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Der harte Weg zum Musikstudium: Eine Kindheit für die Musik

Der harte Weg zum Musikstudium: Eine Kindheit für die Musik
Foto: Daniel Heitmüller, Privat

Sheila (20) und Zhongjin (17) lieben die Violine und das Klavier. MADS erzählen sie, wie schwierig der Weg zum Musikstudium ist – und warum das stundenlange Üben manchmal nicht ausreicht.


Von Konkurrenz umgeben: Sheila spielt Geige, seit sie fünf Jahre alt ist

Sheila Dierks (20)

Leipzig. Hochschule für Musik und Theater„Felix Mendelssohn Bartholdy“. Am Vortag war ich noch in Bremen, um mir dort einen Studienplatz für die künstlerische Ausbildung mit dem Hauptfach Violine zu erspielen. Nun stehe ich in dem Musikhochschulgebäude Leipzigs. Mehrere Bewerber sind bereits dort. Man hört, wie Paganini-Capricen sich mit dem Tschaikowski-Violinkonzert überkreuzen. Die Stimmung ist angespannt. Bei fünf bis acht Studienplätzen auf 100 bis 200 Bewerbern ist jedem klar: Du bist von Konkurrenz umgeben. Im Minutentakt wird einer nach dem anderen in den Prüfungssaal gebeten.

Musikstudium: Fünf Minuten zählen

Das Vorspielen dauert am Ende nur knapp fünf Minuten. In dieser kurzen Zeit muss man sich den angesehenen Professoren beweisen: Technik, Musikalität, das Auftreten. Nur wer dies von sich zeigen kann, besteht das praktische Spiel und wird im Anschluss in Musiktheorie, Gehörbildung und Klavier geprüft. Nach der ersten Prüfung, dem Vorspiel auf dem Hauptinstrument, müssen wir warten. Die Nerven liegen blank.
Stunden später habe ich alle Einzelprüfungen bestanden und weine vor Freude. Aber: Trotz mehrerer bestandener Prüfungen in unterschiedlichen deutschen Städten bekomme ich schlussendlich die Nachricht, vor der ich Angst hatte: Ich habe an keiner Hochschule einen Platz bekommen. Alle Vorbereitung war umsonst. All das Üben war noch immer nicht genug.

Geige bestimmt das Leben

Sheila übte bereits als Kind auf der Violine. (Fotos: Privat)

Geige, Klavier, Musiktheorie und Gehörbildung haben die letzten Jahre meinen Alltag bestimmt. Seit ich fünf Jahre alt bin, spiele ich Geige. Ich habe mehr Zeit mit meinem Instrument verbracht, als mit meiner Familie. Während jeder Zugfahrt habe ich mir meine Musikstücke durch den Kopf gehen lassen und Musiktheorieaufgaben gelöst. Vor dem Einschlafen habe ich mein Gehör mit einem Übungsprogramm trainiert – morgens nach dem Aufwachen direkt mit Geige- oder Klavierspielen den Tag begonnen. Und täglich bis zu sieben Stunden geübt. Weil ich Angst hatte, ich würde mich über diese eine Stunde, in der ich nicht geübt hatte, ärgern, falls ich nirgendwo einen Platz bekomme. Ich habe mehr Geige geübt, als für das Abi gelernt. Ich war mit dem Orchester unterwegs, statt im Urlaub – um zu üben.

Große Leistungsunterschiede

Mir ist klar, dass ich für das Musikstudium getan habe, was ich konnte. Trotzdem erwische ich mich oft bei der Frage, was die anderen besser machen. Ob sie härter arbeiten als ich. Aber ich glaube, dass hinter diesem Leistungsunterschied einfach oft noch mehr steckt als bloßer Wille und Eigenantrieb. Bei solchen Aufnahmeprüfungen kommen viele Bewerber aus dem Ausland. Verhältnismäßig viele dürfen das Studium dann auch antreten. Laut einer Statistik des Deutschen Musikinformationszentrums studierten 2017 an den deutschen Hochschulen insgesamt 9.362 Menschen Orchester- und Instrumentalmusik – 5.581 von ihnen kamen aus dem Ausland.

Die vielen Bewerber aus dem internationalen Raum sind in unterschiedlichen kulturellen Strukturen groß geworden. Und vielleicht ist es das, was meine Konkurrenz besser macht. Ich habe mit Studenten, Musikern und auch Professoren gesprochen. Oft hieß es, dass die asiatische Kultur von einer solchen Disziplin geprägt ist, dass Studenten aus diesem Raum mittlerweile einen Großteil an deutschen Musikhochschulen ausmachen.

