Seite auswählen

Werbung

„Black Mirror“-Experiment in der Schule: Das sagt die Lehrerin

„Black Mirror“-Experiment in der Schule: Das sagt die Lehrerin
Foto:  MAZ/Netflix

Rebecca Schiller aus Potsdam ist als „Frau Lehrerin“ auf Twitter eine kleine Berühmtheit – vor allem, seit sie dort über ihr Experiment mit einer Folge der Neflix-Serie „Black Mirror“ berichtet hat.

In Lacies Welt hängt alles von einer Punktzahl ab, die auf dem Bildschirm ihres Smartphones eingeblendet wird. Per App kann jeder alles bewerten, selbst den Smalltalk im Fahrstuhl. Je höher der eigene „Score“, desto mehr Vorteile – günstigere Mieten, bessere Plätze im Flugzeug, Anerkennung im Job – bekommt man. Punktet man nicht, droht der soziale Abstieg.

Lacie ist die Hauptfigur in „Abgestürzt“, einer Episode der dystopischen Netflix-Serie „Black Mirror“, die sich kritisch mit den Folgen der Digitalisierung auseinandersetzt. Und sie inspirierte die Potsdamer Lehrerin Rebecca Schiller zu einem Experiment, das die 30-Jährige deutschlandweit bekannt gemacht hat.

Schiller unterrichtet Deutsch und Biologie am Marie-Curie-Gymnasium in Dallgow-Döberitz (Havelland) und ist wohl das Gegenteil von dem, was man unter einem „Frontalunterrichts“-Typ versteht: Sie mag es, mit ihren Schützlingen zu diskutieren und deren Selbstreflexion zu fördern, gerne auch mit unkonventionellen Methoden. „Schüler neigen dazu, alles einfach nachzumachen. Einmal habe ich sie gebeten, etwas mitzuschreiben, von dem sie wussten, dass darin Fehler waren – sie haben es getan. Ich möchte, dass sie lernen, die Dinge kritisch zu hinterfragen – nicht nur für die Schule, sondern fürs Leben“, erklärt die Pädagogin.

Als nun in ihrem Deutsch-Leistungskurs das Thema Medienbildung anstand – seit zwei Jahren fester Bestandteil des Brandenburger Lehrplans – überraschte Schiller die Elftklässler mit einem neuen Bewertungssystem. Als sie den Raum betraten, wurden sie nach Noten eingeteilt. Die „Einser“ durften vorne sitzen und bekamen Stifte und Papier geschenkt. Die „Vierer“ rutschten nach hinten. Je nach Mitarbeit bekamen die Schüler Plus- und Minuspunkte und eine freiwillige Hausaufgabe, bei der sie weitere Punkte sammeln konnten.

Schiller hat den kompletten Ablauf des Experiments auf ihrem Twitter-Profil „Frau Lehrerin“ veröffentlicht. Als sie ihrem Leistungskurs den ersten Teil von „Abgestürzt“ zeigte, waren sich alle schnell einig, dass das Szenario unrealistisch und utopisch sei. Umso erstaunter war die Märkerin, dass 19 von 20 Kursteilnehmern sich darauf einließen. Als sie dem einzigen Mitschüler, der nicht genug Punkte gesammelt hatte, am nächsten Tag den Eintritt ins Klassenzimmer verwehrte, „wiesen alle Nico*, der eigentlich sehr beliebt ist, zurück. Er würde den Unterricht gefährden und solle draußen bleiben.“

Binnen 24 Stunden hatten ihre Schüler sich in ein System drängen lassen, das sie von Beginn an falsch gefunden hatten. Schiller zeigte ihnen dann das Ende der Folge, in dem Lacie wahnsinnig wird: Sie ist so versessen darauf, anderen zu gefallen, dass sie vor lauter Fremdbestimmung die Kontrolle über ihr eigenes Leben verliert. Auch dass die chinesische Regierung bereits ein Punktesystem zur Bewertung des Sozialverhaltens einführt – so dürfen verschuldete Bürger etwa keine Flugzeuge mehr nutzen – besprach sie mit ihnen. „Sie haben sich bei Nico entschuldigt und hoffentlich ihre Lektion gelernt: dass sie nicht alles – auch nicht von Autoritäten – als Gesetz ansehen. Und welche Gefahr von Medien ausgehen kann“, so Schiller.


