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Konsum 2.0: Wie verzichte ich, ohne unglücklich zu werden?

Konsum 2.0: Wie verzichte ich, ohne unglücklich zu werden?
Foto: Unsplash (@Frankie Cordoba)

Tausende Schüler demonstrieren freitags für den Klimaschutz, besitzen aber alle ein Handy oder fliegen in den Urlaub. Sind wir eine Generation voller Doppelmoral? MADS-Autorin Sarah ist diese Vorwürfe leid.


Letztes Wochenende habe ich meine Eltern in der Heimat besucht. Mutti hat sich gefreut, es gab Erdbeerkuchen. Erdbeeren? Aus Spanien? „Das geht so aber nicht“, belehrte ich meine Mama, die mich verständnislos anblickte. Für die Erdbeerzucht verbrauchen die Spanier so viel Wasser, dass ganze Landstriche austrocknen, klärte ich sie auf. Wenn, dann muss man doch Erdbeeren aus Deutschland kaufen. Außerdem sind sie in Plastik eingepackt. Das ist wirklich nicht gut für die Erde. Natürlich aß ich dann den Kuchen. 

Nebenbei erzählte ich, dass ich demnächst für ein paar Tage nach Griechenland fliege, um dort eine Freundin während ihres Auslandssemesters zu besuchen. Mit Ryanair. Auf dem Rückweg von meinen Eltern las ich in der Bahn, dass die Fluggesellschaft unter den zehn größten Luftverpestern Europas gelistet wird. Mir wurde irgendwie mulmig. Klar weiß ich, dass Fliegen Umweltverpestung ist, und verdränge bei jeder Buchung mein schlechtes Gewissen. Trotzdem steige ich aber dann ins Flugzeug, fliege in den Urlaub oder besuche eben meine Freunde. 

Konsumproblem: Klimaschutz und Avocados

Damit stehe ich exemplarisch für eine ganze Generation. Freitags geht‘s auf die Straße, um für die Zukunft und Klimaschutz zu protestieren. Bei der Europawahl wählt man natürlich Grün. 33 Prozent der Wähler unter 30 Jahren in Deutschland gingen in die Wahlkabinen und machten ihr Kreuz immerhin bei dieser Partei. Anschließend scrollten sicherlich einige bei Instagram durch die Timeline. Und was sieht man dort? Blogger, die vor einer malerischen Naturlandschaft irgendwo am anderen Ende der Welt posieren. In der Story gibt‘s das Rezept für den leckeren Avocado-Chiasamen-Salat obendrauf. 

Und so sind wir doch fast alle, geben wir es zu! Wir pochen auf Nachhaltigkeit und kaufen bei H&M. Wir protestieren für eine bessere Umweltpolitik und hinterlassen Berge von Plastik. Wir wollen das Klima retten, besitzen aber alle ein Handy. Wir fahren mit dem Rad zur Arbeit und fliegen in den Urlaub. Wir sind wie die in Plastik eingeschweißten Bio-Gurken, nur andersherum: Außen Bio, innen Heuchler. Was für eine Doppelmoral.

Ressourcen für 2019 verbraucht

Dabei wissen wir alle, dass wir so, wie wir es jetzt tun, nicht weiterleben können – wenn es eine Zukunft für die Menschen auf der Erde geben soll. So kann Kosum nicht funktionieren. Bereits am 3. Mai hatten wir Deutsche laut Global Footprint Network unsere Ressourcen für das Jahr 2019 verschwendet. Alles, was danach verbraucht wird, wird vom Konto der Zukunftsgenerationen abgezogen. Auch Co2-mäßig leben wir auf großem Fuß – und zwar vor allem bei der Ernährung. Nach einer WWF-Studie verursachen Nahrungsmittel stolze 30 Prozent der Treibhausgasemissionen, der Verkehr 14 Prozent. 

