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Spendensammeln als Studijob: „Wenn die Zahlen nicht stimmen, gibt es Druck“

Spendensammeln als Studijob: „Wenn die Zahlen nicht stimmen, gibt es Druck“
Foto: Unsplash/Katt Yukawa

Möglichst charmant sprechen Fundraisende Menschen auf der Straße an. Die meisten reagieren genervt auf das Spendensammeln. MADS-Autor Myron weiß, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen – hier berichtet er von seinen Erfahrungen als Fundraiser.


Man findet sie meist in belebten Fußgängerzonen und auf großen Plätzen – oder besser gesagt: Sie finden einen. Mit smarten Sprüchen oder – im besten Fall – charmanten Catchphrases versuchen Fundraisende, Passanten zum Anhalten zu bewegen und in ein Gespräch über diesen oder jenen guten Zweck zu verwickeln. Spätestens, wenn es unvermittelt um den eigenen Geldbeutel und eine kleine Spende geht, werden solche Begegnungen für viele Menschen zum Ärgernis. Die einen können vielleicht schlecht ablehnen oder möchten nicht unhöflich sein, die anderen haben keine Lust auf soziale Interaktion – so oder so haben es die meisten heutzutage eilig und möchten ungern aufgehalten werden. Doch wie ist es eigentlich, auf der anderen Seite einer solchen Begegnung zu stehen?

Gut bezahltes Spendensammeln bei langen Arbeitszeiten

Besonders unter Studierenden ist Fundraising beliebt, weil sie in kurzer Zeit viel Geld verdienen können. Viele vergessen dabei jedoch: Die Arbeitszeiten sind lang, das viele Stehen und Laufen anstrengend und die ständige Abweisung zermürbend. Obwohl die meisten Agenturen ihre Neulinge vorwarnen, begreift man das erst so richtig, wenn man es selbst erlebt. Angestellt werden Fundraisende oft nicht direkt von den Organisationen selbst, sondern von Werbeagenturen. Im Auftrag meist wohltätiger Organisationen schicken diese ihre Angestellten auf die Straßen, um dort Fördermitglieder zu gewinnen. Das Jahreseinkommen eines „Vollzeit“-Fundraisers variiert sehr stark und liegt zwischen 30.000 und 70.000 Euro. Auch jobbende Studierende arbeiten – meist zum Mindestlohn – je nach Projekt und Agentur etwa 40 bis 50 Stunden die Woche, manchmal sogar mehr.

Agenturen vor Beginn checken

Nicht alle Agenturen zahlen konsequent den gesetzlichen Mindeststundenlohn, stattdessen absolvieren Neulinge zu Beginn unbezahlte „Schulungstage“ oder Workshops außerhalb der Arbeitszeiten. Dafür locken die Fundraisingagenturen mit „Prämien“, die es für jedes geworbene Fördermitglied obendrauf gibt. Dieses Konzept lohnt sich in der Regel aber nicht einmal für gestandene Profis, geschweige denn für Anfängerinnen und Anfänger, denn zum erfolgreichen Fundraisen braucht es viel Übung und Hartnäckigkeit. Vor einer Anstellung sollte man also in jedem Fall die Fundraisingagentur auschecken, Bewertungen im Internet suchen oder mit ehemaligen Mitarbeitenden in Kontakt treten. Trotz des schlechten Rufs gibt es seriöse Agenturen, denen es weitestgehend um den guten Zweck geht, deren Mitarbeitende Fundraising als Berufung betrachten und selbst für verschiedene Organisationen spenden.

MADS-Autor Myron. Foto: privat

Das Wichtigste beim Fundraisen ist natürlich, dass die Leute stehenbleiben und mit einem sprechen – das zu erreichen ist allerdings gar nicht so leicht. Zu Beginn kostet es eine Menge Überwindung, vorbeieilende Personen einfach anzusprechen. Und damit nicht genug: Ist man bei der Ansprache zu zögerlich oder höflich, laufen die meisten Menschen einfach vorbei. „Die meisten“, das sind pro Tag mehrere Hundert Menschen. Speziell als Neuling steht man dabei zudem unter Beobachtung, schließlich muss die Agentur wissen, ob sich die Anstellung für sie rechnet. Ist man zu zurückhaltend oder langsam, kann es schon mal vorkommen, dass man von der Teamleitung ermahnt wird. Ich selbst durfte deshalb während meiner Anstellung einige Krisengespräche mit der Teamleiterin führen, einmal sogar mit dem spontan angereisten Chef.

