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Leon Windscheid: „Männer verlieren nicht ihre Macht, wenn es eine Frauenquote gibt“

Leon Windscheid: „Männer verlieren nicht ihre Macht, wenn es eine Frauenquote gibt“
Foto: Marius Fuchtmann/ZDF

Leon Windscheid beschäftigt sich in einer neuen Staffel von „Terra Xplore“ mit toxischer Männlichkeit. Im MADS-Interview spricht der Psychologe darüber, warum starre Geschlechterrollen auch Männern schaden und wie sich ein positives Bild von Männlichkeit gesellschaftlich etablieren lassen könnte.


Leon, warum war es dir ein Anliegen, dich mit toxischer Männlichkeit auseinanderzusetzen?

Männer sitzen viel öfter im Gefängnis als Frauen, haben viel mehr Verkehrsunfälle, erkranken öfter an Sucht und nehmen sich viel öfter das Leben. Drei von vier Personen, die sich in Deutschland das Leben nehmen, sind männlich. Ich finde es krass, dass Männer im Schnitt fünf Jahre früher sterben als Frauen. Es gibt dazu eine spannende Studie mit Mönchen und Nonnen in katholischen Klöstern. Dort werden Männer und Frauen fast gleich alt. Das zeigt, dass das frühere Sterben von Männern wahrscheinlich nicht einfach an der Biologie des Mannes liegt, sondern an unserer Gesellschaft und daran, wie wir Mann sein definieren. Deshalb habe ich ein großes Interesse, darüber aufzuklären.

Wo fängt toxische Männlichkeit an?

Ich würde mir wünschen, dass wir merken, dass wir in einer sexistischen und männergeprägten Gesellschaft groß geworden sind. Als ich 16 Jahre alt war, wurden auf dem Schulhof Wörter wie schwul oder gay auf negative Weise genutzt. Damit bin ich groß geworden, und das verankert sich dann leider in den Köpfen. Deshalb ist es wichtig, dass man sich selber fragt, wo man vielleicht sexistisch oder homophob ist und sich dann nicht als falschen Menschen zu sehen, sondern es als Chance zu sehen, das Problem erkannt zu haben und dann an sich zu arbeiten.

Wie schadet toxische Männlichkeit unserer Gesellschaft?

Unser Bild vom Mannsein schadet in erster Linie den Frauen, aber es schadet auch uns Männern. Dieses „Sei hart, sei ein Macher. Ein Mann hat keine Gefühle, das ist was für Frauen, für Weicheier. Ein echter Mann geht nicht in Therapie“. Das sind alles Muster, die so in unseren Köpfen sind, dass wir denken, das ist ganz normal, und es hinnehmen und nicht hinterfragen. Wir müssen anerkennen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die seit Jahrtausenden durch ein Patriarchat geprägt ist. Viele fühlen sich dadurch aber persönlich angegriffen und denken, man wolle ihnen Vorwürfe machen und etwas wegnehmen. Das ist gefährlich. Wir sollten uns bewusst machen, dass nicht das Mannsein an sich der Fehler ist, sondern wenn sich Männer beispielsweise sexistisch verhalten.

Zur Person

Dr. Leon Windscheid ist Psychologe, Autor, Podcaster und Moderator. Sein Buch „Besser Fühlen“ war „Spiegel“-Bestseller, seine jüngste Live-Tour besuchten mehr als 100.000 Menschen. Zudem erforscht Leon Windscheid regelmäßig für das ZDF-Reportagedokuformat „Terra Xplore“ das Menschsein. Ab dem 8. September läuft dort die neue Staffel zu toxischer Männlichkeit, und im November tourt Leon erneut unter dem Motto „Alles Perfekt“.

Welches Bild von Männlichkeit hattest du in deiner Jugend?

Ich habe einen ganz tollen Papa, der schon immer sehr fortschrittlich war. Trotzdem war auch bei uns klar: Der Papa geht den ganzen Tag arbeiten und die Mama nur die Hälfte und ist dann mittags für uns Kinder da, wenn wir aus der Schule kommen. Ich bin mit einem viel traditionelleren und klassischeren Männlichkeitsbild aufgewachsen, als ich mir das, wenn ich mal Kinder hätte, für sie wünschen würde. 

Wie lässt sich die Entstehung eines toxischen Männlichkeitsbildes in jungen Jahren besser verhindern?

Väter sollten darauf achten, dass ihre Kinder sie auch als Männer erleben, die nicht nur ein einziges Bild von Männlichkeit vermitteln, sondern ganz verschiedene Seiten zeigen. Es ist wichtig, dass die Kinder sehen, dass sie nicht nur im Kindergarten Erzieherinnen haben und dass nicht nur Männer Unternehmen leiten. Sie sollten also neue Vorbilder bekommen.

Foto: Marius Fuchtmann/ZDF

In deiner anderen Serie „Terra X: Weltstädte“ reist du um die Welt, um die Einstellungen von Menschen in verschiedenen Metropolen zu erforschen. Existieren in anderen Ländern und Kulturen andere Männlichkeitsbilder?

Kulturen sind ganz unterschiedlich und entsprechend auch die Männlichkeitsbilder. Trotzdem findet man in fast allen Kulturen das Bild, dass der Mann mehr Macht als die Frau hat. Das ist etwas, was mich schon lange rumtreibt, denn wenn das so universell ist, wird klar, dass wir noch einen großen Weg vor uns haben, um was zu verändern. Wir sollten nicht immer auf irgendein Kalifat schauen, in dem die Frau sich vielleicht verschleiern muss und kein Auto fahren darf, und sagen, wie schlimm das sei, und dabei vergessen, wie viel im eigenen Land noch schiefläuft.

„Uns muss klar werden, dass Probleme nicht mit einer Flasche Bier geklärt werden müssen, sondern ich als Mann mit jemandem darüber reden kann.“

Leon Windscheid im MADS-Interview

Wie lassen sich positive Männlichkeitsbilder etablieren?

Das Bild von Männlichkeit sollte breiter gefasst werden – ohne, dass ich sage, jetzt darf es keine „echten“ Kerle mehr geben, die am Grill stehen wollen und nicht gendern oder sich nicht die Fingernägel lackieren. Dieses Bild von Männlichkeit darf aber nicht das einzige sein, und es muss auch okay sein, wenn ein Mann seine Männlichkeit in die ganz andere Richtung ausleben möchte. Ich bin gerne Mann, und vieles daran finde ich toll. Ich habe gerne einen Bart und bin gerne relativ groß, aber ich hätte gerne mehr Bizeps, und es stört mich auch, dass mir die Haare ausfallen. Aber wenn ich möchte, kann ich mich auch an dem bedienen, was wir als typisch weiblich bezeichnen. Ich beschäftige mich beispielsweise durch meinen Podcast und meine Arbeit als Psychologe viel mit Gefühlen. Das ist „typisch weiblich“, aber für mich ein Pluspunkt, weil ich flexibler mit meinen Gefühlen umgehen kenn und andere besser verstehe. Wir sollten ein neues Bild von Männlichkeit also nicht als Bedrohung sehen, sondern als Gewinn. Männer verlieren nicht ihre Macht oder Chancengleichheit, wenn es eine Frauenquote gibt. Uns muss klar werden, dass Probleme nicht mit einer Flasche Bier geklärt werden müssen, sondern ich als Mann mit jemandem darüber reden kann. Ich darf auch mal Schwäche zeigen – ohne dann zu denken, dass man dadurch gesellschaftlich ausgeschlossen wird. Ich finde es auch unglaublich wichtig, dass wir den Opfern, die meist Frauen sind, zuhören und Hilfsangebote machen. Das Thema Gewalt durch Männer kann man ohne die Männer nicht lösen. Ich bin aber sehr hoffnungsvoll, weil Menschen sich schon immer verändert haben und weil die Weise, wie wir uns definieren, schon immer im Wandel war.

Interview: Lisa Hofmann


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

1 Kommentar

  1. Sanddorn

    Also wenn Männer ihre Macht durch die Frauenquote nicht verlieren, dann ist das ja nur ein Beweis dafür, das von oben verordneter Feminismus nicht funktioniert.

    Antworten

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