Wir müssen unser Leben verändern. Und zwar so sehr, dass der Floskel-Renner bei diesjährigen Abientlassungsfeiern und Abschlussreden „Ihr könnt alles machen, was ihr wollt“ nicht mehr stimmt. Keine wasserverschwendenden Avocados mehr, kein Fleisch, keine Milchprodukte, keine Flugreisen mehr. Ich kann mir ein solches Leben noch nicht vorstellen. Ich will ein Handy und einen Laptop besitzen. Ich will leckere Sachen essen. Und ich will in den Urlaub fahren. Ist das wirklich Doppelmoral?

MADS-Tipps: Klimafreundlicher leben und essen

* Tschüss Plastik! Greif statt zur Plastiktüte lieber zum Jutebeutel und der Glas- oder Metallflasche.

* Lebensmittel und Kosmetik ohne Verpackung kaufen. Das hält oft länger und du sparst Plastikverpackung.

* Secondhandläden und Onlineportale wie Kleiderkreisel oder Depop sind super Alternativen zu konventionelle Fast-Fashion-Marken.

* Tierische Lebensmittel verbrauchen viel Wasser und erzeugen Treibhausgase. Wenn du mehr Pflanzen und weniger Fleisch isst, sparst du Kohlenstoffdioxid. 

* Achte beim Einkaufen darauf, dass die Lebensmittel regional, saisonal und bio sind. 

* Wirf Essen nicht weg. Wenn du große Portionen kochst, friere ein, was du nicht essen kannst. 

* Weniger ist mehr: Schon ein paar Zutaten können ein leckeres Gericht ergeben, dass eine niedrigere CO2-Bilanz hat, als ein Drei-Gänge-Menü.

Von Salima El Kurdi

Ich finde nicht. An meinem WG-Kühlschrank hängt ein Saisonkalender für Obst und Gemüse, der mir sagt, wann welche Frucht Saison hat und wann etwas teuer importiert werden muss. Daran orientiere ich mich, wenn ich einkaufen gehe. Frische Lebensmittel, die außerhalb von Europa kommen oer in Plastik eingepackt sind, habe ich mir verboten.

Ich esse kein Fleisch, trinke nur noch pflanzliche Milch und kaufe Freiland-Eier. Ich trenne meinen Müll und kaufe nur gebrauchte Bücher. Klar, das ist nur der Anfang von ethischem Konsum. Aber sich von heute auf morgen radikal zu verändern, über Verbote auf vieles schlagartig verzichten, kann uns doch nur unglücklich machen. 

Es ist wie bei einer Diät: Wer knallhart fastet, fiebert auf das Ende hin und schwupps – landet im Jojo-Effekt. Als ich vor neun Jahren Vegetarierin wurde, habe ich mir Fleisch langsam abgewöhnt – und vermisse es heute nicht mehr. 

Ethischer Konsum ist Prozess

Was ich damit sagen will: Sein Leben zu verändern, ist ein Prozess. Ethisch zu konsumieren heißt nicht, dass ich nicht mehr in den Urlaub fliegen darf und stattdessen mein schmales Studenten-Budget für Bio-Lebensmittel ausgeben muss. Aber wir sollten abwägen: Was brauche ich, was nicht? Was sind Alternativen? Scheitern ist erlaubt. Und wenn wir uns über manche Entscheidungen ärgern und dabei unsere Schuldgefühle nicht verdrängen, ist der erste Schritt getan.



Über den Autor/die Autorin:

Sarah Seitz

Sarah (22) studiert Politik und Germanistik auf Lehramt und kann sich herrlich über Fußball, Politik und die Welt im Allgemeinen aufregen. Besonders gern auf Papier.

1 Kommentar

  1. David B L

    Sehr guter Artikel, liebe Sarah, da hast du das Dilemma auf den Punkt gebracht.

    Einzig und allein ein Teil dieser Gesellschaft zu sein, egal wie klein und unbedeutend, in welchem Ausmaß, und egal wie sehr man sich bemüht, macht einen schon zu Komplizen – was ersteinmal aufzeigt, wie unnachhaltig und zerstörerisch diese Gesellschaft an sich ist, wenn man selbst als kleinster Teil Schaden und Mitschuld nicht abwenden kann. Was vielen nicht bewusst ist, ist wie sehr sich das Leben aller Menschen verändern muss, damit wir längerfristig als Spezies eine Chance haben. Von Flugzeugen, Computern, Handys, Autos, Städten, exotischem Essen usw. werden wir uns wohl oder übel verabschieden müssen.

