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Weltklimarat: So kann die Menschheit sich selbst retten

Weltklimarat: So kann die Menschheit sich selbst retten
Foto:  dpa

Es ist viel schlimmer als gedacht. Das Klimaabkommen von Paris ist Makulatur. Zwei Grad wärmer, das wird die Erde wohl gerade noch aushalten, hieß es da. Drei Jahre später ist klar: Sie hält es nicht aus.

Wenn die Weltgemeinschaft sich darauf einlässt, eine globale Erwärmung um zwei Grad zuzulassen, wird diese Erde ein unwirtlicher Ort. Für alle Erdbewohner. So jedenfalls sieht es der Weltklimarat IPCC in einem Sonderberichts, den er in der Nacht zu Montag veröffentlicht hat.

Es ist alles nicht ganz so schlimm wie befürchtet – auch das lässt sich aus dem IPCC-Bericht lesen: Die Risiken der Erderwärmung, schreiben die Experten, lassen sich durch eine konsequente Begrenzung auf 1,5 Grad einigermaßen einschränken. Das allerdings ist nur möglich, wenn es „rasche, weitreichende und beispiellose Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft gibt“.

Nachhaltige Energiegewinnung, weniger Viehhaltung

Konkret gehe es um die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die für die Erwärmung verantwortlich sind; um nachhaltige Energiegewinnung, Industrie, Verkehr, städtische Infrastruktur und Landwirtschaft. Einer „weniger ressourcenintensiven Ernährung“ müssten sich die Menschen verschreiben, weltweit, heißt es in dem Bericht. Also: weniger Viehhaltung, weniger Fleischkonsum, mehr Gemüse.

Vor allem aber rät der IPCC zu einer schnellen und eindeutigen Verschiebung von Investitionen, weg von der Förderung und Verbrennung von Kohle, Gas und Öl – hin zu alternativen, klimafreundlichen Energien. Das, versprechen die Wissenschaftler, gehe auch weitgehend kostenneutral.

Autoren werteten 6000 Einzelstudien aus

Der Weltklimarat in Genf gilt als wichtigstes Gremium für die wissenschaftliche Bewertung des Klimawandels. 2007 ist er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Die Organisation, der inzwischen fast 200 Länder angehören, forscht nicht selbst, sondern sammelt existierende wissenschaftliche Daten und wertet diese aus. Am aktuellen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel haben 91 Hauptautoren aus 40 Ländern mitgearbeitet und 6000 Einzelstudien ausgewertet. Die Zusammenfassung ist Ergebnis monatelanger Debatten, an denen auch Regierungen beteiligt waren – auch deshalb hat sie möglicherweise politisches Gewicht.

Der Bericht ist vor allem Grundlage für die Weltklimakonferenz im Dezember im polnischen Kattowitz. Dann wollen die Vereinten Nationen ein Regelwerk verabschieden, mit dem die Ziele des Pariser Klimaabkommens umgesetzt werden sollen. In ihrer schärfsten Lesart. In Paris hatte die Weltgemeinschaft 2015 vereinbart, die globale Erwärmung bei maximal zwei Grad zu stoppen – und das 1,5-Grad-Ziel nur als „möglich“ angedacht. Die Bezugsgröße ist die mittlere Temperatur im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten. Vor allem die durch steigende Meeresspiegel bedrohten Inselstaaten hatten sich von Anfang an nicht mit einer Begrenzung auf zwei Grad abfinden wollen. Daraufhin setzte die Staatengemeinschaft den Weltklimarat als Gutachter in Bewegung.

CO2-Ausstoß um 45 Prozent reduzieren

Der Report macht nicht nur klar, wie notwendig die Begrenzung ist, sondern auch, wie ehrgeizig das Ziel ist: Den Experten zufolge muss der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) im Vergleich zu 2010 weltweit bis 2030 um 45 Prozent reduziert werden, um dann im Jahr 2050 auf null zu sinken.

Dieses Ergebnis kann auch als Signal an Brüssel und Berlin aufgefasst werden. Bereits am heutigen Dienstag treffen sich die EU-Umweltminister in Luxemburg, um den Klimagipfel in Polen vorzubereiten. EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete hatte im Sommer dafür plädiert, auf internationaler Ebene bis 2030 eine Senkung der Treibhausgase der EU um 45 Prozent im Vergleich zu 1990 zuzusagen. Bisher hat sich die EU lediglich ein Ziel von 40 Prozent gesetzt. Deutschland und einige andere EU-Staaten lehnen es ab, das Ziel nachzuschärfen.

