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Du hast nicht für alles einen Lehrer

Du hast nicht für alles einen Lehrer
Foto: Unsplash

Der erste Platz beim HAZ-Schreibwettbewerb geht an Anastasia Glowienka von der IGS Hannover-Linden. Die Zwölfjährige hat ihren Ballettlehrer Jarred Ramon Bailey über seinen Neustart in Deutschland interviewt – auf Englisch.


Mein Ballettlehrer heißt Jarred Ramon Bailey. Er wurde in Memphis, Tennessee, USA, geboren. Als er sieben Jahre alt war, fing er an, Ballettunterricht zu nehmen. Mit 13 Jahren ging er allein nach New York, um an verschiedenen weltbekannten Ballett- und Schauspielschulen zu lernen. Anschließend tanzte er in unterschiedlichen Ballettensembles und Musicals in den USA und Europa. Außerdem war er als Choreograf und Trainer tätig. Vor etwa zehn Jahren entschied er sich, nach Europa zu gehen. Durch Zufall landete er in Deutschland.

Seit 2006 bist du in Deutschland. Warum bist du hierher gekommen?
Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich mal etwas anderes erleben wollte. Ich wollte sehen, wie die Menschen woanders leben, wie sie woanders tanzen und wie sie woanders die Arbeit als Tänzer auffassen und erledigen. Vor allem aber wollte ich viel lernen und als Künstler und Persönlichkeit wachsen.

Wie lange hattest du anfangs vor zu bleiben?
Anfangs hatte ich nicht wirklich einen Plan. Ich wusste nur, dass ich nach Europa gehen und dort bleiben wollte. Vielleicht fünf Jahre, vielleicht zehn Jahre, vielleicht auch noch länger. Ich wollte einfach sehen, wie es sich entwickelt, und dann entscheiden.

Weißt du noch, wie du dich in den Tagen vor deiner Abreise aus deiner Heimat gefühlt hast?
Ich habe mit 13 Jahren meine Heimatstadt Memphis verlassen und bin nach New York gegangen, um dort das Tanzen zu lernen. Mit 17 Jahren begann ich, im New York City Ballet zu tanzen. Ich war also schon vorher lange von meinen Eltern getrennt und alleine in einer fremden Stadt. Ich habe das aber sehr genossen. Ich denke, nach Deutschland zu kommen, war für mich nicht so schlimm. Ich hatte keine Angst davor, alleine zu sein. Als Tänzer ist man sehr oft alleine und auf sich gestellt. Das erzähle ich auch immer meinen Schülern: Du hast nicht für alles einen Lehrer, sondern du musst dich um vieles selber kümmern, sodass es läuft. Du musst sehr diszipliniert sein.

Und wie hast du dich im Flugzeug gefühlt?
Das ist eine gute Frage! Ganz ehrlich? Ich habe schreckliche Flugangst. Von New York nach Deutschland sind es sieben Stunden über den Ozean. Ich hatte mehr Angst um mein Leben als vor dem Leben in einem fremden Land.

Was waren deine ersten Eindrücke von Deutschland?
Als Tänzer muss ich sehr diszipliniert sein. Alles muss seine Ordnung haben. Ich liebe Pünktlichkeit. Also dachte ich, dass Deutschland genau der perfekte Ort für mich ist. Ich weiß, das sind Vorurteile. Ein wenig Sorge hatte ich vor der Kultur der Deutschen, vor ihrem Umgang mit fremden Menschen. In New York triffst du jemanden, gehst auf ihn zu und fängst gleich an, dich mit ihm über alles Mögliche zu unterhalten. Die Deutschen sind kälter, nicht so offen. Es dauert eine Weile, bis du jemanden kennenlernst und er sich dir freundschaftlich öffnet. Das war etwas, was ich lernen musste. Aber letztendlich sind wir alle nur Menschen. Wir haben alle Gefühle. Wir lachen. Wir weinen. Wir sind nicht so verschieden.

Welches sind die Hauptunterschiede zwischen einem Leben in Deutschland und einem Leben in Amerika?
Da gibt es tatsächlich einige Unterschiede, politische, finanzielle. Hier in Deutschland gibt es große Sicherheiten, eine Arbeitslosenversicherung, eine Krankenversicherung. Für die Leute hier in Deutschland ist das selbstverständlich. Sie sind nicht so dankbar dafür, wie sie sein sollten. In Amerika bekommen wir all diese Hilfen nicht so ohne Weiteres. Wir müssen insgesamt aggressiver sein, und jeder Einzelne muss mehr kämpfen, um etwas zu bekommen und zu erreichen. Das führt aber auch schnell zu Gier, Neid und Trägheit. Ich persönlich würde gerne an einem Ort leben, der sich irgendwo so in der Mitte zwischen dem amerikanischen und deutschen Lebensstil befindet. Aber es gibt keinen perfekten Ort auf dieser Erde. Jeder hat seine guten Seiten, jeder hat seine schlechten Seiten.

Hast du in Deutschland oder Amerika Probleme aufgrund deiner Hautfarbe?
Ja, die habe ich. In jeder Stadt in Amerika und Europa bin ich manchmal beschimpft worden, auch bei Behörden, sogar beim Ausländermeldeamt. Das ist Teil meines Lebens. Damit bin ich als farbiger Mann aufgewachsen. Als Schwarzer bin ich daran gewöhnt. Ich denke, so ist das in der Welt heutzutage. Aus Unsicherheit suchen Menschen nach Wegen, andere zu piesacken, wenn sie anders sind. Das ist menschlich. Nicht jeder ist so. Es gibt immer gute und böse Menschen. Ich verurteile aber keinen dafür.

Seit zwei Jahren haben wir eine sogenannte Flüchtlingskrise. Hat sich in dieser Zeit das Verhalten dir gegenüber geändert?
Tatsächlich ja! Wegen meiner Hautfarbe haben die Leute Vorurteile. Wenn ich nachts die Straße entlang gehe, wechseln Frauen manchmal die Straßenseite. Einmal hat eine Frau ihre Handtasche gegriffen und ist vor mir weggelaufen. Ich werde nicht nach dem beurteilt, was ich bin oder getan habe. Sie sehen nur meine Hautfarbe und haben Angst vor mir. Dabei bin ich Amerikaner und zahle hier Steuern.

Gibt es Zeiten, in denen du deine Entscheidung bereust?
Nein. Ich lebe für den Moment, tue das, was ich liebe. Wenn etwas nicht klappt, ändere ich es. Im Leben hast du keine Zeit, herumzusitzen und zu bereuen. Wenn du unzufrieden bist, musst du was ändern. Aus Fehlern lernt man.


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