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Lerndroge Ritalin: Ein Student berichtet von seiner Sucht

Lerndroge Ritalin: Ein Student berichtet von seiner Sucht
Foto: Unsplash/Danilo Alvesd

Das ADHS-Medikament Ritalin ist unter Studierenden eine beliebte Lerndroge geworden. Wie ein Betroffener die Abhängigkeit erlebt und welche Alternativen es gibt.


Klausuren, Hausarbeiten und Portfolios: Die Liste an Aufgaben im Studium ist lang, die Zeit oft zu kurz. Kommen dann noch Konkurrenzkämpfe, begrenzte Master-Plätze und Alltägliches wie Haushalt, Nebenjob und Co. dazu, suchen viele Studierende nach Auswegen, um immer schneller immer mehr zu schaffen. Die Uni Mainz fand schon 2013 in einer Studie heraus, dass jeder fünfte Studierende Lerndrogen nutzt.

Zweckentfremdung: Medikamente sollen beim Lernen helfen

Besonders beliebt: das konzentrationsfördernde Medikament Ritalin. Dieses ist eigentlich für ADHS-Patientinnen und -Patienten gedacht, wird jedoch auch zweckentfremdet und für die Leistungssteigerung genutzt. Gerade in Studiengängen wie Medizin, Jura und Psychologie ist die Lerndroge beliebt.

Was ist Ritalin?

Ritalin (Wirkstoff: Methylphenidat) ist ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel, welches normalerweise der Linderung von ADHS-Symptomen dient. Das Medikament hemmt den Transport der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin, was zur verbesserten Konzentration und Selbstregulation beiträgt. Nicht nur die Leistungsfähigkeit von Körper und Geist wird gestärkt, sondern auch Ermüdungserscheinungen treten weitaus später auf. In den USA gehört die neuartige Lerndroge der Betäubungsmittelklasse II an – genau wie Kokain und Morphium. Seit 2002 steigt die Abgabe von Ritalin in Apotheken stetig an. Während sie anfangs noch bei 628 Kilo pro Jahr lag, stieg sie zehn Jahre später bereits auf 1839 Kilo an. Eine Trennung zwischen ADHS-Erkrankten und Nichterkrankten ist dabei schwierig.

Foto: Unsplash/Hal Gatewood

„Meine Hände haben oft gezittert“: Pauls Erfahrungen mit Ritalin

Paul (20, Name von der Redaktion geändert) studiert im vierten Semester Psychologie und berichtet im MADS-Interview von seinen Erfahrungen mit Ritalin.

Paul, wie bist du auf Ritalin aufmerksam geworden?

Ich bin durch verschiedene Menschen auf Ritalin aufmerksam geworden. Von meinen Eltern, meinem Freundeskreis und sogar in der Grundschule habe ich bereits mitbekommen, wie gut es anderen Kindern beim Lernen geholfen hat. Außerdem habe ich von vielen Studierenden gehört, dass sie Ritalin nutzen. Ich hatte noch nie mitbekommen, dass jemand abhängig davon wurde. Dadurch, dass es so viele Menschen nehmen, dachte ich, da muss etwas Gutes dran sein, das kann man ja mal ausprobieren.

Haben sich deine Erwartungen bestätigt, als du das erste Mal Ritalin ausprobiert hast?

Anfangs hatte ich Angst und unrealistische Erwartungen. Ich dachte, ich könne zwölf Stunden am Schreibtisch durchlernen. Dem war natürlich nicht so. Ich habe mit einer niedrigen Dosis von rund zehn Milligramm pro Tag angefangen, und die Wirkung hat erst nach einer Stunde eingesetzt. Vielleicht lässt sich ein Teil mit Placebo erklären, aber ich konnte danach fünf bis sechs Stunden konzentrierter lernen. Der Übergang von „sich an den Schreibtisch setzen und sich langsam die Materialien anzuschauen“ zu „in einen Lerntunnel geraten“ war fließend. Es hat sich so angefühlt, als könnte ich gar nicht mit dem aufhören, was ich gerade tat. Das war nicht nur beim Lernen so, sondern zum Beispiel auch, wenn ich mich gerade mit jemanden unterhalten habe. Ich musste mich dann einfach weiter mit der Person unterhalten.

Welche Nebenwirkungen hast du verspürt?

