Schülerkonflikte in MV: Senioren schlichten an Schulen
Vor allem an Grundschulen sprechen Mediatoren des Vereins „Seniorpartner in School MV“ mit zerstrittenen Schülern.
Tom hat Leonie immer wieder die Mütze vom Kopf gerissen, sie manchmal geschubst. Die Grundschülerin war genervt und fand ihren Klassenkameraden ziemlich doof. Der Konflikt konnte erst durch ein Gespräch gelöst werden, das in einem vertraulichen Rahmen mit Katharina Kowitz (58) und Karin Siewert (65) stattfand. „Tom sagte, dass er deshalb Leonie immer so oft geärgert habe, weil er mit Leonie spielen wollte“, berichtet Katharina Kowitz, eine der Mediatorinnen des Vereins „Seniorpartner in School“, die sich regelmäßig an Schulen in MV für Schüler in Konfliktsituationen engagieren. „Der Junge hatte ein ganz unglückliches Gesicht und Leonie war völlig erstaunt und sagte: ‚Na, dann sag’ das doch, dass du mit mir spielen willst!‘“, erinnert sich Mediatorin Karin Siewert (65). Das Problem gab es fortan nicht mehr, weil darüber gesprochen wurde.
Für die beiden Streitschlichterinnen ist das eine typische Situation, die sie an Schulen vorfinden: Ein Konflikt schwelt, schaukelt sich auf, die Parteien finden nicht zueinander. Es geht um Missverständnisse, Kränkungen, Rangkämpfe, Gerechtigkeitsfragen, Beleidigungen und um enttäuschte Erwartungshaltungen. „Wir bieten keine Lösung an, sondern begleiten die jungen Leute bei der Lösungssuche, wir wollen sie dafür sensibilisieren“, erläutert Katharina Kowitz.
Streitschlichter müssen fast 100 Stunden Weiterbildung vorweisen
Seit sechs Jahren ist die Landesgruppe „Seniorpartner in School“ (SiS) aktiv. Vor allem an Grundschulen in Greifswald und Rostock. Die Ehrenamtler sind geschult, müssen mindestens 80 Stunden Weiterbildung haben, neuerdings sind es sogar 96 Stunden, ehe sie sich mit den Schülern zusammensetzen. „Lehrkräfte sind oft komplett ausgelastet“, sagt Karin Siewert. Deshalb kämen sie häufig nicht dazu, für jedes einzelne Kind stets verfügbar zu sein. „Außerdem kommen wir von draußen, haben nichts mit der Schule zu tun – da fällt es Kindern zum Teil leichter, ihren Kummer bei uns loszuwerden.“ Zudem komme ein gewisser „Oma-Bonus“ hinzu. Das schaffe Vertrauen.
Die Senioren sind entspannter, weil sie nicht mehr dem beruflichen Tagesstress ausgesetzt sind. Außerdem sind die Damen diskret. „Nichts von den Gesprächen sickert durch“, so Katharina Kowitz. Lehrer und Schulleitung werden nicht einbezogen. „Wir versprechen den Kindern, dass nichts ohne ihr Einverständnis weitergegeben wird.“
Kinder haben hohen Redebedarf
Bianca Gens, Schulsozialarbeiterin an einer Grundschule in Rostock, sagt, dass es für junge Leute wichtig sei, Ansprechpartner zu haben. „Nicht alles lasse sich über Lehrer, Eltern oder mithilfe anderer Schüler lösen“, sagt die 48-Jährige. „Die Seniorpartner hören den Kindern anders zu und haben einen anderen Zugang zu den Schülern“, weiß sie.
„Kinder haben einen hohen Redebedarf“, betont die Schulsozialarbeiterin. Es gehe bei den Gesprächen nicht darum, einen Schuldigen zu suchen, sondern gemeinsam eine Lösung zu finden. „Es gibt keine Strafen, keinen Ärger für die Kinder – dadurch lernen sie unter anderem, die Wahrheit zu sagen.“ Gibt es keine Möglichkeit, Probleme zu klären, können sich Konflikte verfestigen. Kinder könnten dadurch krank oder aggressiv werden, sie könnten in Verweigerungshaltungen kommen beziehungsweise nicht mehr ordentlich lernen.
Oft geht es „nur“ um „Kleinigkeiten“
Die Seniorpartner seien eine große Hilfe, weil sie beruhigen, Situationen entspannen und schone kleine Sachen schnell klären könnten. Oft gehe es bei Streitereien „nur“ um Fragen wie etwa: Wer spielt mit wem, wer hat was kaputt gemacht, wer hat wem etwas weggenommen?
Zurzeit sind die Seniorpartner coronabedingt ausgebremst. „Das ist eine harte Phase für uns, wir können momentan nur wenig beraten“, sagt Karin Siewert. Sie und Katharina Kowitz hoffen, dass sie bald wieder in Schulen gehen dürfen, regelmäßig, wenn die Kinder sie brauchen.
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Von Klaus Amberger