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„Wir waren glücklich, aber dann kam der Krieg“: Ali berichtet von seiner Flucht aus Syrien

„Wir waren glücklich, aber dann kam der Krieg“: Ali berichtet von seiner Flucht aus Syrien
Foto: Sonja Scheller

In seiner Heimat Syrien herrscht seit elf Jahren Krieg. Mittlerweile lebt Ali Abazid seit acht Jahren in Deutschland. Vor neun Monaten wurde seine Ausbildung zum Computertechniker komplett anerkannt. So lebt und arbeitet Ali nun in Hannover.


„Es hat lange gedauert, aber Gott sei Dank habe ich das endlich geschafft“, sagt Ali über die erfolgreiche Anerkennung seiner Ausbildung. Wenn er das sagt, klingt er nicht stolz auf seine Leistung, sondern dankbar. Nach acht Jahren in Deutschland hat es im Februar dieses Jahres endlich geklappt. 

Ali hat dunkle freundliche Augen und schwarze Haare. Er ist ruhig, fast zurückhaltend und höflich. Im Café möchte er am liebsten die Rechnung übernehmen. Seit Ali acht Jahre alt ist, spielt er Badminton. Sport hatte in Syrien eine wichtige Rolle in seinem Leben: Basketball im Verein, Fußball auf der Straße, und im Sommer ging es jeden Montag nach dem Badmintontraining zum Schwimmen. „Das hat Spaß gemacht“, berichtet Ali. Er hatte es sogar in die syrische U25-Nationalmannschaft im Badminton geschafft. Im Sommer durfte er für einen Monat zum Training nach Damaskus fahren. Ob er es irgendwann in die Hauptnationalmannschaft geschafft hätte? „Jetzt spiele ich wegen der Arbeit nicht regelmäßig. Aber damals habe ich jeden Tag trainiert. Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass es geklappt hätte“, sagt er. Beim Badminton seien die Mannschaften gemischt gewesen, Frauen und Männer hätten beim Mixed zusammengespielt. „Das war ganz normal. Es war so wie hier“, erzählt er. 

Mit Begeisterung dabei: Ali beim Badminton-Training in Hannover. Foto: privat

Ali flüchtet nach Deutschland

Ali kommt aus Daraa, einer Stadt im Südwesten Syriens, an der Grenze zu Jordanien. Über sein Leben in Syrien sagt er: „Wir waren glücklich, aber dann kam der Krieg. Das war sehr schlimm.“ 2011 machte er sein Abitur. Im selben Jahr begann der Bürgerkrieg, und die Situation spitzte sich weiter zu. „Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich machen soll. Aber am Ende kam alles ganz plötzlich.“ Ali erzählt, dass ihm der Einzug in die Armee drohte. „Dann hätte ich Waffen benutzen müssen. Das wollte ich nicht.“ 2014 traf Ali die schwere Entscheidung. „Die Situation war richtig schlimm. Ich konnte dort nicht bleiben.“ Gemeinsam mit anderen jungen Menschen begab er sich im August auf die gefährliche Flucht von Syrien über Algerien und Libyen nach Deutschland. Er ging tagelang zu Fuß, fuhr streckenweise mit dem Zug oder im Auto. Er war im Flugzeug und auf einem Boot. Im Mittelmeer seien sie 50 Menschen auf dem Boot gewesen. „Das ging noch. Auf anderen Booten waren es 100 Leute“, sagt Ali. Nach Zugfahrten durch Italien und Frankreich ist er ungefähr einen Monat nach Fluchtbeginn in Mannheim angekommen, gemeinsam mit einem Freund und seinem Bruder, den er in Algerien getroffen hatte. „Wir waren sehr müde“, berichtet Ali. Die Flucht beschreibt er als anstrengend: „Das war richtig schwer.“ 

