Linkin’-Park-Sänger Mike Shinoda: „Trauer passiert zufällig“
Mit seinem aktuellen Album „Post Traumatic“ verarbeitet der Rapper und Sänger Mike Shinoda den Suizid seines ehemaligen Linkin’-Park-Bandkollegen Chester Bennington. Im Interview spricht er über die verschiedenen Stadien von Trauer und seinen Wunsch, in den kommenden Liveshows eine Verbindung zu Bennington herzustellen.
Mike Shindoda, „Post Traumatic“ erschien vor einigen Monaten, im Juni. Befinden Sie sich inzwischen im post-posttraumatischen Zustand?
So kann man es ausdrücken. Die Tour fühlt sich an, als würde ich ein bisschen herunterkommen. Ich habe sonst nichts auf dem Kalender stehen. Ich habe gerade viel mit anderen Künstlern komponiert und produziert. Die Tour ist eine schöne Abwechslung davon.
Ist es für Ihr Gefühl ein Unterschied, die Lieder des Albums zu veröffentlichen und nun sie live mit dem Publikum zu teilen?
Als ich die Songs schrieb, waren sie wie ein kleines Tagebuch, in dem ich Momente festhalte. Ich habe sie auch chronologisch auf dem Album angeordnet. Man hört quasi die Entwicklung meiner Gefühle und meiner Sicht auf die Dinge. Als es veröffentlicht war, habe ich natürlich das Geschehene weiter verarbeitet, und natürlich noch weiter, als ich danach einige Shows gespielt habe. Wissen Sie: Es gibt viel Abwechslung in der Show: die Linkin-Park-Sachen, die von Fort Minor und schließlich meine eigenen.
Sie spielen demnach Songs von allen Ihren Projekten?
Ja, es ist ziemlich feierlich. Ich möchte, dass es eine bedeutungsvolle Show ist, eine mit Momenten, die eine Verbindung zu Chesterherstellen, aber auch mit Momenten, die das nicht tun. Auch weil ich diese Show sehr oft spielen werde, möchte ich nicht, dass sie traurig ist. Das wäre hart für mich – und auch für die Crew, die seit vielen Jahren mit mir tourt und Chester auch gut kannte, zum Teil mit ihm befreundet war.
Es geht darum, das Leben Chester Benningtons zu feiern?
Zum Teil: ja. Und dann gibt es Momente, in denen es nicht um ihn geht. Ich glaube, wir haben eine gute Balance hinbekommen.
Sie haben in der Vergangenheit öfter von den sogenannten fünf „Phasen der Trauer“ – Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz – gesprochen und davon, dass sie nicht so linear ablaufen wie behauptet …
Ich ahnte nicht, dass diese Phasen teilweise ganz rasch aufeinander folgen. Es gibt bei der Trauer keine feste Reihenfolge oder Ordnung; es passiert zufällig. Es gab Tage, an denen wechselte ich alle fünf Minuten von einem Gefühl zum nächsten. Das ist wirklich anstrengend. Und das noch multipliziert mit all den Leuten, die berührt waren. Im Moment habe ich, glaube ich, einen guten Blick darauf, aber das mag sich ändern. Ich genieße es gerade, nach vorne zu blicken und die Shows zu spielen, mache mir aber auch keinen Zehn-Jahres-Plan.
War es manchmal vielleicht auch hilfreich zu wissen, dass Chester Benningtons Tod so viele Menschen berührt hat?
Nein, das hilft niemandem. Eher im Gegenteil. Was hilft, ist zu wissen, dass so viele Menschen von unserer Musik berührt wurden, aber dafür sind wir seit vielen Jahren dankbar.
Was hat geholfen?
Ich verarbeite Dinge immer schon, indem ich kreativ bin.3. März: Bremen
Tourdaten „Post Traumatic“ (Mike Shinoda) 5. März: Hannover
6. März: Oberhausen
8. März: Hamburg
18. März: München
22. März: Ludwigsburg
Was kann Musik in dieser Hinsicht, was andere Kunstformen nicht können? Sie sind ja zum Beispiel auch Grafikdesigner.
Ursprünglich bin ich ein Illustrator, der auch ein bisschen Grafikdesign kann. Aber ich würde mich nie als besonders tollen Grafikdesigner bezeichnen (lacht). Aber was die Verarbeitung angeht, sehe ich abgesehen vom unterschiedlichen Medium keinen großen Unterschied, ob ich nun Musik mache oder zeichne.
Ihr Album hört sich an wie eine emotionale Reise aus tiefster Dunkelheit bis hin zu einem Schimmer der Hoffnung – sehr persönlich jedenfalls. Was hat Sie dazu bewogen, das genau so zu veröffentlichen?
Da war kein Konzept dahinter. Ich wusste selber nicht, was herauskommen würde. Ich kam zu einem Punkt, der sich hoffnungsvoller anfühlt. Da dachte ich: „Wow, das war wirklich eine seltsame Reise.“ Es fühlte sich merkwürdig an, die frühen Sachen zu hören. Und heute fühle ich mich wieder anders. Jedenfalls war es ein gutes Gefühl, diese Lieder zu veröffentlichen und zu teilen, damit die Menschen wissen, was ich empfunden habe. Und ich hoffe auch, dass diese Lieder vielleicht anderen Menschen helfen können.
Bekommen Sie entsprechende Reaktionen?
Eher nicht. Mein Job ist es nicht, anderen Menschen zu erklären, welchen Weg sie nehmen sollten. Man kann dieses Album auch hören, ohne persönlich davon betroffen zu sein; so geht es mir auch mit vielen Alben, und ich genieße die Musik trotzdem. Bei den Shows genieße ich es, mich mit den Fans zu unterhalten. Auf dieser Tour war es teilweise ganz schön heftig, Geschichten auszutauschen.
Inwiefern?
Üblicherweise eher wegen der Geschichten, die Fans mir von sich erzählen, als dass es um Chester geht. Mir liegt es fern, diese Geschichte weiterzuerzählen. Nur so viel: Es berührt mich, wenn mir jemand sagt, dass ihm der oder der Song in einer schwierigen Situation geholfen hat. Ich bin sehr dankbar, dass es wegen der Songs diese Verbindung zu den Fans gibt.
Die Kraft der Musik …
Ich habe das Gefühl, dass ich in einem Gespräch gut mitteilen kann, was ich möchte. Aber trotzdem ist ein Song oft der beste Weg, um etwas mitzuteilen.
Wenn diese Reise nun zu Ende geht, welche Station steht als nächstes an? Heißt sie zufällig Linkin Park?
Gute Frage. Die Tour geht bis Ende März. Danach bin ich mit ein paar Leuten zum Songschreiben und Produzieren verabredet. Und danach ist alles offen. Mal gucken, was sich gut und richtig anfühlt.
Von Stefan Gohlisch / RND