Was „Tote Mädchen lügen nicht“ mit mir macht
Die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ (im Original „13 Reasons Why“) lässt keinen kalt. Sie basiert auf dem gleichnamigen Jugendroman von Jay Asher von 2007. Darin geht es um den Suizid einer 17-jährigen Schülerin. Die Verfilmung lässt den Zuschauer hoffen, bangen und verzweifeln. Tim Klein hat aufgeschrieben, was ihm beim Gucken durch den Kopf ging. ACHTUNG: Sein Protokoll enthält Spoiler!
Phase 1: Neugier
Zu Anfang der Serie ist schon klar, worauf alles hinausläuft: den Suizid der Hauptfigur Hannah Baker. Wie es dazu kam, erzählt sie auf Kassetten, die sie vor ihrem Tod aufgenommen hat. Jede davon ist einem der vermeintlichen Mitschuldigen gewidmet. Aber ich bin neugierig: Wie kommt es zu ihrem Selbstmord? Warum hat es niemand bemerkt, dass sie Hilfe braucht? Wer ist für das Mobbing verantwortlich? Es gibt viele Zeitsprünge – das ist zeitweise sehr verwirrend. Mal sieht man Hannah in der High School, mal hört man ihr auf den Kassetten zu. Aber wer ist denn nun eigentlich schuld an ihrem Tod?
Phase 2: Die ersten Erkenntnisse – die nächsten Fragen
Hannahs Mitschüler Clay Jensen ist die zweite Hauptfigur der Serie. Er war ein enger Freund von Hannah und ist in sie verliebt gewesen. Ich lerne ihn als schüchternen, liebenswerten Jungen kennen. Auf mich wirkt er unschuldig – trotzdem hat er Hannahs Kassetten bekommen. Ist er am Ende schuld an ihrem Tod?
Phase 3: Wut
Hannahs Leiden, das ist schnell klar, hat mit ihren Mitschülern zu tun: Jungs begrapschen und belästigen Mädchen auf dem Schulhof – auch Hannah. Als sie sich mit einem von ihnen einlässt, verbreitet der das Gerücht, mit ihr geschlafen zu haben – und schickt ein sehr privates Bild von ihr herum. Wütend frage ich mich, was in einem vorgehen muss, dass er jemandem so etwas antun kann.
Phase 4: Schlechtes Gewissen
Nachdem die halbe Schule von Hannahs Verhältnis mit ihm erfahren hat, aber nicht weiß, was wirklich passiert ist, beginnt das Mobbing. Wenig später taucht eine „Hot or not“-Liste auf, in der Hannah in der Kategorie „Bester Arsch“ der zehnten Klasse auftaucht. Nahezu jeder auf der Schule lästert über sie – und ich frage mich, ob ich auch schon mal jemanden so behandelt habe. Dieser Gedanke fühlt sich seltsam an und mir wird ein wenig mulmig.
Phase 5: Ein bisschen Hoffnung
Obwohl ja klar ist, dass es kein Happy End geben wird, hoffe ich jetzt, es könnte doch alles gut gehen. Wenn sie lächelt und glücklich ist, bin ich es auch. Wenn ich ihrer apathischen Stimme auf den Kassetten zuhöre, löst das sofort Traurigkeit in mir aus.
Phase 6: Mitleid – aber nicht nur für Hannah
Hannahs Situation wird immer schlimmer: Freunde von ihr lassen sie im Stich, dazu tauchen wieder private Fotos von ihr in der Schule auf, die ein Stalker geschossen hat. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn mein komplettes Privatleben der Öffentlichkeit preisgegeben wird – das ist echt unangenehm. Hannah tut mir leid, aber auch mit Clay fühle ich mit. Es macht ihn fertig zu wissen, dass er auch noch auf einer der Kassetten sein wird. Die Serie nimmt mich mehr mit, als ich erwartet hätte.
Phase 7: Verzweiflung und Trauer
Obwohl Hannahs Verzeiflung immer größer wird, geht das Leben an der High School ganz normal weiter. Niemand unternimmt etwas. Ich bin enttäuscht. Als Clay seine Kassette anhört, merkt er, was er hätte verändern können. Zwischen seinen Tränen und Hannahs weinerlicher Stimme, mit der sie Clay alles erklärt, sitze ich und fühle mich leer. Clay tut mir unfassbar leid.
Phase 8: Der Schock
Als Hannah sich umbringt, wird mir schlecht. Ihr Suizid wird erschreckend real dargestellt. Verkrampft sitze ich vor dem Fernseher und erwische mich, wie ich ab und zu zur Seite schaue.
Phase 9: Wie geht es weiter?
Nach der letzten Szene sitze ich einfach nur da und mache nichts außer nachdenken. Kann so etwas auch hier passieren? Ich will irgendetwas tun, weiß aber nicht was. Die geballte Ignoranz und Rücksichtlosigkeit von Hannahs Mobbern macht mich fassungslos. Die Bilder von Hannahs Selbstmord geistern mir noch den Tag über im Kopf herum und lösen immer wieder ein seltsames Gefühl in mir aus. Obwohl mich die erste Staffel teilweise sehr geschockt hat, freue ich mich innerlich schon, dass es eine zweite Staffel geben wird. Ob diese mich dann genauso mitnimmt, wird sich zeigen.
Von Tim Klein