    In den nächsten paar Jahren werden wir sehen, wie trotz all unserer „hellgrünen“ Bemühungen („Recycling“ oder besser gesagt Müll in ärmere Länder schicken; „grüner“ Strom, oder besser gesagt seltene Erdmetalle abbauen statt Erdöl pumpen, mit ähnlicher Umweltbilanz) jährlich der atmosphärische CO2-Gehalt steigt. Für alteingesessene Umweltschützer ist das überhaupt kein Wunder, da fast alle dieser Probleme ja schon 1992 in Rio angeklagt wurden – und, abgesehen vom Ozonloch, hat sich jedes einzelne Problem verschlimmert. Und selbst das Ozonloch ist zwar kleiner geworden, jedoch wird die Gesamtheit der Ozonschicht immer dünner, das Hauptproblem ist also alles andere als gelöst.

    Teil des Problems ist meiner Meinung nach die Ignoranz der Mehrheit der Menschen (diejenigen, die Theodore Kaczynski „übersozialisiert“ nennt). Wenn denen bewusst wird, wie viel von ihrem derzeitigen „Luxus“ und „Komfort“ sie aufgeben müssen (wenn ihre Kinder nicht frühzeitig von Hitzeschlag oder Hunger dahingerafft werden sollen) ist ihnen Umweltschutz nämlich plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Wie Bill Mollison schon gesagt hat, „Today’s luxuries are tomorrow’s disasters“, und da in unserer hedonistischen Yologesellschaft nichts heiliger ist als sich gut zu fühlen und „das Leben auszukosten“ – was auch immer das für die Zukunft bedeutet – wird sich so schnell auch nichts ändern. Nenn mich Pessimist, aber wenn man sich in der Weltgeschichte umguckt wird einem klar, dass die Mehrheit der Menschen erst dann was ändern will, wenn es ihnen zu heiß wird (und dann ist es leider zu spät).

    Was man meiner Ansicht nach auch hervorheben könnte (bzw. muss) ist, dass es nicht nur darum geht, etwas aufzugeben, sondern auch darum, etwas zu gewinnen (ich bin nämlich doch nicht so pessimistisch wie manch einer vermuten mag). Klar, wir müssen gewisse Dinge aufgeben, aber wenn man sich daran aufhängt fühlt man sich schnell schwermütig. Aber was kriegen wir denn als Gegenleistung für unseren Verzicht! Wie schon wäre es, wenn man das Wasser aus jedem Fluss und Bach wieder trinken könnte! Wenn man nicht auf Geld und Supermärkte angewiesen ist, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen – oh, welch eine Freiheit! Wenn es genug wilde Tiere gibt, dass man nicht auf Fleisch verzichten muss und damit trotzdem nicht der Umwelt schadet. Wenn man einen Apfel vom Wegesrand pflücken kann ohne sich Sorgen um Erbgut-gefährde Pestizide zu machen. Wenn man atmen kann, ohne sich Sorgen um Lungenkrebs zu machen! Wenn man sich montags nicht in aller Herrgottsfrühe ins Büro quälen muss, sondern aufstehen kann wann man möchte. Welch ein Luxus, morgens von Vogelgesang (und nicht vom Wecker) geweckt zu werden!

    Manch einer wird nun sagen, dass die von mir vorgeschlagenen Änderungen viel zu radikal sind, und die von mir angedeutete Alternative (oft abwertend als Utopie bezeichnet) viel zu unrealistisch ist, worauf ich nur entgegnen kann: bevor irgendwelche Vorschläge als zu radikal abgeschlagen werden, wartet doch bitte ein paar Jahre. Nur die Zeit wird zeigen, wie sehr wir unseren Lebensstil hätten ändern müssen – wenn es zu spät ist (und sagt dann bitte nicht, euch hätte niemand gewarnt). Und wenn ich zwischen Autobahnen und sauberen Flüssen, zwischen Städten und Wäldern wählen könnte, würde ich sofort letzteres nehmen.

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