„The Division 2“ erzählt keine große Geschichte – aber viele kleine
Im Actionspiel „The Division 2“ retten Spieler die Zivilisation vor dem Untergang. Teil 1 der Serie war für Ubisoft ein Erfolg. „The Division“ 2 muss nun nachlegen. Mitten im Action-Feuerwerk schlummern aber auch leise Momente.
Da ist es endlich, das Weiße Haus: Pockennarbig geschossen, hinter Stacheldraht und Barrikaden steht es da. Die Spieler haben es erreicht, haben dazu alleine auf dem Hinweg eine geschätzte Handballmannschaft an Plünderern erschossen, und sollen sich jetzt wahrscheinlich von dem Anblick erhoben fühlen.
„Das Weiße Haus ist sehr ikonisch“, erklärt Game Director Mathias Karlson die kreative Entscheidung. In „The Division 2“ (erscheint am 15. März für PC, PS4 und Xbox One) treten die Spieler als Mitglieder einer paramilitärischen Einheit an, um sieben Monate nach dem Ausbruch einer verheerenden Seuche wieder etwas Ordnung zu schaffen. Aus dem Regierungssitz der Vereinigten Staaten ist ein belagertes Krisenzentrum geworden. Das wirkt in Zeiten, in denen der Präsident der USA Donald Trump heißt, wie ein Kommentar – aber Videospiele entstehen zu langsam, um so eine Pointe zu setzen. „Das Spiel ist reine Fiktion. Die Entscheidung für das Setting ist vor über zwei Jahren gefallen“, stellt Karlson klar.
Bei „Loot-Shootern“ wie „The Division 2“ ist die Handlung nur Foto-Tapete
Der Spielemacher ist extra aus Schweden nach Berlin angereist. Hier stellt die Spielefirma Ubisoft ihren voraussichtlichen Hit der Saison vor. Teil 1 von „The Division“ erschien vor drei Jahren und war auf einen Schlag Ubisofts am besten verkaufte neue Marke. „The Division“ spielte in New York, kurz nach dem Ausbruch einer tödlichen Seuche. Und es trug zu Etablierung eines neuen Genres bei: dem Multiplayer-Ballerspiele in offenen Welten mit Rollenspiel-Elementen. Insider sprechen hier von „Open-World-MMO-Loot-RPG-Shootern“. Die Zutaten dieses Wortsalats lassen sich neu mischen, gemeint ist immer dasselbe.
Solche „Loot-Shooter“ haben zwar immer eine Geschichte, aber die hat eher den Stellenwert einer Foto-Tapete. Im Vordergrund steht eine Spielschleife, die sich immer wiederholt: Stets treffen die Spieler in „The Division“ auf neue Plünderer, gehen in Deckung, erschießen die Plünderer und plündern diese selber wieder. Ein großes Erfolgsgeheimnis des Genres ist, dass diese Spiele praktisch kein Ende haben.
40 Stunden für das Durchspielen der Missionen
Die Missionen können endlos variiert und wiederholt werden. Die Spieler jagen immer dem nächsten Upgrade, der nächstbesseren Waffe, dem nächsten Rüstungsteil hinterher. Auch drei Jahre nach seiner Veröffentlichung wird das erste „Division“ noch rege gespielt. Wer da noch mitspielt, achtet längst nicht mehr auf eine Geschichte; entscheidend ist das Taktik- und Geschicklichkeitsspiel hinter dem Grafikspektakel.
Teil 2 muss nun nachlegen und will erstens schöner aussehen, zweitens noch mehr Beschäftigung bieten. Allein das einfache Durchspielen aller Missionen soll rund 40 Stunden in Anspruch nehmen, und dabei ist all das noch nicht eingerechnet, worauf Vielspieler eigentlich schielen: täglich neue Herausforderungen, der Kampf Spieler gegen Spieler in gesonderten Arealen und die ewige Jagd nach der nächsten Verbesserung. Das sogenannte „Endgame“ ist für Spieler entscheidend, die solche Onlinespiele als Hobby betreiben, die mit ihren Freunden über Wochen und Monate nur dieses eine Spiel zocken.