Meine Hände haben oft gezittert und angefangen zu schwitzen, wenn ich Ritalin genommen habe. Irgendwann habe ich auch Einschlafprobleme bekommen und mein Schlaf wurde unruhiger. Die Kopfschmerzen, die dazu kamen, habe ich dann mit einer Tablette Ibuprofen bekämpft. Mein Körper hat also deutlich auf Ritalin reagiert.

Gab es auch andere Situationen, in denen du Ritalin genommen hast?

Einmal bin ich mit dem Auto zur Prüfung gefahren. Davor habe ich noch eine Tablette Ritalin genommen und auch in dem Fall gemerkt, dass ich viel konzentrierter beim Autofahren und während der Prüfung war. Mir ist dann erst aufgefallen, dass es verboten ist, unter Einfluss von Ritalin Auto zu fahren.

Hattest du das Gefühl, süchtig nach Ritalin zu sein?

Zum Ende hin schon. Das Gefühl war angenehm, weil man von nichts mehr gestört wurde, und ich habe oft daran gedacht, wieder mit Ritalin zu lernen, auch wenn es gerade nicht nötig war. Eigentlich sollte es mir nur in der Prüfungsphase helfen. Da ich Ritalin zu der Zeit jeden Tag genommen habe, wurde die Wirkung exponentiell weniger, sodass ich irgendwann nur noch ein bis zwei Stunden konzentriert lernen konnte. Wie bei den meisten Drogen gewöhnt man sich irgendwann an den Wirkstoff. Momentan nehme ich kein Ritalin mehr, aber für Notfälle habe ich immer noch ein paar Tabletten im Bad liegen.

Foto: Unsplash/Stefan Cosma

Besser lernen ohne Ritalin

Auch wenn Paul es nicht bereut, Ritalin genommen zu haben, betont er, dass man aufpassen müsse, die Einnahme nicht zur Gewohnheit werden zu lassen. Viele Menschen verlieren nämlich die Kontrolle und können bereits nach ein paar Wochen schon nicht mehr ohne Ritalin lernen. Dabei gibt es auch viele natürliche Maßnahmen, die eine höhere Konzentrationsfähigkeit und damit eine gesteigerte Leistungsfähigkeit mit sich bringen.

So helfen Omega-3-Fettsäuren dabei, die Konzentration langfristig zu erhöhen, ganz im Gegensatz zu Glukose (Einfachzucker), welche nur ein schnelles Hoch hervorruft. Die gesunden Fettsäuren befinden sich beispielsweise in Lachs, Nüssen, Raps- sowie Olivenöl und steigern die Durchblutung bestimmter Gehirnregionen. Genauso wichtig sind Bewegungs-und Wasserpausen, die für eine fundamentale Grundlage sorgen – ähnlich wie genug Schlaf. Ergänzend sind Meditations- und Aufmerksamkeitsübungen eine gute Idee. Anfangs fällt es vielen Menschen schwer, die eigenen Gedanken nicht abschweifen zu lassen und sich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Doch mit ein wenig Übung gehören diese Maßnahmen zu den effektivsten, was die Leistungssteigerung beim Lernen angeht. Unterstützen kann man dies mit der Nutzungsregulierung von Tiktok, Instagram und anderen Plattformen, die die Aufmerksamkeitsspanne reduzieren.

Leistungsorientiertes Mindset anpassen

Was das Erzielen von Leistungen angeht, kann außerdem ein Umdenken wichtig sein. Das Mindset ist ein unterschätzter Mechanismus. Es kann helfen, Akzeptanz dafür aufzubauen, nicht immer alles schaffen zu müssen. Auch sollte man damit aufhören, sich zu vergleichen. Denn jemand, der nicht darauf angewiesen ist, während seines Studiums zu arbeiten, hat andere Voraussetzungen als jemand, der neben seinem Vollzeitstudium noch einen Nebenjob hat. Oft ist es die fehlende Akzeptanz für die eigene Produktivität und das Arbeitsverhalten, die zusätzlich stresst. Ansprüche sind gut und wichtig, doch diese sollten kein Ausmaß annehmen, das psychisch belastet und wiederum anfälliger für Krankheiten macht. Dagegen kann auch kein Ritalin helfen.

Von Tara Yakar


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

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