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Was macht ein gutes Meme aus? Ein Meme-Wissenschaftler im Interview

Was macht ein gutes Meme aus? Ein Meme-Wissenschaftler im Interview
Foto: Carol Magalhaes/Unsplash

Memes sind allgegenwärtig: Wer Social Media nutzt, konsumiert sie, lacht über sie und nutzt sie auch zum Kommunizieren. Dadurch sind sie so bedeutsam geworden, dass man sie erforschen und durch sie mehr über unsere Gesellschaft lernen kann. Florian Schlittgens ist Meme-Wissenschaftler und spricht im MADS-Interview über das Kulturphänomen Meme.


Florian, zum Einstieg: Was ist eigentlich ein Meme? Kann man das ganz einfach erklären?

Memes können viele Formen und Formate annehmen: Bild-Texte, Tänze, aber auch Videos und Musikschnipsel. Entscheidend ist immer ihre Zirkulation, dass sie also angeeignet, bearbeitet und weitergetragen werden und dabei leichte Veränderungen erfahren.

Also fasst du den Begriff Meme weiter als mit Sprüchen versehene Bilder?

Auf jeden Fall, bei Memes wird etwas übernommen und für die eigenen oder kollektiven Zwecke abgewandelt. Da kann ein Bild neu vertextet oder ein Tanz ein bisschen anders getanzt werden. Es ist ein Spiel zwischen Wiederholung und Differenz. Dabei können Memes auch ganz eigensinnig umgedeutet oder umgestaltet werden, trotzdem müssen sie stets wiedererkennbar bleiben.

Florian Schlittgen ist Meme-Wissenschaftler. Foto: Florian Schlittgen

Zur Person

Florian Schlittgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin. Im Sonderforschungsbereich Intervenierende Künste forscht er zu Memes. Er erklärt, was man zu diesem Phänomen der Internetkultur herausfinden kann, was ein Meme ausmacht und wie man zum Meme-Wissenschaftler wird.

Und wie sind Memes entstanden?

Einen eigentlichen Ursprung besitzen Memes nicht, es gibt aber Vorreiter, zum Beispiel die Emblematik des 19. Jahrhunderts. Embleme funktionieren genau wie Memes heute: Es gibt ein Bild, das oben und unten von Text umrahmt wird. Im 20. Jahrhundert wurde zudem in der Werbung und in der Kunst viel mit Collagen und Bild-Text-Verschränkung gearbeitet, die unser heutiges Verständnis dafür geprägt haben. Für Memes gibt es deshalb viele Herkünfte, und heute finden wir sie eben auch im Internet.

Gibt es ein Erfolgsrezept für gute Memes? Also, dass sie sich lange halten und viel Reichweite generieren?

Erfolgreiche Memes müssen auf jeden Fall etwas sehr Schematisches haben, um möglichst viele Bedeutungen transportieren zu können. Dabei müssen sie wiedererkennbar bleiben, aber nicht allzu erwartbar oder langweilig ausfallen, damit wir sie noch mal aufs Neue aufgreifen und gut finden können. Das ist eigentlich auch eine passende Definition, wie Pop generell funktioniert.

Sind Memes das Pop-Phänomen des 21. Jahrhundert?

Ein bisschen schon. Heutzutage geht es viel um Individualität, und durch kreative Eingriffe in Memes passiert genau das, und dennoch funktionieren Memes nur kollektiv. Memes gehen aus einer kollektiven Autor*innenschaft hervor und erreichen dabei eine immense Leser*innenschaft. Letztlich werden sie auch nur produziert, um sie zu teilen.

Foto: Sara Kurfess/Unsplash

Das ist doch aber auch irgendwie ein schöner Gedanke, dass es in Zeiten von immer mehr Individualismus ein Gemeinschaftsmedium gibt, das von allen mitgestaltet wird. Weg vom Meme, hin zu dem, der es erforscht. Wie wird man eigentlich Meme-Wissenschaftler?

