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Kirchenaustritt: Jugend ohne Gott?

Kirchenaustritt: Jugend ohne Gott?
Foto: Unsplash/ @Karl Fredrickson

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Viele sind jung und beginnen gerade ihre Karriere. Auch MADS-Autorin Emma (20) hat sich abgewandt.


Mein gesamter Bildungsweg war christlich geprägt – bis zum Abitur. Kindergarten, Grundschule und Gymnasium trugen die Aufschrift „katholisch“. Engagierte Lehrer und ein höherer Leistungsanspruch: Dass meine Eltern mich auf katholische Schulen schickte, lag vor allem an dem guten Ruf dieser. Als überaus fromm würde ich meine Familie deshalb nicht bezeichnen. Dennoch spielte die Kirche lange Zeit eine große Rolle in meinem Leben – bis jetzt. Denn mit 20 Jahren habe ich mich dazu entschieden, aus der Kirche auszutreten.

Basteln und Krippenspiel

Bis zum Ende der Grundschule fand ich die Kirche ziemlich toll. Mit ihr verband ich damals vor allem das Basteln im Religionsunterricht oder das Nachspielen der Weihnachtsgeschichte. Zusammen mit dem Großteil meiner Klasse machte ich die Kommunion. Danach wurde ich Messdienerin – half also regelmäßig bei den Gottesdiensten mit. Hauptsächlich da alle bei der Ernennung eine große, gold-glänzende Medaille bekamen. Ein gutes halbes Jahr hatte ich Spaß am Klingelnläuten, Kerzenhalten und Weihrauchschwenken – danach entschied ich mich doch fürs Ausschlafen an Sonntagen.

Noch begeistert dabei: Emma und der Pastor ihrer Gemeinde am Tag ihrer Kommunion.

Im Verlauf des Gymnasiums, schwächte sich dann meine gute Einstellung zur Kirche. Anfangs ging ich noch brav donnerstags vor der Schule zum Schulgottesdienst, doch mit dem Glauben an Gott tat ich mich die ganze Zeit immer schwerer. Glaubenskriege, Kreuzzüge und die lang anhaltende politische Rolle der Kirche: Je mehr ich über meine Religion lernte, desto stärker zweifelte ich an den christlichen Werten.

Audienz beim Papst

Dieser Eindruck wurde auch nicht besser, als ich eine Studienfahrt nach Rom machte, und wir den Vatikan besuchten. Während einer Audienz beim Papst, erfasste mich das Grauen. Während vor mir Dutzende Menschen ihre Babys in die Hände des Papstes streckten, erinnerte mich das ganze Szenario an Dan Browns „Illuminati“. Die Kardinäle, die hinter dem Papst standen, fand ich mit ihren grimmigen Gesichtern und langen roten Gewändern vor allem gruselig.

Ist aus der Kirche ausgetreten: Emma (20).

Dieser Tag ist heute zwei Jahre her, und trotz der Erfahrung blieb ich bis jetzt in der Kirche – obwohl ich mich schon lange Zeit als Atheistin betiteln würde. Zu viele Erinnerungen und bürokratische Hürden hinderten mich am Austritt. Denn: Der Kirchenaustritt ist leider nicht so einfach wie eine Abokündigung bei Netflix. Je nach Bundesland kann man nur an Amtsgerichten und bestimmten Kirchenstellen den Antrag auf Austritt stellen. Ich muss erst einen persönlichen Termin beim Standesamt vereinbaren – und 25 Euro zahlen. Laut einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge der Albert-Ludwig-Universität Freiburg verlassen bis zum 31. Lebensjahr etwa 20 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer die Kirche.

Der Entschluss, mich endgültig von der Kirche zu lösen, kam durch mein Studium. Ich studiere seit knapp eineinhalb Jahren in Amsterdam. Nach Angaben des CBS (Centraal Bureau voor de Statistiek) waren 2018 53 Prozent aller Niederländer konfessionslos, im Vergleich waren es zeitgleich in Deutschland nur 37,8 Prozent (fowid). Während ich die Bibelgeschichten zu Pfingsten und Christi Himmelfahrt runterbeten könnte, wissen viele meiner Freunde hier nur grob oder gar nicht, was diese Feiertage bedeuten. Aber auch während meines Studiums habe ich mich durch das Lesen von Philosophen wie Nietzsche mit Argumenten gegen die Existenz Gottes beschäftigt.

Nicht mehr kompatibel

Meine Einstellung zum Leben und zum Wissen ist nicht mehr kompatibel mit der katholischen Kirche. Ich kann nicht akzeptieren, dass Frauen keine Priesterinnen werden können, und dass sich die Kirche gegen Wandel sträubt. Die Steifheit des Christentums passt nicht zur liberalen Lebenseinstellung, die ich in Amsterdam kennengelernt habe. Deshalb gewinne ich meine Medaillen heute lieber beim Schwimmen, anstatt sie von der Kirche verliehen zu bekommen.

Von Emma Schell


Zahlen und Fakten: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus
Mehr als die Hälfte der Deutschen sind Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche.
Die Mitgliederzahlen sinken aber stark: Die Jahresstatistik der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland zeigt, dass die Zahl der Protestanten im Jahr 2018 um etwa 395 000 zurück ging. Die der Katholiken sank um insgesamt 309 000. Im Vorjahr waren es noch knapp 660 000 Mitglieder, die der Kirche den Rücken kehrten.
21,1 Millionen Menschen gehörten 2018 der evangelischen Kirche an. Die katholische Kirche zählte in dem Jahr rund 23 Millionen Mitglieder. Dazu kommen natürlich noch die Christen aus orthodoxen und Freikirchen.
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Nach dem Feiern geht’s zum Gottesdienst

Louis studiert Theologie und Biologie auf Lehramt. MADS erzählt er, warum ihn die Kirche fasziniert.

Wie würde sich Jesus auf Tinder präsentieren? Diese Frage stellt sich Louis bei einem Kirchenabend, den er gemeinsam mit anderen Studenten organisiert. Unter dem Motto „It’s a match“ wollen er und seine Kommilitonen herausfinden, wie sich Jesus zeigen müsste, um möglichst viele Swipes nach rechts zu bekommen.

Kirche muss nicht altbacken sein, findet Theologie-Student Louis (26).

Auch zwischen Louis und der Kirche war es ein Match. Nachdem er während seiner Konfirmandenzeit Gefallen an den Gottesdiensten fand, blieb er einfach dabei – und geht mittlerweile jeden Sonntag in die Kirche. Für den 26-Jährigen ist das keine Last. Im Gegenteil: „Die Kirche ist für mich eine schöne Auszeit vom Alltag. Besonders in der heutigen Zeit, wo alles extrem schnelllebig ist und Gemeinschaften an Wert verlieren, während Individuen wichtiger werden.“

Einfach mal nachdenken

Gottesdienste würden ihm helfen, Antworten auf Fragen nach dem Sinn des Lebens zu finden und in Ruhe nachzudenken. Deshalb begann er auch, Theologie und Biologie auf Lehramt zu studieren. Dabei engagiert er sich an seiner Universität im Fachrat für evangelische Theologie. Der Fachrat organisiert nicht nur Predigten oder die Erstiwche: „Wir veranstalten auch Grillabende und Partys“, erzählt der 26-Jährige.

„Keiner kann Bibel auswendig“

Selbst nach einer durchzechten Nacht stellt er sich den Wecker, um zum Gottesdienst zu gehen. Auch deshalb findet er typische Vorurteile über Theologiestudenten falsch: „Keiner kann die Bibel auswendig“, sagt der Student. „Das sind alles sehr offene und herzliche Menschen.“ Trotz seiner Faszination für Religion: Der Theologiestudent kann Menschen verstehen, die austreten. „Deshalb suche ich mir meine Kirche selbst aus“, erzählt er. Während manche Gotteshäuser ein altes und starres Programm hätten, gäbe es moderne Gemeinden. „Meistens kann man sich dort auch selbst einbringen, Verbesserungsvorschläge machen und den Gottesdienst mitgestalten.“ Deshalb hält er mittlerweile auch öfter Predigten und macht Musik in der Kirche. Kirche müsse eben nicht altbacken sein.

Von Jacqueline Hadasch


Über den Autor/die Autorin:

1 Kommentar

  1. scobel68

    Emma Schell versucht sich an einer Erklärung, warum sie aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist. Leider bleibt es beim Versuch, denn sie begibt sich auf das gleiche Niveau wie die von ihr kritisierten.
    Auch ich bin ein mal aus dieser Kirche ausgetreten. Ich war befremdet über die Arroganz einer hierarchischen Ämterklasse („Kardinäle mit grimmigen Gesichtern und langen roten Gewändern“), die in der Tat scheinbar jeden Wandel stoisch abwehren, aus Angst, ihre Macht zu verlieren.
    Doch ich glaube nach wie vor und halte die christlichen Werte wie Nächstenliebe, Vergebung, Ehrfurcht vor dem Leben für großartige Ideale, die es anzustreben gilt. Ich habe einfach nach einer anderen, besser für mich passenden Hülle gesucht. Perfekt ist keine.
    Glaubenskriege gibt es übrigens nicht nur bei Kirchens, sondern überall, wo Menschen ihren Glauben an eine bestimmte Sache überhöhen. Die Kreuzzüge waren das mittelalterliche Ergebnis von Fake-News, Populismus und Machtmissbrauch. Sie zeigen nur auf, wie schwach der Mensch ist und wie dringend er ethische Maßstäbe braucht. Dass sich die historische (römische) Kirche hier schwere Schuld aufgeladen hat, hat sie selbst längt einegstanden.
    Wenn es Emma Schell wirklich wichtig wäre, dass es Priesterinnen in der römisch-katholischen Kirche gäbe, würde sie innerhalb der Kirche dafür eintreten, so wie es inzwischen weltweit geschieht und dadurch Schritt für Schritt auch vorwärts geht.
    Glaube kann man nicht 1:1 Wissen entgegensetzen, es sind zwei verschieden Ebenen des menschlichen Geistes, der beides braucht. Ein Wissenschaftler würde nicht forschen, wenn er nicht zuvor daran glaubte, etwas bestimmtes zu entdecken, in der Überzeugung, dass es schon da ist.
    So ist der Glaube eine Suche, ein sich-auf-den-Weg-machen. Es sind die Widersprüche, die ein Leben bereichern. Es ist sehr bequem, die Überlegungen Nietzsches auf einen Beweis für die Nicht-Existenz Gottes zu reduzieren. Das wird ihm nicht gerecht.

    Meine persönliche Ethik, die sich auch aus dem Christentum speist, leitet auch mein Handeln in der Gesellschaft. Gutes Tun schafft Freude, Wertschätzung und Dankbarkeit. Das sind meine Medaillen.

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