Schule erschwert Musikkarriere

Aber warum sind die Deutschen denn letztlich oft schlechter als Bewerber aus dem Ausland? In meinem Fall hat es mir beispielsweise meine Schule nicht gerade erleichtert, mich auf meine musikalische Karriere zu konzentrieren. Es müsste mehr Schulen geben, die leistungsfördernd sind und Kinder in ihrem Fachgebiet früh spezialisieren. Und zwar auf einem guten fordernden Niveau, damit diese dem weltweiten Anspruch in dem jeweiligen Bereich gerecht werden können.

Von Sheila Dierks


Ohne Abi ins Musikstudium: Zhongjin ist 17 und studiert Musik

Zhongjin Fang (17)

Schon mit sieben Jahren wusste ich: Ich möchte professioneller Pianist werden. Da spielte ich erst seit knapp drei Jahren Klavier. Schon damals übte ich vier Stunden am Tag. In der Schule war mein Ziel nur, die Fächer irgendwie zu bestehen. Ich besuchte eine normale Grundschule, wo mein musikalisches Hobby nicht besonders gefördert wurde. Ich durfte schon damals erst immer dann rausgehen zum Spielen, wenn ich meine Stücke meiner Mutter vorgespielt hatte – und sie mit dem Niveau einverstanden war. Aber als ich dann immer freudig auf dem Fußballplatz angelaufen kam, waren meistens alle meine Freunde schon nach Hause gegangen.

Grundschule trifft Musiktheorie

Vor allem in der sechsten Klasse war es hart für mich, da ich für die Abschlussprüfung der Grundschule lernen und gleichzeitig intensiv Klavier üben und Musiktheorie büffeln musste. Denn ich bereitete mich für die Aufnahmeprüfung vom Zentralen Musikkonservatorium China vor, um die daran angegliederte Mittelschule besuchen zu dürfen. Meistens war die einzige Zeit, in der ich ein bisschen entspannen konnte, das Abendessen. Denn ich durfte währenddessen fernsehen, weshalb ich immer sehr langsam aß, um die Zeit möglichst zu verlängern. Meine Mutter kam auch jedes Mal zu meinem Klavierunterricht mit, um alles mit ihrer Kamera aufzunehmen. So konnte ich danach alles noch einmal nacharbeiten. Ich empfand meine Mutter damals als sehr streng, aber heute bin ich ihr dafür dankbar.

Zum Musikstudium nach Deutschland

Auf dem Zentralen Musikkonservatorium blieb ich schließlich auch nur zwei Jahre. Mit 15 Jahren kam ich nach Deutschland, um am Institut zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter (IFF) der Musikhochschule Hannover teilzunehmen. Währenddessen besuchte ich ein normales Gymnasium. Nun kam neben Hausaufgaben und Klavierüben auch noch Deutschlernen dazu. Mein einziges Ziel in Deutschland war, Klavier zu studieren. Nach der zehnten Klasse verließ ich das Gymnasium. Die Schulgebühren stiegen, sodass meine Familie sie sich nicht mehr leisten konnte. Für ein Musikstudium brauche ich aber zum Glück kein Abitur. Schlussendlich wurde ich aufgenommen – als einer von nur acht Bewerbern, sieben davon sind asiatischer Abstammung.

„Kein Plan B“

Wäre ich nicht aufgenommen worden – ich hätte keinen Plan B gehabt. Bei meinen Freunden aus Deutschland merke ich aber, dass sie sich immer möglichst viele Wege offenhalten wollen. Viele von ihnen sind auch sehr talentierte Musiker, die zusammen mit mir am IFF waren. Viele machen sich aber Gedanken, was passiert, wenn ihre Musikkarriere scheitert, und zögern deshalb die Entscheidung über das Musikstudium hinaus. Vielleicht gehört es zur deutschen Mentalität, die eigene Zukunft sehr auf Sicherheit bedacht zu planen.

Zhongjin spielt Klavier seit er vier Jahe alt ist. (Fotos: Privat)

Was ich hier in Deutschland besonders merke, ist der fehlende Konkurrenzkampf. Wenn die Klasse meiner Klavierlehrerin einen kleinen Vorspielabend macht, dann wollen alle nur die Musik genießen. Es macht nichts, wenn man mal einen Ton verspielt. In China waren diese Konzerte immer spannungsgeladene Veranstaltungen. Jeder hörte genau zu. Es wurde immer verglichen, wer besser war.