Also, ich lache viel auf der Arbeit! Du machst eigentlich das, was du eh schon machst, eben viele Memes sichten, nur halt professionell und für Geld. Nein, im Ernst: Ich habe im Master Medien- und Kulturwissenschaften studiert und wollte eigentlich untersuchen, wie sich Fitness-Apps auf unser Verständnis von Körperlichkeit auswirken. Als ich damit nicht ganz warm geworden bin, hab ich mich Memes und der Remix-Culture zugewandt. Brigitte Weingart, das ist meine Chefin, hat mich damals gefragt, ob wir für das Projekt in Berlin, wo ich jetzt arbeite, einen Antrag zu Meme-Kulturen schreiben wollen. Der wurde angenommen, und seitdem bin ich Meme-Wissenschaftler. Die Arbeit ist dann nicht mehr nur lustig, sondern sehr viel komplizierter. Schließlich sind Memes nicht nur witzig, sondern sie machen etwas mit unserer Gesellschaft, und das wollen wir verstehen.

Kannst du mal ein Beispiel geben, was man mit Memes aus der Gesellschaft lernen kann?

Einerseits werden mit Memes große und komplizierte Sachverhalte vereinfacht und zugespitzt dargestellt, andererseits können Memes in einseitige Erzählungen und stereotypische Vorstellungen eingreifen, indem sie sie ironisch kritisieren oder alternative Perspektiven anbieten. In beiden Fällen liefern Memes ein Angebot, wie man die Welt und sich selbst in dieser verstehen und einordnen kann. Sehr interessant finde ich dabei den persönlichen Bezug, den man mit Memes herstellt. Wenn ich zum Beispiel ein Meme über die Quarantäne während der Corona-Pandemie teile, teile ich oft auch meine Erfahrungen mit, in der Hoffnung oder Erwartung, dass es anderen ähnlich ergeht. Memes transportieren also nicht nur Meinungen und Überzeugungen, sondern auch Gefühle, Erfahrungen und Stimmungen. Sie lassen sich auch als gesellschaftliche Stimmungsbarometer verstehen. Gleichzeitig sind sie auch Stimmungsmaschinen.

Angesichts der Proteste gegen rechts: Nimmt die Internet-Meme-Kultur einen Einfluss auf politische Lager – rechte wie linke?

In dem Bereich wird tatsächlich viel geforscht. Gerade die Alt-Right-Bewegung ist da gut durchleuchtet worden. Mit Memes kann Rassismus verschleiert und salonfähig gemacht werden, indem er als Witz getarnt wird. Zudem nutzen rechte Bewegungen Memes, um zu trollen, Stimmung zu machen und um humanistische Diskurse zu besetzen. So hat die Rechte es tatsächlich stückweise geschafft, menschenfeindliche Ansichten als eine Meinung unter vielen zu kennzeichnen, um berechtigte Kritik als Beschneidung der Meinungsfreiheit abzutun. Besonders über Memes wird sich dann gerne als Opfer stilisiert, und liberale bis linke Bestrebungen werden als eigentliche Bedrohung stigmatisiert. Es geht viel um das Schüren von Angst durch Memes und um das Anbieten einfacher Feindbilder. Auf der anderen Seite sind Memes aber super dafür geeignet, diese Logiken zu durchschauen, um sie ironisch zu entkräften.

Werden Memes von irgendwem besonders vereinnahmt, oder produzieren und konsumieren sie alle gesellschaftlichen Gruppen gleichwertig?

Das ist wohl eine Generationsfrage, würde ich sagen. Jüngere bis junge Erwachsene gebrauchen Memes mittlerweile ganz selbstverständlich. Die Stärke des Memes ist hier aber auch, dass es keine starke Internetaffinität braucht, um sie zu verstehen und zu teilen. Man kommt an ihnen auch nicht mehr vorbei.

Glaubst du, dass der Einfluss von Memes in Zukunft noch wachsen wird?

Ich glaube, dass Memes gekommen sind, um zu bleiben. Schließlich ist es eine Art der Kommunikation, die sehr zeitgemäß ist. Memes stehen für schnelles Konsumieren. Da wird nicht groß gelesen, es soll ein Instant-Verständnis entstehen. Durch Insider-Jokes und das kollektive Teilen von Erfahrungen und Empfindungen festigen sie zudem soziale Bindungen und produzieren Zugehörigkeitsgefühle. Sie lassen sich daher auch als eine Antwort auf ein generelles Problem fernbasierter Kommunikation verstehen, nämlich die Abwesenheit der Anderen. 

Von Jennifer Kramer


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Über den Autor/die Autorin:

Jennifer Kramer

Jennifer (22) studiert in Hannover Politikwissenschaft. Damit das Studium nicht zu eintönig wird, schreibt sie nebenbei für MADS über alles, was sie bewegt. Besonders gern über Politik, Kultur und Literatur.

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