„Ich habe echt Angst“: So fühlt sich Otilia (18) in der Corona-Isolation
Durchbrochene Routinen und Quarantäne: Die Auswirkungen der Pandemie gefährden die psychische Gesundheit. Selbst für Menschen wie Schülerin Otilia, die sich noch nie Gedanken um ihre Psyche gemacht haben. Die 18-Jährige leidet unter dem Verlust ihrer Strukturen.
Frühestens um zwölf Uhr aufstehen, etwas essen und wieder ins Bett gehen – so sieht Otilias Tagesablauf nun seit drei Wochen aus. Struktur? Fehlanzeige. „Die Pandemie hat mich völlig aus der Bahn geworfen“, sagt die 18-Jährige. „Ich mache quasi den ganzen Tag über nichts und kann mich einfach nicht aufraffen, das Bett zu verlassen.“ Noch vor ein paar Wochen war an so einen unstrukturierten Tagesablauf nicht zu denken. Schule, Freunde treffen und feste Termine – das alles gehörte zu Otilias Alltag. Seit ihr Leben hauptsächlich in ihrem Zimmer stattfindet, fehlt der Schülerin vor allem eins: Motivation.
„Ich habe mir nie groß um meine psychische Gesundheit Sorgen gemacht“, sagt Otilia. „Aber jetzt habe ich echt Angst davor, aus diesem Loch nicht mehr herauszukommen.“ Depressive Phasen sind bei Schülern auch ungeachtet der Corona-Krise keine Seltenheit – fast jeder dritte Schüler leidet laut der Krankenkasse DAK unter depressiven Stimmungen. Starke Einschränkungen, Isolation und durchbrochene Strukturen: Die Auswirkungen der Pandemie können negative Gefühle und depressive Stimmungen auslösen – auch in Menschen wie Otilia, die sich zuvor nie mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzen mussten.
„Die meisten verkriechen sich“
Seit zwei Jahren lebt die 18-Jährige in einer staatlich betriebenen Wohngruppe. Gemeinsam mit fünf Mitbewohnern teilt sie sich eine WG. „Die Betreuer versuchen uns auf jeden Fall zu motivieren, aber die Stimmung ist eher bedrückt“, sagt Otilia. „Die meisten verkriechen sich in ihren Zimmern.“ Dabei würde sich Otilia gerade jetzt von ihren Freunden wünschen, sich gemeinsam abzulenken. „Mal zu zweit rausgehen und spazieren gehen, würde meiner Laune sicher helfen“, sagt sie. Auch ihre schulische Situation bereitet der Elftklässlerin Sorgen. Aufgaben für zu Hause hat Otilia bislang nicht bekommen. „In zwei Jahren muss ich Abitur schreiben – und der Stoff fehlt dann.“ Wie ihre Schule der erzwungenen Schließung begegnen will und welche Pläne es für die Zukunft gibt, weiß sie nicht. Das bedeutet: Mehr als abzuwarten, bleibt Otilia nicht übrig. Und das tut sie die meiste Zeit eben in ihrem Bett – schlafend oder am Handy. Hilfreich ist das für ihren Gemütszustand nicht. Gerade ein Teil der medialen Berichterstattung verunsichert sie. „Bei vielen Gerüchten und Theorien weiß ich, dass sie falsch sind – trotzdem zieht mich das echt runter“, sagt Otilia.
Übermäßigen Medienkonsum vermeiden
Die „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“ (DGPPN) hält ebenfalls fest: „Zurzeit geistern viele Falschmeldungen zum Coronavirus durch das Internet und auch andere Medien, die unnötig verunsichern und verängstigen.“ Sie raten deshalb, exzessiven Medienkonsum zu vermeiden und die Push-Benachrichtigungen auszuschalten. „Informieren Sie sich regelmäßig, aber bewusst“, heißt es auf der Seite des DGPPN. Außerdem rät der DGPPN dazu, neue Routinen mit festen Zeiten zu schaffen.
Den Alltag neu zu strukturieren, ganz ohne feste Termine, ist allerdings gar nicht so einfach, wie Otilia feststellen musste. Immer mal wieder hat sie versucht, ihrem Alltag neue Routinen zu verleihen – bislang erfolglos. Ohne die richtige Motivation, fällt eben auch das Überwinden sonst eher nichtig erscheinender Herausforderungen schwer. Gelegentlich ihr Zimmer zu verlassen und etwas Sport zu machen, bemüht sich Otilia trotzdem. „Länger als eine Stunde darf ich die WG zwar nicht verlassen“, erklärt Otilia. „Aber ab und zu eine Runde Fahrrad fahren oder spazieren gehen, hilft zumindest für den Moment.“
Lies auch unser Interview mit Psychologin Kathrin Lethert zu dem Thema Stress:
Von Nina Hoffmann