezensiert sie am liebsten Musik oder Serien.

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