Rückkehr aus der Großstadt: Wenn die Heimat fremd geworden ist
Nach einem langen Praktikumstag habe ich Hunger. Doch als ich vor unserem kleinen Dorf-Supermarkt stehe, hat der schon zu – um 19 Uhr. Der Kassierer dreht vor meinen Augen das Türschild um: geschlossen. Ich lache über mich selbst und merke, wie schnell man sich an das Großstadtleben gewöhnen kann. Vor über zwei Jahren bin ich zum Studieren nach Leipzig gezogen. Nun bin ich für drei Monate zurück in den vier Wänden meiner Eltern und in dem Dorf, in dem der Supermarkt um 19 Uhr schließt.
Die Fläche meines kleinen Heimatdorfs Hagen (Neustadt am Rübenberge) würde 30-mal in meine Uni-Stadt Leipzig passen. An meinem Institut studieren genauso viele Menschen, wie in meinem Dorf wohnen. Es fühlt sich seltsam an, durch die vertrauten Dorfstraßen zu laufen. Keine Straße, kein Haus hat sich verändert – ich schon.
Ich genieße es, frei und unabhängig in Leipzig zu wohnen. Ohne groß nachzudenken, springe ich zur späten Abendstunde in die Leipziger Tram, um zum Open-AirKonzert zu fahren. Weitaus weniger spontan sieht mein Leben zurück in Hagen aus: Meine Schulfreunde sind mittlerweile in ganz Deutschland verteilt. Zur Kneipentour mit alten Bekannten blieben also höchstens meine Eltern. Hier spielt am Abend keine Band in einem coolen Club, sondern muht höchstens die Kuh auf der Weide. Wenn ich am Wochenende nachts noch nach Hause kommen möchte, fährt für mich um 23 Uhr der letzte Zug aus Hannover. Tanzen bis spät in die Nacht – Fehlanzeige. Und auf die Dorfpartys kriegen mich keine zehn Pferde mehr. Dankend habe ich Helene Fischer gegen den Studentenkeller getauscht.
Trotzdem: Wenn ich durch die Maisfelder jogge und von den Nachbarn um die Ecke freundlich gegrüßt werde, rückt die Sehnsucht nach dem Stadtleben in weite Ferne. Hier bin ich aufgewachsen und das Gefühl von Geborgenheit und Vertrautheit fühle ich hier wie nirgendwo anders. Auch wenn es ein bisschen dauert, bis die Vertrautheit einkehrt.
Sophie Richter