Szene aus „Abgestürzt“, die erste Folge der dritten Staffel von „Black Mirror“. Quelle: Netflix

Ihre Versuchsanordnung erinnert an den Roman „Die Welle“ (1981) von Morton Rhue. Um seinen Schülern das Verhalten der Menschen im Nationalsozialismus zu erklären, führt ein Geschichtslehrer in seiner Klasse Verhaltensregeln für ein neues Gemeinschaftsgefühl ein – doch die so entstandene Gruppe entwickelt schon bald ein Eigenleben und beginnt, Nicht-Mitläufer zu bestrafen.

„In-Group-Verhalten entwickelt sich furchtbar schnell“

Rebecca Schiller, Lehrerin

Am Marie-Curie-Gymnasiums kennen alle diese Geschichte, denn in ihrem Schulgebäude wurde 2008 die Verfilmung von „Die Welle“ mit Elyas M’Barek („Fack Ju Göhte“) gedreht. Auch Schiller hat das Buch schon im Unterricht behandelt und das Experiment selbst ausprobiert: „Die Klasse entwickelte einen Gruß und alle trugen weiße Kleidung. Nach kurzer Zeit standen sie auf dem Schulhof nur noch unter sich. In-Group-Verhalten entwickelt sich furchtbar schnell“, erklärt die Potsdamerin.

In ihrem neuen Experiment ging es Schiller speziell um die Macht Sozialer Netzwerke. Facebook nutzen ihre Schüler gar nicht mehr – aber die Apps Snapchat, TikTok (ehemals Musical.ly) und Instagram, wo es ebenfalls um das Sammeln von „Gefällt mir“-Klicks geht. Ihr Ziel, damit sensibler umzugehen, hat Schiller erreicht: „Viele meine Schüler haben Tausende Kontakte, von denen sie nur einen Bruchteil persönlich kennen. Nach dem Experiment haben faste alle die Fremden gelöscht und ihr Profil auf Privat umgestellt“, erzählt die Lehrerin, die selbst fast 4000 Follower auf Twitter hat.

Unterstützung von der Schulleitung

Entsprechend viele Reaktionen bekam sie, als sie dort von ihrer Lehrmethode berichtete. Auch „Stern TV“ und die „Bild“ meldeten sich bei ihr. Dass „Frau Lehrerin“ mit ihren sonst eher selbstironischen Kurznachrichten auf Twitter so etwas wie ein kleiner Star ist, stört ihre Schulleiterin Elke Mohr nicht – solange sie dort keine vollen Namen nennt oder Fotos von peinlichen Fehlern aus Klassenarbeiten veröffentlicht, wie es einige twitternde Lehrer tun.

„Im Sinne der Medienerziehung ist es wichtig, dass Lehrkräfte sich selbst mit Social Media auskennen, damit sie Heranwachsenden die geforderten Kompetenzen vermitteln können“, sagt die Direktorin des Marie-Curie-Gymnasiums. „Das Bewegen auf sozialen Plattformen ist ein Teil des Bildungsauftrags der Schule, um Schülerinnen und Schüler fit zu machen.“

Viel Lob für ihren Mut

Und es kommt gut an: Fast alle Kommentare zu Schillers „Black Mirror“-Tweets sind positiv, und viele stammen von anderen Lehrern, die das Experiment nun ebenfalls durchführen wollen. „Zwei Kolleginnen haben es schon probiert und bei ihnen hat nur die Hälfte der Gruppe mitgemacht – aber immer noch die Hälfte!“ sagt Schiller, die schon Ideen hat, wie sie weitere„Black Mirror“-Inhalte in den Unterricht integrieren kann – etwa, wenn sie das Thema Künstliche Intelligenz im Bio-Unterricht behandelt.

Ihr Experiment-„Außenseiter“ Nico ist übrigens inzwischen richtig stolz darauf, standhaft geblieben zu sein. „Ich habe das Ziel nicht direkt durchschaut, fand es aber einfach nur logisch, diesen Fake nicht mitzumachen“, sagt er. „Also habe ich bewusst entschieden, nicht Teil des Systems zu sein.“

*Der Name wurde geändert

Von Maike Schultz/MAZ

Teamwork! Diesen Artikel verdanken wir einer unserer redaktionellen MADS-Partnerseiten. Den Originalartikel findest du hier >>


Über den Autor/die Autorin:

Poste einen Kommentar:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert