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Verbotene Bücher in den USA: MADS empfiehlt die besten „banned books“

Verbotene Bücher in den USA: MADS empfiehlt die besten „banned books“
Foto: Unsplash/Jason Leung

In den USA sind oder waren einige Bücher in Schulen und Bibliotheken verboten, die überall sonst Klassiker oder moderne Bestseller sind. Die MADS-Redaktion hat einige herausgesucht und erklärt, wieso diese „banned books“ besonders lesenswert sind.


Jährlich gehen in verschiedenen US-Staaten zahlreiche Anträge ein, dieses oder jenes Buch vom Lehrplan, aus Universitäten und Bibliotheken zu streichen. Die Gründe sind vielfältig: politische Standpunkte, Erotik, LBTQIA+-Themen, Magie. Sowohl neue Titel als auch weltberühmte Klassiker sind oder waren dadurch an einigen amerikanischen Schulen verboten. Allein zwischen 2021 und 2022 reichten Zensorinnen und Zensoren zweieinhalbtausend Anträge ein.

Der PEN, eine bedeutende Schriftstellervereinigung, hat in den USA aufgrund der vielen Buchbanne in den vergangenen Jahren einen alarmierenden Bericht verfasst. Dieser zeigt auf, dass Buchverbote instrumentalisiert und von politischen und ultrachristlichen Organisationen und Interessenverbänden genutzt werden, um Lehrkräfte sowie Bibliothekarinnen und Bibliothekare gezielt einzuschüchtern. So ist es keine Überraschung, dass vor allem Romane mit LGBTQ-Themen und Rassismuskritik auf der Verbotsliste in den USA weit oben stehen.

Einige besonders häufig kritisierte Werke sind hier angeführt – zusammen mit Argumenten dafür, warum es sich lohnt, diese Bücher zu lesen.

Sherman Alexie: „Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers“ (2007)

„Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers“ von Sherman Alexie ist die Geschichte eines Teenagers, der eine schwierige Entscheidung trifft und sich dabei mit grundlegenden Fragen des Lebens und des Erwachsenwerdens konfrontiert sieht. Eigentlich ein Jugendroman wie jeder andere, könnte man meinen. Doch die Erzählungen des „Teilzeit-Indianers“ sind anders als jene, die man von amerikanischen Autoren und Autorinnen und ihren Figuren gewohnt ist. Arnold Spirit Jr., genannt „Junior“, ist Teil des Spokane-Stamms und lebt in einem Reservat inmitten von Gewalt, Drogen und Diskriminierung. Als er sich eines Tages dazu entscheidet, für bessere Zukunftsaussichten eine „Schule für Weiße“ außerhalb des Reservats zu besuchen, wird er zum „Teilzeit-Indianer“ – und von seinen Freunden und Verwandten für diese Entscheidung verachtet.

Foto: dtv Verlag

Die tragische Geschichte ist nur durch die (laut Roman etwas zu große) Brille des gewitzten Protagonisten zu ertragen, der es stets schafft, das Leben allen Widrigkeiten zum Trotz mit Humor zu nehmen und sich treu zu bleiben. Autor Sherman Alexie, der selbst vom Stamm der Spokane abstammt, gelingt die Gratwanderung zwischen Tragik und Komik. Er führt die Lesenden nicht nur mit Worten, sondern auch mit seinen außergewöhnlichen Zeichnungen gekonnt durch diese völlig andersartige, doch authentische Geschichte – die Geschichte eines Außenseiters zwischen zwei Kulturen, von Unglück und Schmerz auf der einen und Mut und Lebenswillen auf der anderen Seite.