Druck und Überstunden

Die Teamleitung kommuniziert regelmäßig die Zahlen mit den Vorgesetzten und berichtet von der Motivation und Arbeitsmoral des Teams. Wenn die Zahlen nicht stimmen, gibt es Druck von oben und dieser wird an die anderen weitergegeben. Da von Beginn an eine freundschaftliche Nähe zu den Vorgesetzten und eine flache Hierarchie suggeriert werden, möchte man die neuen Freunde natürlich nicht enttäuschen. Es kann also ein sozialer Druck entstehen, der Stress erzeugt und dazu führt, dass man Dinge tut, die man eigentlich lieber sein ließe. Hat man bis zum Abend nur unzureichend „Schriebe“ gesammelt, also Fördermitglieder gewonnen, kann das dazu führen, dass sich die Arbeitszeiten spontan verlängern. Außerdem wird freundschaftlich davon abgeraten, zu viele Pausen zu machen, schließlich wolle man ja Geld verdienen. Da jeder Schrieb mit einer Prämie einhergeht, zieht das Argument. Statt der bezahlten acht Stunden werden es da gerne mal deutlich mehr – das lohnt sich jedoch höchstens für Profi-Fundraisende oder Naturtalente.

Doch auch wenn man sich überwindet und offensiver auf die Leute zugeht, kann das zu Problemen führen. Der Beruf des Fundraisers ist äußerst ambivalent: Ob man als soziale Hilfskraft oder bloße Belästigung wahrgenommen wird, hängt von der Person ab, die vor einem steht. Um erfolgreich zu fundraisen, muss man ständig über den eigenen Schatten springen. Oftmals kommt es zu unschönen Begegnungen für beide Seiten. Bei mehreren Hundert Menschen, die man je nach Aktivität den Tag über anspricht, schütteln durchaus nicht alle mit einem freundlichen Lächeln den Kopf, wenn sie kein Interesse an einem Werbegespräch haben.

Im Gegenteil nehmen sich einige lieber die Zeit dazu, ihren Unmut über diese Situation lautstark zu teilen. Spricht man besonders verärgerte Menschen an, wird man als Bettlerin oder Hausierer beschimpft oder darf sich unsachliche Kritik an der eigenen Beschäftigung anhören. Selbst die höflichsten Fundraisenden sind vor solchen Zusammentreffen nicht geschützt. Die Werbeagenturen gehen mit diesem Thema in ihren Schulungen sehr unterschiedlich um. Einige, so auch meine Agentur, legen in ihren Workshops vergleichsweise viel Wert darauf, dass ihre Angestellten höflich sind und die Leute nicht belästigen. Bei anderen wiederum ist der Druck so groß, dass die Fundraiser regelrecht dreist werden, um Abschlüsse zu machen oder Schriebe einzuholen.

Fazit: Persönlichkeitstraining für den guten Zweck

Ob Fundraisende nun die Welt verbessern oder bloß arglose Passanten belästigen, kommt wohl auf die Perspektive an und lässt sich so schwarz-weiß nicht beantworten. Ich selbst habe mich auf der Straße immer wieder gefragt, ob ich gerade einer von den Guten bin oder nur für Entgelt Leute nerve. Deshalb und außerdem wegen der teils unseriösen Arbeitsweise und dem etwas zu zwanglosen Umgang mit Arbeitszeiten wurde ich mit dem Job nie so richtig warm. Kann man sich mit den möglichen Widrigkeiten arrangieren, gibt es jedoch durchaus auch positive Seiten. Kaum ein anderer Job zwingt junge Menschen beispielsweise so konsequent aus der eigenen Komfortzone, wodurch sich eine Anstellung gleichzeitig hervorragend als Persönlichkeitstraining eignet.

Von Myron Christidis


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Über den Autor/die Autorin:

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