Neues Werkzeug: Prime Editing verändert das Erbgut so genau wie nie zuvor
Die Genschere CRISPR/Cas9 war bisher die beste Form der Genom-Editierung. Die Methode ist bisher jedoch teilweise fehlbar. Jetzt haben Wissenschaftler eine neue entwickelt: Das sogenannte Prime Editing soll Erbgut so präzise wie nie zuvor verändern und korrigieren.
Cambridge. Mit einem neuartigen Verfahren lässt sich Erbgut noch gezielter verändern als bisher schon. Die auf der Genschere CRISPR/Cas9 aufbauende Methode soll es ermöglichen, einzelne Bausteine des Erbgut-Moleküls DNA auszutauschen und kleine Abschnitte zu entfernen oder hinzuzufügen, berichten US-Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature„.
Theoretisch ließen sich auf diese Weise fast 90 Prozent der etwa 75.000 zu Krankheiten führenden genetischen Veränderungen korrigieren. In Zellversuchen zeigten die Forscher dies unter anderem für die Sichelzell-Anämie, eine Erkrankung der roten Blutkörperchen – und für das Tay-Sachs-Syndrom, eine unheilbare und tödliche Fettstoffwechselstörung.
Bewunderung aus Deutschland
Die Methode erweitere die Möglichkeiten der Genom-Editierung erheblich, urteilen Fachkollegen aus Deutschland. Allerdings seien weitere Optimierungen nötig, bevor eine Anwendung am Menschen in Betracht gezogen werden könne.
„Als Grundlagenforscher bin ich vor allem von der intellektuellen Brillanz, mit der die Technologie entwickelt wurde, sehr beeindruckt. Basierend auf dem CRISPR/Cas-System wurden hier mehrere unterschiedliche Arten der DNA-Veränderung auf eine sehr clevere Weise kombiniert, um gezielte Mutationen ins Genom einzubringen“, sagte Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie dem Science Media Center (SMC). Es müsse sich noch zeigen, wie breit die Technologie angewandt werden kann, aber sie sei ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der bisherigen Techniken zur Genom-Editierung.
CRISPR/Cas9: Präzise, aber wenig effizient
Mit der erst vor einigen Jahren vorgestellten Genschere CRISPR/Cas9haben Wissenschaftler ein Labor-Werkzeug, mit dem sich Erbgut auf recht einfache Weise präzise verändern lässt. Die Genschere steuert einen definierten Bereich im Erbgut an und zerschneidet mit Hilfe des Enzyms Cas9 an dieser Stelle den DNA-Doppelstrang. Bei der Reparatur wird die genetische Information an der Schnittstelle verändert – fehlerhafte Gene können so zum Beispiel stumm geschaltet werden.
Es ist auch möglich, einzelne Bausteine der DNA auszutauschen und neue Erbgut-Information an der Schnittstelle einzufügen. Allerdings ist die Effizienz des Verfahrens nicht sehr hoch und es kann auch außerhalb der angesteuerten Bereiche zu Doppelstrangbrüchen und damit zu unerwünschten Veränderungen der DNA kommen, zu sogenannten Off-Target-Effekten.
Neue Methode: Einzelne Basen austauschbar
Bei der neu vorgestellten Methode des Teams um Andrew Anzalone von der Harvard University in Cambridge (USA) wird der DNA-Doppelstrang ebenfalls nicht durchgeschnitten, sondern nur einer der beiden Stränge. Neue genetische Informationen werden dann nicht in Form von DNA, sondern in Form von RNA in die Zellen geliefert. Dieses verwandte Erbgut-Molekül wird vor Ort von einem ebenfalls mitgeliefertem Enzym in DNA umgeschrieben und in den durchschnitten DNA-Strang eingefügt. Die Forscher nennen ihr Verfahren „Prime Editing“, kurz PE. In Versuchen an menschlichen Zellen zeigten sie, dass sich damit einzelne Basen austauschen lassen und kleinere Abschnitte entfernt oder hinzugefügt werden können.
Weniger Nebenwirkungen als CRISPR/Cas9
„Die neue Methode ermöglicht präzise Änderungen des Erbguts mit hoher Effizienz, von denen viele bisher so nicht möglich waren“, sagte Jens Boch vom Institut für Pflanzengenetik der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover dem SMC. „Die gezielte Korrektur von Fehlern im Erbgut ist der Schlüssel zur Therapie von Erbkrankheiten beim Menschen.“
Die Forscher korrigierten etwa die Mutation in dem Gen HBB (Hämoglobin ß), die der Sichelzellanämie zugrunde liegt. Auch die genetische Veränderung, die zum Tay-Sachs-Syndrom führt, konnten sie beheben. Dabei ist ein kleiner DNA-Abschnitt in ein Gen eingefügt. Bei den Manipulationen traten weniger unerwünschte Nebenwirkungen auf als bei der Genschere CRISPR/Cas9, auch die Effizienz war höher, berichten die Wissenschaftler.
Prime Editing – nicht risikofrei
„So wie die bereits bekannte CRISPR/Cas9-Technologie ist auch das Prime Editing nicht frei von Risiken – das heißt, auch sie produziert unerwünschte Mutationen als Nebenprodukte der Erbgut-Editierung. Dies schließt auch Mutationen ein, die derzeit mit gängigen Verfahren nur schwer messbar sind, wie zum Beispiel größere Umlagerungen von Chromosomen“, schränkte Jan Korbel vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg gegenüber dem SMC ein. „Derartige Nebenprodukte sollten in Zukunft ausgeschlossen werden können, bevor die Technologie sicher in der Medizin angewendet werden kann.“
Verfahren könnte für Botanik interessant sein
Nach Ansicht von Fachkollegen lässt sich die Technik prinzipiell auch anwenden, um das Erbgut von Pflanzen zu verändern und etwa Sorten zu entwickeln, die gegen bestimmte Krankheiten widerstandsfähig sind oder andere wünschenswerte Eigenschaften aufweisen. „Gerade für Pflanzen scheint die Technologie besonders interessant zu sein. Wir arbeiten seit langem daran, genau geplante Veränderungen ins Genomeinzubringen“, sagte etwa Puchta. „Dies ist im Gegensatz zum einfachen Ausschalten von Genen immer noch sehr ineffizient. Die Technik könnte also tatsächlich helfen, leichter krankheitsresistente Pflanzen oder glutenfreie Pflanzenprodukte zu erhalten.“ Das müsse aber erst getestet werden.
RND/dpa