Von Myron Christidis

Stephen Chbosky: „Das also ist mein Leben“ (1999)

Charlie schreibt Briefe. Briefe, die stehts beginnen mit „Dear Friend“. Er ist die Hauptfigur des Romans „Das also ist mein Leben“ von Stephen Chbosky, auch als Verfilmung „Vielleicht lieber morgen“ und im Original als „The Perks of Being a Wallflower“ bekannt. Charlie schreibt in Briefform über alles, was ihn bewegt. Von Michael, seinem besten Freund, der Selbstmord begangen hat, über seine Familie und die neuen Freunde Sam und Patrick, bis hin zu seinem Englischlehrer, der ihm regelmäßig Bücher zum Lesen gibt. Gespickt sind seine Anekdoten mit fantastischen Songempfehlungen wie „Asleep“ von The Smiths oder seinen Gedanken zu literarischen Klassikern wie „Der Fremde“ von Albert Camus (1942). Allerdings muss man beides weder kennen noch mögen, um viel Wertvolles mitzunehmen. Im ganzen Buch ist Charlie ein Beobachter, er erfüllt das Klischee des titelgebenden Mauerblümchens.

Foto: Heyne Verlag

Charlie lebt durch andere Menschen und deren Bedürfnisse. Chbosky stellt die Entwicklung eines Jungen dar, der lernt, für sich selbst einzustehen. Die Unschuld des Protagonisten und seine aufopfernde Liebe für seine Mitmenschen berühren. Und doch bleibt am Ende der Geschichte ein Gefühl von Stärke zurück. Seit der Veröffentlichung ist der Roman nie in irgendeiner Versenkung verschwunden: Er ist ein Klassiker auf Tumblr wie Tiktok. Es ist ein zeitloses Werk, das sich einreiht in die Tradition grandioser Coming-of-Age-Romane wie „Der Fänger im Roggen“. Gerade in der Zeiten der Pubertät braucht es gelegentlich ein Buch, das so deutlich vor Augen führt, dass man okay ist, wie man ist.

Von Alicia Homann

Alex Gino: „Melissa“ (2022)

Die zehnjährige Melissa ist allen als Junge bekannt. Sie leidet darunter, nicht sie selbst sein zu können. Denn sie ist ein Mädchen, dessen ist sie selbst sich sicher. Das Schultheaterstück kommt da genau zur richtigen Zeit – Melissa möchte die weibliche Hauptrolle spielen, um endlich zu zeigen, wer sie wirklich ist. Dabei stößt sie nicht nur auf positive Reaktionen. Einfühlsam erzählt Alex Gino von Selbstfindung, Mut und Freundschaft.

Foto: Scholastic Press

Zuerst wurde das Kinderbuch unter dem Titel „George“ veröffentlicht. 2021 gab Alex Gino jedoch die Veröffentlichung einer Neuausgabe bekannt. Das Buch solle – aus Respekt der trans Community gegenüber – den neuen, selbstgewählten Namen der Hauptfigur tragen, und nicht den alten.

Dass ausgerechnet ein leichtherziges, mutmachendes Buch über Transidentität aus amerikanischen Bibliotheken und Schulen verbannt wird, ist bezeichnend. Aber im Kontext aktueller Entwicklungen rund um Transrechte in den USA ist das leider nicht einmal überraschend – und gleichzeitig ein Grund mehr, sich mit der Thematik zu beschäftigen.

Von Tom Schwichtenberg

John Green: „Eine wie Alaska“ (2005)

„Eine wie Alaska“, im Original „Looking for Alaska“, wird besonders von streng christlichen Initiativen und konservative Eltern kritisiert. Szenen seien zu explizit sexuell, Rauschmittelkonsum bei Jugendlichen werde aufgezeigt und damit Autoritäten und gesellschaftliche Verbote angezweifelt. All dies stimmt, doch wird das Buch von den Kritikerinnen und Kritikern damit geradezu für eigene Zwecke instrumentalisiert.

Foto: dtv Verlag

„Eine wie Alaska“ auf einige Seiten zu reduzieren und diese aus dem Kontext des Gesamtwerks zu reißen ist nicht nur literarisch, sondern auch pädagogisch fragwürdig. Es vernachlässigt die bedeutenden Fragen, die der Roman an seine (jugendlichen) Lesenden stellt: Wie lässt sich im Leben das Leid ertragen? Kann der Glaube an einen Gott Halt geben, oder ist er nur eine leere Illusion? Was ist wahre Liebe? Diese Denkanstöße zeigen das große Potenzial des Buchs für Jugendliche. Eine Auseinandersetzung damit im Unterricht dürfte auch im Interesse konservativer Eltern sein, wenn diese das Buch als Gesamtwerk betrachten würden.

