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Mit 14 im Wettbüro: Spielsucht unter Jugendlichen nimmt zu

Mit 14 im Wettbüro: Spielsucht unter Jugendlichen nimmt zu
Foto: besteonlinecasinos/Pixabay

Die Jagd nach dem großen Gewinn führt häufig in die Abhängigkeit: Besonders Jugendliche und junge Erwachsene seien anfällig für Spielsucht, sagt der Suchtbeauftragte der Bundesregierung. Wie es sich anfühlt, auf den nächsten Adrenalinschub zu warten, und welche Gefahren sich dahinter verbergen, erzählt ein Jugendlicher im Interview.


Alex (Name geändert) ist 27 Jahre alt und seit seiner Jugend spielsüchtig. Zum ersten Mal gewettet hat er mit 14, obwohl für Sportwetten eine Altersgrenze von 18 Jahren festgelegt ist. „Natürlich war mir klar, dass ich mit 14 noch nicht wetten darf, aber früher wurde noch nicht so stark kontrolliert wie heute. Das kam erst mit der Zeit“, sagt er. Er habe es in verschiedenen Wettbüros versucht, bis er in einem nicht nach dem Ausweis gefragt wurde. „Manchmal habe ich auch ältere Freunde gefragt, ob ich ihnen Geld geben kann und sie für mich einen Schein spielen. Irgendwann habe ich einfach meinen Ausweis gefälscht.“

Alex wettet vor allem auf Fußballspiele, gerade wenn ein Derby oder ein Finale ansteht. „Aber wenn man ein Spiel guckt, das nicht so interessant ist, aber man darauf getippt hat, dann ist eigentlich jedes Spiel wie ein Finale.“ 

Wenn nur der Kick zählt

Mit dem Wetten begonnen habe er wegen der Vorstellung, mit kleinem Einsatz schnell viel Geld zu machen. Mit 14 habe er teilweise mehrere Tausend Euro gewonnen, das ist für einen Jugendlichen eine Menge Geld. Über die Gefahren einer Spielsucht habe er sich damals überhaupt keine Gedanken gemacht. „Ich habe immer gedacht: Wenn ich mit 100 Euro Einsatz 1000 Euro mache, dann kann ich aus den 1000 Euro Gewinn auch 10.000 Euro machen. Manchmal spiele ich auch so, dass der Gewinn genau die Summe ist, die ich gerade brauche, um eine Rechnung zu bezahlen. Auf Dauer ist es aber immer ein Verlust.“

Mittlerweile überwiege aber vor allem das Adrenalin. „Wenn ich gewinne, dann fühle ich mich wie der König der Welt. Es gibt kein vergleichbares Gefühl. Wenn ich verliere, rede ich mir ein, dass das nur ein kleiner Rückschlag war und ich beim nächsten Mal wieder gewinne. Das Gefühl zählt irgendwann mehr – das Geld ist nur ein Bonus.“

Mit dem Gewinn spiele er eigentlich gleich weiter, erklärt Alex. „Und mit dem Verlust ist es so eine Sache – irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man sich Geld leihen muss, um weiterspielen zu können. Es hört erst auf, wenn ich wirklich gar kein Geld mehr habe.“ Erst dann überlege er manchmal, mit dem Wetten aufzuhören. Das halte allerdings nicht lange, denn letztlich überwiege der Gedanke, das Geld wieder hereinholen zu können.

Umfeld im Zwiespalt

„Man teilt mit Freunden nur den Gewinn, nicht den Verlust.“ Als Jugendlicher habe Alex deshalb versucht, so viel wie möglich von seiner Sportwettensucht geheim zu halten. „Keiner findet es cool, wenn ich verliere, aber habe ich nur noch einen Schein offen, fiebern alle mit. Dann kommen auch Sprüche wie ‚Gib mir doch was ab, wenn du gewinnst‘. Früher kamen sogar Mädchen zu mir und haben gesagt: ‚Spiel für mich mit!‘ Das hat bei ihnen sofort Interesse geweckt.“

Trotzdem sei Alex sich bewusst, dass er seinem Umfeld durch seine Spielsucht schade. „Wenn ich gewettet habe, gucke ich lieber Fußball, als mit meinen Freunden Zeit zu verbringen. Ich vernachlässige meine Arbeit und lasse Aufgaben liegen. Der Kopf ist immer beim Spiel. Sogar beim Autofahren gucke ich auf mein Handy, um die Ergebnisse abzurufen.“

Wenn er sich doch mit Freunden trifft, verbindet er die gemeinsame Zeit oft mit dem Fußballgucken. „Es macht einfach mehr Spaß, wenn Freunde sich treffen und man sie überzeugen kann, einen Schein zusammenzuspielen.“ Ein schlechtes Gewissen habe er deshalb nicht. Seine Freunde finden, er sei anstrengend, wenn er spiele. „Er ist einfach ganz anders drauf“, sagt sein Freund, der das Interview begleitet hat.

Spielsucht – Ein Experte klärt auf

Burkhard Blienert ist Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Pünktlich zum bundesweiten Aktionstag zum Thema Glücksspielsucht am 25. September erklärt er, warum gerade Sportwetten gefährlich sind und wie bessere Prävention aussehen könnte.

