So stigmatisierend stellen Filme und Serien psychische Erkrankungen dar
Am Kleber schnüffeln und Speck aus der Socke ziehen: Die zweite Staffel von „The Umbrella Academy“ vermittelt ein abstruses Bild psychisch Erkrankter – das fördert Stigmatisierungen. Ein Kommentar.
Psychiatrien als Schauplätze von Horrorfilmen und psychisch Erkrankte als amüsante Nebenfiguren: Immer wieder werden seelische Störungen in Serien und Filmen thematisiert. Nicht selten greifen die Drehbücher dabei auf Stereotype und stigmatisierende Darstellungen zurück – aktuell zeigt sich das in der zweiten Staffel der Serie „The Umbrella Academy“.
Die Patienten breiten die Arme aus, drehen sich im Kreis und lachen, als sie durch eine Tür nach draußen entfliehen können: Gleich die erste Folge von „The Umbrella Academy“ spielt in einer psychiatrischen Anstalt der Sechziger. Besonders Patientin Lila steht in diesen Szenen im Fokus. Mit verstrubbelten Haaren, aufgerissenen Augen und hysterischer Lache spiegelt sie zahlreiche Klischees psychischer Erkrankungen wider. Mal schnüffelt sie am Kleber, mal zieht sie Speck aus ihren Socken. Das Ziel: Ihr abstruses Verhalten soll Fans der Netflix-Serie zum Lachen bringen. Und das tut es vermutlich auch – was also ist das Problem daran?
Als eine der häufigsten Gesundheitsstörungen werden psychische Erkrankungen laut des Bundesärztekammer zu einem immer größeren Problem. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen vor allem Depression, Alkoholismus, Schizophrenie und bipolare affektive Störungen. Trotz immer besser werdender Behandlungsmöglichkeiten sei die Stigmatisierung Betroffener nach wie vor ein großes Problem, so die Bundesärztekammer. Die Folge: „Für Deutschland ist belegt, dass ein großer Teil von Patientinnen und Patienten aus Scham wegen einer psychischen Erkrankung zu spät oder keine ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt.“
Stigmatisierung: Was ist das überhaupt?
Stigma lässt sich aus dem Griechischen ableiten und bedeutet so viel wie „Brandmal“. Durch Erving Goffman wurde das Konzept der Stigmatisierung innerhalb der Soziologie, also der Wissenschaft sozialen Handelns, aufgenommen. Demnach zeichnen sich stigmatisierte Menschen durch eine Eigenschaft aus, die sie von der Norm abweichen lässt.
Durch dieses nicht immer optisch erkennbare Merkmal sind sie in der Interaktion mit anderen unterlegen. Für Goffman steht die gesellschaftliche Benachteiligung im Fokus des „Stigmatisierung-Konzepts“.
Die Folge einer Stigmatisierung kann diskriminierendes Verhalten anderer sein – muss es aber nicht. Stigmatisierung ist also nicht mit Diskriminierung gleichzusetzen.
Filme und Serien, die nachweislich einen zentrale Rolle im gesellschaftlichen Austausch spielen, können Stigma und Stereotype verfestigen. Psychisch kranke Serienmörder oder schrullig-abstruse Psychiatrie-Patienten formen das gesellschaftliche Bild psychischer Erkrankungen. Die Macher dieser Serien und Filme tragen also durchaus eine Verantwortung, die Stigmatisierungen eben nicht zu verfestigen. Klar ist, dass der komödiantische Aspekt gerade in „The Umbrella Academy“ tragend ist. Doch dieser Humor auf Kosten von Minderheiten fördert eben auch das Formen von Stigma, die über die fiktiven Geschichten hinaus in den Alltag wirken.