In den Ferien war ich einmal zu Besuch bei meinen Großeltern und hatte deshalb wenig geübt. Ich dachte damals, dass ich mich ein bisschen entspannen konnte. Es stellte sich aber heraus, dass alle anderen in den Ferien noch mehr als während der Schule geübt hatten. Mein Klavierlehrer erwartete deshalb ein höheres Niveau von allen seinen Schülern. Er sagte mir damals auch ganz deutlich, dass ich mein Niveau sofort verbessern müsse, andererseits würde ich rausgeschmissen werden.

Musikstudium in Deutschland

Durch diesen Druck habe ich zwar jetzt eine sehr gute Technik, aber die Atmosphäre in Deutschland hilft mir, die Musik zu fühlen. Erst meine Erfahrungen aus beiden Ländern machen mich zu einem guten Musiker.

Aufgezeichnet von Jeffrey Ji-Peng Li


Pianist Bernd Goetzke im Interview

Bernd Goetzke begann als 13-Jähriger sein Musikstudium. Er ist Klavierpädagoge und Gründungsdirektor des Instituts zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter (IFF). Bernd Goetzke ist Professor an der Musikhochschule Hannover und leitet die Klaviermeisterkurse der Internationalen Musikakademie für Solisten. Der Musiker hat in seiner Karriere bereits in vielen asiatischen Ländern Nachwuchstalente unterrichtet.


Herr Goetzke, gibt es beim Bewerberverfahren eine Benachteiligung von deutschen Nachwuchstalenten?
Es wundert mich, dass manche sich immer noch wundern – über die Zahlen von Bewerbern, über die Energie, über die Qualität des Spiels, die uns aus Asien entgegenkommen. Aber: Warum um Himmels willen sollen wir jene benachteiligen, die wir händeringend suchen? Wir müssen viel mehr Acht geben, deutsche Bewerber nicht zu bevorzugen. Denn man würde sie bei nicht wirklich ausreichender Qualifikation in eine problematische berufliche Zukunft entlassen.

Warum studieren so viele junge Asiaten Musik in Deutschland?
Wir müssen hier die Froschperspektive verlassen: Sie studieren überall. Die flächendeckende Versorgung durch hervorragende Schulen und Lehrkräfte ist noch nicht in allen asiatischen Ländern erreicht. Das ist aber nur eine Frage der Zeit. Dann gibt es einen fast schon genetisch verankerten Respekt vor Ländern, die man in Asien für die Mutterländer der Musik und der besten Ausbildung hält. Dazu gehören Österreich, Deutschland, Frankreich und die USA. Vor allem aber tun asiatische Eltern alles für ihre Kinder.

Worin unterscheiden sich chinesische Nachwuchsmusiker von deutschen?
Bei der Antwort besteht die Gefahr des Verallgemeinerns. Natürlich lernen wir nur eine bestimmte Auswahl von jungen Chinesen kennen. Aus China kommen aber junge Menschen mit einer großartigen Motivation, Unverkrampftheit, mit viel Mut und Risikobereitschaft. Sie haben Temperament und viel Herz. Hierzulande findet sich vielleicht etwas weniger diese Alles-oder-nichts-Mentalität, wir zweifeln eher und wägen ab, und das führt dann unter Umständen auch dazu, lieber gar nicht erst Musik zu studieren – mit Blick auf die große Konkurrenz und die zu erwartenden Mühen.

Asiatischen Eltern wird oft nachgesagt, dass sie ehrgeizig sind. Was macht Erziehung bei Nachwuchsmusikern aus?
Wir haben es mit großen Zahlen zu tun. Der „Output“ an Nachwuchsmusikern vor allem aus Korea und China ist enorm. Dahinter stehen immer auch Familien, und hier erlebt man alles: natürlich Ehrgeiz und bedingungslose Förderbereitschaft, ohne die man auch nicht sehr weit käme. Der Blick fällt dann immer gerne auf den Überehrgeiz, die Tigermamas, auf die man dann mit dem Finger zeigen kann. Ja, die gibt es auch. Kritisch zu beurteilen wird Ehrgeiz dann, wenn er zu wenig mit der Veranlagung eines Kindes zu tun hat. Wenn etwas erzwungen werden soll. Typisch asiatisch ist die absolute Hingabe von Eltern an ihren Erziehungsauftrag, wozu immer auch enorme finanzielle Anstrengungen gehören. Diese Einstellung ist durchaus kulturell tradiert.


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