Burkhard Blienert. Foto: privat

Herr Blienert, dass Sportwetten süchtig machen können, steht außer Frage. Was unterscheidet Spielsucht von anderen Süchten wie Alkohol- und Nikotinabhängigkeit? 

Sogenannte stoffgebundene Süchte bemerkt man früh. Schwer Heroin-, Kokain- oder Crackkonsumierende sind körperlich stark mitgenommen. Ein Alkoholkranker riecht, wenn er etwas getrunken hat. Aber Spielsucht hat kein verräterisches Gesicht: Man kann sie weder riechen noch auf den ersten Blick sehen. Wer Tausende von Euros bei Sportwetten oder im Onlinecasino verzockt hat, hat keine äußerlichen Anzeichen. Das macht Spielsucht sehr still und schleichend. Entdeckt wird eine Spielsucht oft erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist, wenn der Schuldenberg ins Unermessliche gestiegen ist, Familie und Freundeskreis kaputt sind.

Welche Faktoren beeinflussen eine Spielsucht oder führen sie gar herbei?

Ob jemand die Kontrolle über sein Spiel verliert, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Persönlichkeit, Umfeld und eben der Gefährlichkeit des Angebots. Man kann sagen: je schneller und je verfügbarer, desto gefährlicher. Das macht zum Beispiel Onlinesportwetten so riskant. Man kann da ja quasi überall spielen, wo man ordentliches Internet hat. Die größte Gefahr geht von den illegalen Spielen aus, egal ob online oder vor Ort am Automaten und Wettterminal; sie zeichnen sich durch ein extremes Suchtrisiko – unter anderem wegen hoher Geschwindigkeit, fehlender Einsatzobergrenzen wie Sperrmöglichkeiten – und einer völligen Umgehung aller Jugendschutzregeln aus.

Stichwort Jugend: Wie schätzen Sie das Suchtpotenzial für Glückswetten unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein?

Mich besorgen die steigenden Zahlen. Hauptverursacher ist für mich die Werbung, die gezielt junge, sportbegeisterte Menschen anspricht und Glücksspiel als Lifestyle daherkommen lässt. Diese viel zu selbstverständliche Verbindung von Fußball und Glücksspiel kann gravierende Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche und vor allem auf suchtkranke Menschen haben. Die Bundesländer müssen dieses Thema über den Glücksspielstaatsvertrag regeln, bevor die Sportwettenwerbung noch mehr aus dem Ruder läuft.

Sportwetten sind erst ab 18 Jahren erlaubt. Ist diese Grenze Ihrer Meinung nach zu niedrig?

18 reicht, aber wir müssen mehr tun gegen das hohe Suchtrisiko, das von Sportwetten ausgeht. Weltweit steigen die Bruttoumsätze der Wettanbieter: Hier verlieren Spielende bei Sportwetten in einem Jahr mehr als 1,4 Milliarden Euro. 

Wie will die Bundesregierung Sportwettensucht bekämpfen? Gibt es spezielle Programme für betroffene Jugendliche?

Es gibt eine ganze Reihe an Präventionsangeboten, die sich gut bewährt haben. Hervorheben will ich die Projekt-Förderung für die Ombudsstelle, um Verbraucher und Verbraucherinnen beim Glücksspiel zu unterstützen. Damit wollen wir geschädigten Spielern und Spielerinnen systematisch dabei helfen, verlorene Wetteinsätze einzuklagen und somit den Markt für illegale Angebote mehr und mehr unattraktiv zu machen.

Zudem setze mich für noch mehr Aufklärung und Prävention und vor allem auch niedrigschwellige Hilfsangebote bei Glücksspielabhängigkeit ein. Da ist allerdings weniger der Bund als vielmehr Länder und Kommunen gefragt. Und für mich beginnt das Ganze nicht mit einem Präventionskurs, sondern damit, wie sehr wir riskante Angebote in unseren Alltag lassen. In Deutschland wird zurzeit mit über einer Milliarde Euro im Jahr für Glücksspiel geworben. Da kommt man mit Aufklärung und Prävention gar nicht hinterher. Deswegen gehört für mich die Werbung für Sportwetten mindestens raus aus den Hauptsendezeiten der Medien. Die Sportwettenwerbung ist aus dem Ruder gelaufen: vor dem Spiel im Fernsehen, während des Spiels auf der Stadionbande und selbst, wenn ich im Internet den Zwischenstand nachschaue, überall Werbung für Sportwetten. Das muss sich ändern.

Von Kleopatra Kuhn

Beratung und Unterstützung

Wer bei sich oder Angehörigen eine Glückspielsucht vermutet, kann sich zum Beispiel bei der kostenlosen und anonymen Beratung der BZgA beraten lassen. Sie ist Montag bis Donnerstag von 10 Uhr bis 22 Uhr und Freitag bis Sonntag von 10 Uhr bis 18 Uhr unter der 0800-1 37 27 00 erreichbar.


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Über den Autor/die Autorin:

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