Poesie im Digitalen Zeitalter: Instapoetry und die Magie der Notes-App
Zwischen Werbung von Musikerinnen und Musikern und idyllischen Strandfotos findet man mittlerweile auch Lyrik auf Instagram. Gedichte und eine so oberflächliche App wie Instagram passen auf den ersten Blick gar nicht zusammen. Warum funktioniert das Konzept trotzdem so gut, dass inzwischen sogar ganze Print-Ausgaben der Instapoetry erschienen sind?
Ob Joseph von Eichendorff, Wolfgang Goethe oder Clemens Brentano: In der Schulzeit mussten wir uns alle mit Gedichten von bereits lang verstorbenen Poeten herumschlagen. Das Metrum wurde meist klatschend identifiziert und der Reim mit A und B neben den Zeilen gekennzeichnet. Nur wenige hatten einen wirklichen Zugang zu der vermittelten Lyrik und so wurde Poesie in den Köpfen vieler als anstrengend und ermüdend abgespeichert. Dass Gedichte aber auch von modernen Themen handeln und in leicht verdaubarer Form dargereicht werden können, zeigen Phänomene wie sogenannte Instapoetry oder Notes App Poetry.
Was steckt hinter dem Phänomen der Instapoesie?
Bei Instapoetry handelt es sich um Gedichte, die primär für die Veröffentlichung auf Instagram gedacht sind. Daher lassen sie sich meist durch ihre Kürze und Einfachheit charakterisieren. Beim Scrollen auf Instagram ist es leicht, die Poesie wahrzunehmen und zu verstehen. Instapoetry wird dabei nicht selten durch passende Zeichnungen begleitet – vor allem die Poesie von Rupi Kaur zeichnet sich dadurch aus.
Rupi Kaur ist ein Name, der im Kontext der Instapoetry häufig fällt. Die indischstämmige Kanadierin gilt schließlich auch als eine der bekanntesten und erfolgreichsten Instapoetinnen. Ihre Debüt-Gedichtsammlung „milk and honey“ wurde bis heute über 3,5 Millionen Mal verkauft. Damit steht sie auf der Rangliste von verkauften lyrischen Texten noch vor Homers Odyssey.
Gestartet hat sie ihre Lyrik jedoch auf Instagram. Warum aber kommt das auf einer App so gut an, die schnelllebig und inszeniert ist, wie keine andere?
Erfolgschance auch für marginalisierte Gruppen
Gedichte auf Instagram zu veröffentlichen, beinhaltet keine sozio-ökonomische Barriere. Das heißt, dass jeder von überall alles veröffentlichen kann. Es gibt keinen Verlag, der reguliert und entscheidet, was die Leute lesen und was nicht. Jeder ist auf Instagram seines eigenen Glückes Schmied. Genau das verhilft marginalisierten Gruppen mit neuen Ideen, eine Stimme zu erlangen. Kaur schreibt über Themen wie Selbstliebe, toxische Beziehungen, Sexismus, Migration und sexuelle Gewalt. Viele können sich mit ihren Texten identifizieren, sehen ihren eigenen Schmerz in den meist kurzen Strophen.
Und genau durch diese schnelle Identifikation mit den Texten erreicht Instapoetry viele, wird immer wieder geteilt und so weiterverbreitet.
Simple Strukturen, kaum Regeln
Gedichte wie die von Celan oder Fontane wären wahrscheinlich nicht Instagram-tauglich. Denn in ihrer Komplexität und mit den ausgefeilten sprachlichen Mitteln passen sie nicht in das Muster der meisten Instapoesie. Diese ist vor allem darauf ausgelegt, dass man die dargestellten Emotionen leicht verstehen und nachempfinden kann und auch die stilistischen Mittel nicht zu hochtrabend sind. Chiasmen, Synkopen und Tautologien sind in Instapoetry also eher selten anzutreffen. Auch formtreue Metren und Rhythmen gibt es kaum.
Stattdessen lassen sich bei einer Analyse vor allem viele Metaphern, Enjambements und Anaphern identifizieren. Sie brauchen aber keine paragraphenlange Interpretation, sondern leuchten beim ersten Lesen ein. Das ermöglicht den Massenerfolg der Gedichte – auch auf einer schnelllebigen App wie Instagram.
Einkaufsliste, Passwörter, … Poesie?
Doch Instapoetry hat auch noch eine faszinierende Subkategorie: Notes App Poetry. Hier werden die Gedichte nicht nur in einer Notizapp eingetippt, sondern ein Screenshot von dieser hochgeladen. Aber warum machen das so viele Instapoeten?
Die Notizen-App ist eine unglaublich private App, die für die meisten ähnlich wie eine Mischung aus Notizblock, Tagebuch und Heftnotizen fungiert. Ob Einkaufsliste, Vorschriebe für WhatsApp-Nachrichten, Passwörter oder Duschgedanken: unsere Notizen App ist ein riesiges persönliches Mosaik. Deswegen wirken auch Screenshots aus der App privat und intim. Dass selbst Stars wie Taylor Swift und Lady Gaga diese nutzen, um Statements abzusetzen, ist vor diesem Hintergrund wenig verwunderlich. Denn allein schon durch das Medium wird eine Art Verletzlichkeit transportiert.
Auch Gedichte, die als Notiz-App-Screenshot hochgeladen werden, haben diese intime Ausstrahlung. Sie wirken wie rohe, unbearbeitete Gedanken, die um 3 Uhr morgens getippt wurden. Plötzlich scheint es so, als könnte jeder in der eigenen Notiz-App Poet sein und den Gedanken freien Lauf lassen. Das stimmt auch weitestgehend, aber genauso wie andere Gedichte darf diese Art der Lyrik ab dem Moment der Veröffentlichung rezensiert und kritisiert werden.
Genau das ist jedoch ein Problem der Notes App Poetry und auch der Instapoetry. Die sozialen Medien bieten nicht nur talentierten Lyrikern eine Bühne. Es erscheinen oft auch einfallsarme Texte. Dieser Umstand führt dazu, dass es nicht nur unglaublich viel Instapoetry gibt, sondern diese von Kritikern häufig als generisch und phantasielos empfunden wird. Denn schon ein simpler, semi-poetischer Satz kann durch einen Versbruch auf Instagram als Poesie zählen. Dass etwas keinen Filter hat, ist eben auch hier ein zweischneidiges Schwert.
Kommerzialisierung von Instapoetry als Kritikpunkt
Von dem Erfolg der Instapoetry profitieren jedoch nicht nur marginalisierte Gruppen, auch andere sehen ihre Chance zum Bestseller. Stars wie Lilli Reinhart, Gabbie Hanna oder Megan Fox haben in den letzten Jahren eigene Gedichtbände herausgebracht, dessen Inhalte Instapoetry sehr ähneln. Strittig ist, wie qualitativ und originell die Poesie ist, wenn sie doch eher mit der Intention des kommerziellen Erfolges veröffentlicht wurde. Diese Form der Lyrik sollte also wahrscheinlich mit dem Wissen konsumiert werden, dass es sich dabei kaum um Werke wie die „Todesfuge“ oder „Auf der Terrasse des Café Josty“ handelt.
Moderne Probleme erfordern moderne Poesie. Menschen wollen sich immer wahrgenommen und verstanden fühlen. In einer schnelllebigen Welt wie unserer gibt es daher auch schnelllebige Ausdrucksformen. Instapoetry ist aber nicht gleich schlecht, nur weil sie auf Instagram veröffentlicht wurde. Das müssen auch die Liebhaber der alten lyrischen Schule akzeptieren.
Von Marie Thielebörger