Seite auswählen

Werbung

„Widows“ – Gangsterinnen wie wir

„Widows“ – Gangsterinnen wie wir
Foto:  Fox

Doch, doch, Männer spielen auch mit in „Widows“. Sie haben aber vorrangig unrühmliche Rollen und sind alles andere als sympathische Gestalten. Männer in diesem Film hinterlassen eine blutige Spur von Gewalt und machen dabei weder vor Rollstuhlfahrern noch vor Trauernden Halt.

Männer gieren nach politischer Macht und kennen dabei weder Moral noch Loyalitäten. Und dann gibt es da noch einen, der als liebend-zärtlicher Ehemann beginnt und zunehmend als böser Geist durch diesen Gangsterfilm spukt. Genauer muss es heißen: durch diesen Gangsterinnenfilm.

Steve McQueens „Widows“ ist einer der interessantesten Frauenfilme

Allerdings: Der Regisseur von „Widows“ ist ein Mann, heißt Steve McQueen, ist Brite, zudem Künstler und Fotograf und keinesfalls zu verwechseln mit dem US-Schauspieler gleichen Namens, der einst in „Die glorreichen Sieben“ ritt und 1980 starb.

Mit seinem Oscar-Film „12 Years A Slave“ sorgte der britische McQueen vor fünf Jahren für Furore in Hollywood – und davor auch schon mit „Hunger“ (2008) über den hungerstreikenden IRA-Häftling Bobby Sands und mit „Shame“ (2011) über einen Sexsüchtigen, beide mit wahrlich gesundheitsgefährdendem Körpereinsatz von Michael Fassbender gespielt.

Mit „Widows“ hat McQueen nun einen der interessantesten Frauenfilme des Jahres gedreht – viel interessanter als der hohle „Ocean’s 8“-Verschnitt, in dem Frauen um Sandra Bullock einen Beutezug unternehmen und es damit den Herren der Schöpfung um George Clooney gleichtun wollen. Bei McQueen sind richtige Charaktere zu entdecken, die zwischen Trauer und Zorn ihr Leben neu definieren müssen und dabei über sich selbst hinauswachsen.

Veronica findet alte Aufzeichnungen zu einen geplanten Coup

Die Witwen sind die Hinterbliebenen einer Räuberbande, deren Männer bei einem gründlich verbockten Banküberfall im Kugelhagel der Polizei starben. Ihren Frauen haben sie einen Berg von Schulden hinterlassen. Den müssen jetzt die drei Witwen abtragen. Aber das können sie nicht. Ihre Existenz ist bedroht. Sie müssen sich dringend etwas einfallen lassen. Und das tun sie auch.

Im Zentrum: Veronica (Viola Davis), die wir tief versunken in ihrem Schmerz kennenlernen. Wenn sie morgens aufwacht, glaubt sie in ihrer Erinnerung noch, die liebkosende Hand ihres toten Gatten Harry (Liam Neeson) auf ihrer Haut zu spüren Wenig später aber schaut schon der überhebliche Gläubiger vorbei, um sich Veronicas schickes Penthouse in Chicago anzuschauen. Wenn alles nach Plan läuft, wird das wohl bald ihm gehören.

Aber da gibt es ja noch dieses abgegrabbelte Notizbuch, das Veronica in den Hinterlassenschaften ihres Mannes gefunden hat. Es enthält Aufzeichnungen zu einem geplanten Coup, der all ihre finanziellen Sorgen in Luft auflösen könnte. Diesen Überfall will Veronica nun durchziehen – zusammen mit den beiden anderen Witwen Alice (Elizabeth Debicki) und Linda (Michelle Rodriguez), die vor allem deshalb mitmachen, weil sie auch keine bessere Idee haben.

Die Heldinnen haben weder von Autos noch von Waffen Ahnung

Fehlt noch ein Fluchtwagenfahrer – Pardon: eine Fluchtwagenfahrerin. Die drei engagieren die Friseurin Belle (Cynthia Erivo). Jede darf hier verborgene Talente in sich entdecken – auch wenn es dabei schon mal zu harten, aber das gemeinsame Ziel nicht gefährdenden Konfrontationen zwischen den Frauen kommt. Machtgeplänkel ums Geplänkel willen, unter Männern keine Seltenheit, gibt es hier nicht.

Die vier müssen lernen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Allerdings haben sie weder von Autos noch von Waffen eine Ahnung, und auch ihre kriminelle Energie hält sich in Grenzen. Aber all das kann frau ja lernen. Gerade in Amerika: „Waffen sind die besten Freunde einer Frau“, verkünden hier schließlich schon kleine Mädchen auf einer Gewehrmesse. Bei Marilyn Monroe, also in einer Zeit, als Frauen bevorzugt als reine Sexsymbole auf der Leinwand auftauchten, hieß dieser Spruch noch irgendwie anders.

Der größter Pluspunkt der Frauen: Sie werden vom männlichen Geschlecht unterschätzt. Oder um es mit Veronicas süffisanten Worten zu sagen: „Niemand glaubt, dass wir die Eier haben, um das hier durchzuziehen.“

Steve McQueen aktualisiert eine Fernsehserie aus den 80er-Jahren

Dieser Fehleinschätzung unterliegen genauso korrupte Politiker (Colin Farrell) wie brutale Geldeintreiber (Daniel Kaluuya). Veronica und Co. sind jene Außenseiter, die keine Chance in einer von Zynismus durchsetzten patriarchalischen Gesellschaft haben und sich in ihrer Not entschließen, es trotzdem drauf ankommen zu lassen.

Der Regisseur McQueen hat eine alte Fernsehserie aus den Achtzigerjahren aktualisiert und legt dabei einen klaren Blick für Klassen-, Rassen- und Genderschranken an den Tag – und wie sich diese auch mal überwinden lassen. „Widows“ ist ganz klar ein Genrefilm und doch auch ein bisschen mehr als das. Frauen werden „Widows“ lieben. Und Männer haben garantiert auch ihren Spaß.

Von Stefan Stosch / RND


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

Poste einen Kommentar:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum MADS-Newsletter anmelden

Jetzt zum MADS-Newsletter anmelden

Laufend die neuesten Artikel direkt in deine Mailbox -bequemer geht's nicht. Melde dich schnell und kostenlos an!

Du bist erfolgreich angemeldet