„The Division 2“ will keine tiefere Botschaft haben
Andere Mammut-Marken in dieser Sparte flüchten vor jeder Bedeutung, spielen wie etwa „Destiny“ oder „Anthem“ in Science-Fiction- und Fantasy-Welten. „The Division“ dagegen zeigt den detailliert recherchierten, fotorealistisch inszenierten Zusammenbruch unserer Gesellschaft. Das wäre eine Chance – so ein Spiel könnte eine Botschaft transportieren, es könnte seine Spieler inspirieren. Aber das steht bei „The Division“ einfach nicht auf dem Programm. „Wir wollen den Leuten nicht sagen, was richtig ist und was falsch“, rechtfertigt sich Karlson. Er macht ein Entertainment-Produkt für ein möglichst großes Publikum. In den Spielen hat zwar eher derjenige Erfolg, der sich an Regeln hält, der mit anderen kooperiert – aber das war dann schon die Botschaft.
Gelegentlich funktioniert das. Das Ballerspiel in echten Häuserschluchten wirkt dringlicher, wenn der Kampf nicht auf irgendeinem fernen Planeten ausgetragen wird, sondern in alltäglichen Wohngebieten. Aber sobald man über das nachdenkt, was hier passiert, fällt die Illusion zusammen.
In „The Division 2“ ist Gewalt das erste und einzige Mittel
In der Berliner Präsentation zitiert Ubisoft echte Katastrophenhelfer, die beteuern, nur als allerletzte Maßnahmen sei Gewalt zu rechtfertigen. In „The Division 2“ ist Gewalt dagegen das erste und einzige Mittel. Ein paar Gegner können auch gemieden werden, die meisten aber werden über den Haufen geschossen. Der Kampf wirkt nicht realistisch: Die Gegner stürmen wie Tontauben auf das Schlachtfeld und werden dort zügig umgeschossen.
Als hätten Ubisoft selber den Witz verstanden, arrangieren sie die Widersacher in einer frühen Mission tatsächlich wie Schießbudenfiguren in einer Galerie. Von unerklärlicher Todessehnsucht getrieben rücken dabei immer weitere Widersacher nach. Betritt ein besonders harter Endgegner die Szene, dann hat er eine unmögliche Menge Lebensenergie, dann können die Spieler ganze Waffenmagazine in den gegnerischen Körper pumpen, ohne dass er umfällt.
Leise Momente im lauten Spiel
Anfangs sieht das martialisch aus, aber es fühlt sich nicht so an. Die Gegner sehen immer gleich aus, als seien es Schulhoffreunde, die sich mit Wasserpistole im Anschlag hinter neuen Bäumen verstecken. Die Altersfreigabe ab 16 ist der realistischen Anmutung geschuldet. Aber wirklich düster oder packend kann so ein Spiel gar nicht wirken. Das zu erwarten, wäre ein Missverständnis.
So zieht das bunte Geballer, am besten im Vierergespann mit Onlinefreunden, durch die maßstabsgetreu nachgebaute, überwucherte Hauptstadt der USA. Nur zwischen den Missionen passiert gelegentlich etwas Überraschendes: Dann sitzt plötzlich eine Frau auf einem Baugerüst und spielt Akustikgitarre. Oder mitten im Flur des Weißen Hauses hockt ein Mann und versucht, eine Frau zu reanimieren. Heiser zählt der Sanitäter noch mit, dann gibt er auf, sinkt zusammen, bleibt am Boden neben der Leiche sitzen.
„The Division 2“ hat vielleicht keine große Geschichte zu erzählen – aber sehr viele kleine. Auf diese Vignetten ist Karlson stolz. Um solche kleinen Momente zu schaffen, müssen all die Autoren, Grafiker und Designer eines Spiels Hand in Hand zusammenarbeiten. Wer als Spieler diese Momente entdeckt, der ist zuerst überrascht, und fühlt sich viel eher berührt, als nach dem Betrachten eines offiziellen Story-Moments. Abseits der platten Sprüche und der abgenudelten Action-Themen kann „The Division 2“ auch leise Töne anschlagen. Der Hauptanziehungspunkt bleibt aber die routiniert inszenierte Action.
Von Jan Bojaryn/RND