„Eine wie Alaska“ ist unterhaltsam, regt aber ebenso zum Nachdenken über das eigene Leben an. Es zeigt auf, wie Freundschaften dabei helfen können, Schreckliches zu verarbeiten und trotzdem das Leben weiterhin genießen zu können. Deswegen sollte es gerade in der Schule gelesen werden, um Teenagern neben all der pessimistischen Schullektüre auf dem Lehrplan auch ein positives Gefühl zu vermitteln.

Von Lisa Neumann

Harper Lee: „Wer die Nachtigall stört“ (1960)

Das Buch (Originaltitel: „To Kill A Mockingbird“) zeigt aus der Perspektive der kleinen Jean Louise, genannt Scout, wie das Heranwachsen in den 1930er-Jahren in den amerikanischen Südstaaten aussieht. Autorin Harper Lee erzählt prägnant und erschreckend vom Rassismus, der überall spürbar ist. Mit Rassentrennung und Diskriminierung kommt auch Scout in Berührung, denn ihr Vater, Atticus Finch, wird als Anwalt zum Pflichtverteidiger des Schwarzen Farmarbeiters Tom Robinson berufen. Daraufhin erfährt die Familie in der Stadt Ablehnung, wird sogar bedroht. Beeindruckend öffnet die Autorin die Tür zu Scouts Gedankenwelt, in der Rassismus für jeden und jede erfahrbar gemacht wird. Scouts für ihr Alter sehr reife Ansichten hat sie ihrem Vater zu verdanken, der unvoreingenommen und vorurteilsfrei einen Schwarzen in der 1930ern vertritt, was damals keine Selbstverständlichkeit war.

Foto: Rowohlt Verlag

„Wer die Nachtigall stört“ gibt Lesenden viele Ratschläge mit auf den Weg und schafft Sensibilität für ein Thema, das noch heute leider aktueller denn je ist. Große Inspiration birgt ein Zitat von Atticus Finch: “You never really understand a person until you consider things from his point of view … until you climb into his skin and walk around in it.” Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten ist schließlich nie falsch.

Von Paulina Möller

J. D. Salinger: „Der Fänger im Roggen“ (1951)

Holden Caulfield hat es nicht leicht. Seine schulische Laufbahn ist alles andere als makellos, der erfolgreiche Vater erwartet viel von ihm, mit seinen Mitmenschen kommt er häufig nicht auf den gleichen Nenner. Als er wegen einer Prügelei einen Schulverweis erhält, beschließt Holden, sich einige Tage alleine in New York durchzuschlagen. Auf seinem unkonventionellen Weg zur Selbstfindung kreuzen sich seine Wege mit ehemaligen Mitschülern und Lehrern, Prostituierten und Alkohol.

Foto: Rowohlt Verlag

Letzteres sowie die raue Sprache im Roman sind mitunter Gründe dafür, dass J. D. Salingers einziger Roman schon seit den sechziger Jahren von zahlreichen Lehrplänen verbannt wurde und immer noch angefochten wird. Darüber hinaus gefiel es einigen Gruppen in den USA so gar nicht, dass Holdens Geschichte schamlos die Gesellschaft ankreidet und dafür ausgerechnet einen problematischen Jungen als Mittelsmann nutzt.

Allerdings macht genau das Holdens Geschichte so interessant. Sein Weg wird im Roman außerdem nicht glorifiziert – im Gegenteil, es ist stets klar, dass Holden selbst mit seinem Leben zu kämpfen hat, auch wenn er die Entscheidungen selbst getroffen hat. Aus heutiger Sicht ist „Der Fänger im Roggen“ eher ein Vorläufer der Young-Adult-Literatur mit einem moralisch grauen, interessant psychologisierbaren Protagonisten.

Von Annika Eichstädt


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Über den Autor/die Autorin:

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