Ein steiniger Weg in Deutschland

Nach einigen Monaten in einem Geflüchtetenheim in Lebach im Saarland sind Ali und sein Bruder im Oktober 2015 nach Hannover gekommen. Ali ist dankbar: „Deutschland hat mir und uns sehr geholfen.“ Er hat einen langen Weg durch die Mühlen der deutschen Bürokratie hinter sich. Nach einem B1-Deutschkurs scheiterte 2017 der erste Versuch, seine Ausbildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) komplett anerkennen zu lassen. Er bekam nur einen Teil bescheinigt. Die Bearbeitung habe viel Geld gekostet. Ali arbeitete mehrere Jahre in der Gastronomie und später beim Bordservice der Deutschen Bahn. „Ich hatte in der Anfangszeit in Deutschland eine schwere Zeit“, sagt der mittlerweile 29-Jährige. Nach einem Praktikum durfte er 2021 endlich die Weiterbildung machen. Die brauchte er, um seine Ausbildung zum Computertechniker vollständig anerkennen zu lassen. Neben der Weiterbildung in Vollzeit musste er in Teilzeit arbeiten. Sechs Monate lang hatte er deshalb eine Sieben-Tage-Woche mit einem Pensum von gut 60 Stunden. Das habe ihn herausgefordert. Auch eine Wohnung in Deutschland zu finden war schwierig, berichtet Ali.

„In Deutschland gibt es mehr Regeln als in Syrien. Das kann manchmal etwas stressig sein“, sagt Ali zur Bürokratie. Das Sozialsystem in Deutschland bewundert er: „Der Staat hilft jungen Menschen, die studieren wollen und unterstützt arme und arbeitslose Menschen, das finde ich total gut.“

Ali im Büro bei der Arbeit. Foto: privat

Leben in Hannover

„Ich finde, dass Hannover eine richtig schöne Stadt ist“, sagt Ali. „Die Menschen auf der Straße sprechen Hochdeutsch, und man versteht sie gut.“ Dialekte seien schwer zu verstehen, berichtet er. Die Sprache im Alltag zu nutzen, sei für ihn herausfordernd gewesen: „Das war am Anfang richtig schwer, ich habe geschaut, ob ich mit Deutschen in Kontakt kommen kann, um die Sprache zu üben“. Ein Bekannter, der in Zwickau lebt, habe dort negative Erfahrungen gemacht, Menschen würden auf der Straße nicht mit ihm sprechen wollen, seien eher verschlossen und lächelten nicht. Dem Bekannten sei der große Unterschied zu Hannover aufgefallen, sagt Ali. Im Bahnhof in Hannover hat Ali 2016 eine Frau mit einer Badmintontasche gesehen. Er sprach sie einfach an und sagte, dass er gerne mittrainieren würde. Sie vermittelte ihm den Kontakt zum Verein. Seitdem spielt Ali dort, wenn es die Zeit neben der Arbeit erlaubt. Ob er in Deutschland schon mal Diskriminierung erfahren habe? „Nicht unbedingt, oder ich habe es nicht gemerkt“, sagt Ali mit einem Lächeln. In Hannover passiere das selten, meint er. Sein Freund in Zwickau würde das häufiger erfahren. 

Currywurst ist nicht so Alis Ding: „Ich habe schon mal Geflügel-Currywurst probiert, die hat mir nicht so gut geschmeckt“, sagt er lachend.  „Ich koche lieber selber zu Hause.“ Mit seinem älteren Bruder wohnt er zusammen in einer Wohnung. Bei Terminen ist Ali lieber überpünktlich: „Ich versuche immer etwas früher bei einem Termin zu sein, als zu spät zu kommen.“ Bei der Arbeit sei es ihm wichtig, alles gewissenhaft und gründlich zu machen, berichtet er.

In Hannover angekommen: Ali vor der Kröpckeuhr. Foto: Sonja Scheller

Alis Zukunftspläne

„An Syrien vermisse ich alles – meine Familie, meine Freude und den Stadtteil, in dem ich gelebt habe“, berichtet Ali. Er ist in engem Kontakt mit seiner Familie. Mit seiner Mutter telefoniert er täglich. Ali resümiert: „Das Leben hier in Deutschland ist nicht so einfach, aber wenn man weiß, was man will und sein Ziel kennt, ist es leichter“, sagt er. „Jetzt bin ich richtig zufrieden.“

Sobald es möglich ist, möchte Ali seine Verlobte heiraten, die in Syrien lebt. Aktuell hat er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Den Antrag auf Einbürgerung hat er schon gestellt. Die Unterlagen hat Ali längst beisammen. Dennoch ziehen sich die bürokratischen Abläufe. „Am Anfang wollte ich einen richtigen Arbeitsvertrag und eine Stelle haben. Das habe ich jetzt und möchte Berufserfahrung sammeln. Mal gucken, was in der Zukunft kommt“, sagt Ali mit einem Lächeln.

Von Sonja Scheller


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