Nachruf auf Prodigy-Sänger Keith Flint: Ein Technorock-Derwisch
Er war stolz eine Band zu haben, deren Videos MTV ins Nachtprogramm verbannte. Keith Flint, Sänger von The Prodigy, ist im Alter von 49 Jahren verstorben.
Ein Elternschreck par excellence: Piercings, Tattoos, schwarze Farbringe um die Augen und die luiziferianischen Haar-Hörnchen auf dem Kopf, die ihm eine verstörende Anmutung verliehen: Keith Flint, geboren 1969 in Chelmsford, Essex, war einer, der die Jugend der Mittneunziger elektrisierte, wie es im allgemeinen Popgetriebe nicht mehr allzu oft vorkam. Anfangs tanzte er nur bei The Prodigy, dem Bandprojekt des DJs und Keyboarders Liam Howlett. Bei dem Album „Fat of the Land“ aber stieg er 1996 zum Leadsänger und The Prodigy für anderthalb Jahre zum heißesten Popexport Englandsauf. „Jedes Konzert ist eine Stunde voller Wahnsinn“, beschrieb Flintsein Tun. „und danach bin ich total erschöpft, in Stücke zersprungen.“ Jetzt ist Keith Flint gestorben, er wurde nur 49 Jahre alt.
Die Popjahre seit 1990 waren die der elektronischen Musik, die den Tanzboden entdeckte. House und Techno klirrten in den Diskotheken, lieferten Samstagnacht-Ekstase mit Beatzahlen pro Minute, bei denen kein Speed-Metal-Schlagzeuger mehr mitkam. „Rock ist dead“, befand Lenny Kravitz 1995 auf dem Album „Circus“.Play VideoKeith Flint von „The Prodigy“ ist tot
Keith Flint: Ein Derwisch mit punkiger Verachtung
Der Rockretter hieß The Prodigy. Die britische Band, die der illegalen Raveszene entsprang, brachte die elektronische Musik mit elektrischen Gitarren in Verbindung. Ein schweißtreibender Mix entstand. The Prodigy hämmerte sich in die Magengrube und das Herz ihres Publikums. 1996 gab es keine Klubnacht ohne „Firestarter“, einem wahrhaft peitschenden Techno-Rock-Monster.
Im Video sprang Keith Flint in Stars-&-Stripes-Sweatshirt umher wie ein Derwisch, und spuckte die „Brandstifter“-Zeilen mit punkiger Verachtung aus. Die Folgesingle „Breathe“ hielt die Erwartungen, das krachende „Smack My Bitch Up“ kam in England noch bis Platz 8, in Deutschland auf Platz 51, war aber vor allem ein Skandal wegen seines Aufrufs zu Gewalt gegen Frauen. Für den „Guardian“ war Flint die „Inkarnation des Teufels“. „Ist es nicht cool eine Band zu haben, von der sich MTV beleidigt fühlt, die ein Video herausbringt, nach dem Fans lange suchen oder für das sie bis spätnachts aufbleiben müssen?“, hielt Flint in einem Interview gegen. „Der springende Punkt ist, sich selbst treu zu bleiben. Sonst kannst du gleich aufgeben.“
Ohne Keith Flint haben die Prodigy-Alben nicht funktioniert
War Keith Flint nicht dabei, funktionierten Prodigy-Platten nicht. Bei dem überkandidelten Album „Always outnumbered, never outgunned“ (2004) hatte Liam Howlett die alten Zutaten Punk und Elektro neu in den Topf geworfen. Aber ohne Flint klang alles noch wie eine Versammlung aufgemotzter Songs von vorgestern. Flint kehrte 2009 wieder ins Studio zurück, der Erfolg nicht. Die letzten beiden Prodigy-Scheiben „The Day is My Enemy“ (2015) und „No Tourists“ (2018) blieben weitgehend unbemerkt. 2018 war die Band noch einmal auf Deutschlandtour gewesen.
Was aus den geplanten Prodigyauftritten beim Deichbrand-Festival in Cuxhaven (18 – 21. Juli) und beim Highfield-Festival bei Leipzig (16. Bis 18. August) wird, ist bislang offen. In den sozialen Netzwerken ist die Erschütterung über den Tod Flints groß. Eine offizielle Auskunft über die Todesursache fehlt noch, Bandgründer Howlett indes ließ sich zu einem eindeutigen Statement auf Instagram hinreißen: „Die Nachricht ist wahr. Ich kann nicht glauben, das zu sagen aber unser Bruder Keithhat sich am Wochenende das Leben genommen. Ich bin zutiefst erschüttert, verdammt wütend, bestürzt und mein Herz ist gebrochen … R.I.P Bruder, Liam“.
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