Bundesregierung soll Blockade aufgeben

Der Umweltverband WWF forderte die Bundesregierung auf, ihre Blockade aufzugeben. Der Bericht des Weltklimarates müsse ein Weckruf sein, sagte der Leiter Klimaschutz und Energiepolitik, Michael Schäfer. Deutschland habe sich jüngst „auf erschreckende Weise von der internationalen klimapolitischen Debatte abgekoppelt“.

„Wie auch immer wir die Daten hin und her wenden, wir haben nur ein Jahrzehnt, um die CO2-Wende zu schaffen und die Menschen noch vor den größten Risiken des Klimawandels zu schützen“, kommentierte Johan Rockström, designierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), den Bericht. Besser als je zuvor wisse man jetzt, was bereits bei einer Erwärmung von nur 1,5 Grad Celsius auf dem Spiel stehe.

Von Stralsund bis Sylt: Deutsche Küsten bedroht

Das Papier des Weltklimarats zeigt aber auch, was der Unterschied von 0,5 Grad bedeuten kann: So würde der globale Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts bei 1,5 Grad Erwärmung um zehn Zentimeter weniger steigen als bei 2 Grad. „Das würde beinhalten, dass zehn Millionen Menschen weniger den Risiken wie der Versalzung von Äckern oder Überschwemmungen durch Stürme in küstennahen Gebieten ausgesetzt wären“, sagt IPCC-Autor Wolfgang Cramer.

Das gilt auch für die deutschen Küsten und ihre Bewohner. Als potenziell gefährdet gelten diejenigen Gebiete an der Nordsee, die nicht höher als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegen. So droht das Wattenmeer zu ertrinken, und auch mit dem Urlaubsvergnügen auf Sylt könnte es in ein paar Jahrzehnten vorbei sein. An der Ostseeküste wären schon Bereiche bis drei Meter über dem Meeresspiegel gefährdet – jahrhundertealte Städte wie Rostock, Stralsund und Wismar, aber auch Teile von Inseln wie Rügen und Usedom. In diesen küstennahen Abschnitten leben etwa 3,2 Millionen Menschen. Das alles sind Daten aus einer noch unveröffentlichten Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, über die der „Spiegel“ jetzt berichtete.

„Bei 2 Grad sind alle Korallen verloren“

Der Weltklimarat macht noch mehr gravierende Unterschiede bei einer moderateren Erderwärmung aus: Einen eisfreien Arktischen Ozean im Sommer gibt es bei 1,5 Grad wahrscheinlich einmal pro Jahrhundert, bei zwei Grad vermutlich „mindestens einmal pro Jahrzehnt“. Auch warnen die Autoren, dass etwa 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe verschwinden, wenn es um 1,5 Grad wärmer wird als vor der Industrialisierung. „Mit zwei Grad wären praktisch alle verloren.“ Und: Es könnten deutlich weniger Fische gefangen werden.

Die Bundesregierung nimmt den Bericht ernst – jedenfalls in Teilen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warnte vor einer zunehmenden Zahl von Klimaflüchtlingen. „Der Weltklimarat zeigt uns eindringlich: Der Klimawandel wird immer mehr zur Überlebensfrage der Menschheit“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). In vielen Weltregionen habe er längst lebensbedrohliche Folgen, etwa im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Somalia. „Dort hat es seit drei Jahren nicht mehr geregnet”, berichtet der Minister, der die Region kürzlich besucht hatte. Die Menschen könnten nur mit internationaler Hilfe überleben: „Handeln wir jetzt nicht entschlossen, werden Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.“

Gewaltiger Handlungsdruck beim Kohleausstieg

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) warnte gegenüber dem RND indes davor, Landwirte beim Klimaschutz übermäßig zu belasten: „Um unsere Lebensmittel zu produzieren, wird der Ausstoß von Treibhausgasen – anders als in anderen Branchen – nie komplett zu verhindern sein.“

Dem IPCC-Bericht zufolge kann der Mensch, anders als in früheren Berichten angenommen, möglicherweise etwas mehr CO2 ausstoßen und dennoch das 1,5-Grad-Ziel erreichen. Für Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist das aber kein Grund zur Entspannung. „Gegenüber früheren Abschätzungen des IPCC haben wir höchstens einen Zeitgewinn von sieben Jahren.“ Der sei aber „schon längst verfrühstückt“ angesichts geplanter und existierender Kohlekraftwerke. „Es gibt einen gewaltigen Handlungsdruck. Wenn wir global nicht bald aus der Kohle aussteigen, schlagen wir die Tür zum 1,5-Grad-Ziel ein für alle Mal zu.“

Von Sonja Fröhlich


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