Kinder in Wohngruppen: So wurde in Rostock Homeschooling & Co. gemeistert
Kinder in Wohngruppen hat die Corona-Krise hart getroffen – und auch die Betreuer vor Herausforderungen gestellt. Es war keine einfache Zeit, sagen zwei Fachleute aus Rostock. Wie sie die Herausforderung gestemmt haben.
Es ist ein besonderer Ort mitten im Rostocker Stadtteil Lütten-Klein. In einem der gewaltigen Wohnblöcke gibt es eine Wohngruppe, in der bis zu acht Kinder und Jugendliche leben. Oft jahrelang. Betreut von Erziehern, Sozialarbeitern und sozialpädagogischen Betreuern.
Auf rund 200 Quadratmetern verteilen sich die Zimmer der jungen Leute, ein Büro sowie die Küche mit einem langen Esstisch. Die Gemeinnützige Gesellschaft für Kinder und Jugendhilfe des ASB mbH (kurz: ASB Kinder- und Jugendhilfe in Rostock) betreibt mehrere derartige Wohngruppen in der Hansestadt, die aus unterschiedlichen Gründen vorübergehend nicht zu Hause leben. So wie die 16-jährige Juliane (Name von der Redaktion geändert). „Ich lebe seit eineinhalb Jahren hier“, sagt sie. „Weil es in meiner Familie nicht gut läuft.“
Für Strukturen in der Pandemie sorgen
„Die Corona-Pandemie hat das Leben für die Kinder und Jugendlichen bei uns nicht einfacher gemacht“, sagt Clemens Donner. Der 30-jährige Betreuer der Wohngruppe meint, dass unter normalen Umständen zum Beispiel Schule, Sportvereine und Freizeiteinrichtungen für Strukturen im Tagesablauf des Nachwuchses sorgen. „In den vergangenen Monaten mussten vor allem wir diese Struktur geben“, sagt der Fachmann. So gab es etwa auch in der Wohngruppe Homeschooling. „Das haben wir gut hinbekommen, auch wenn es nicht einfach war, immer auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einzugehen.“
Teilweise wurden Entwicklungen unterbrochen
Hinzu kam, dass die acht Kinder an sieben Schulen unterrichtet werden, die fünf unterschiedliche Lernplattformen nutzen. „So etwas müsste vereinheitlicht werden“, resümiert Clemens Donner. Seine Kollegin, die Familienfachberaterin Carolin Neuber, meint, dass der Schul-Lockdown bei Jugendlichen mit „schulmeidendem Verhalten“ positive Entwicklungen unterbrochen habe. „Da müssen wir jetzt wieder anfangen“, sagt die 33-Jährige. Zu den Gründen, warum sich Jugendliche in die Obhut der Frauen und Männer der ASB Kinder- und Jugendhilfe begeben, gehören unter anderem der Konsum von Alkohol und Drogen oder auch neue Lebenspartner der Eltern. „Keine stabilen häuslichen Verhältnisse“ heißt das dann im Fachjargon.
Sensible Begleitung ist wichtig
Hat Corona nun das Leben von jungen Leuten, die es schwerer haben, noch schwerer gemacht? „Mit Diagnosen halten wir uns sehr zurück, auch die Psychiater und Psychologen, die die Kinder und Jugendlichen begleiten“, betont Carolin Neuber. Da sei Vorsicht geboten, um die Kinder nicht zu stigmatisieren. Ebenso müssen depressive Episoden keine Depression darstellen. Aus der Mitte der Gesellschaft kommen die Kinder der Wohngruppe. Klischees, dass diese Kinder aus verwahrlosten Elternhäusern stammen, greifen nicht. Oft sind die Eltern berufstätig.
Eltern behalten die Verantwortung
„Manchmal stirbt ein Elternteil und ein Kind wird von uns erst einmal aufgefangen, weil alle in der Familie überfordert sind“, berichtet Clemens Donner. „Die Zusammenarbeit mit den Eltern bleibt sehr wichtig“, sagt Carolin Neuber. Sie behalten die Erziehungsverantwortung, sie kommen auch in die Wohngruppe, sitzen mit anderen zusammen am großen Tisch, tauschen Erfahrungen aus. Auch Freunde der Kids kommen vorbei, schlafen mitunter bei den Bewohnern. Wie im normalen Leben, wie in einer Familie. „Es soll ja bei uns möglichst lebensnah zugehen und nicht wie in einer Scheinwelt“, sagt Carolin Neuber. Corona habe aber leider diese wichtige Offenheit derzeit eingeschränkt – aus pandemiehygienischen Gründen.
„Wir wollen unsere Bewohner auf ein gutes Leben vorbereiten – dazu gehört auch eine Kooperation mit der Agentur für Arbeit“, berichtet Clemens Donner. Auch in diesem Fall war Corona nicht hilfreich, weil viele Behördenmitarbeiter im Homeoffice arbeiten mussten. Ebenso konnten psychologische Gutachten aufgrund der Pandemiebedingungen nicht wie gewohnt angefertigt werden. Clemens Donner und Caroline Neuber ärgert das. Corona hat einige Hindernisse aufgestellt. „Nicht mal unsere jährliche Ferienfahrt können wir sicher planen“, bedauert der Betreuer.
Juliane ist indes froh, dass sie zur Wohngruppe gehört. „Die Betreuer sind immer für uns da. Dadurch sind wir auch mit Homeschooling super durch den Lockdown gekommen.“
Hilfe für Kinder, Jugendliche & Familien
Hier gibt es rund um die Uhr telefonische Beratung und Hilfe für Kinder, Jugendliche und Familien, wenn sie das Gefühl haben, nicht mehr weiterzukommen:
Kinderschutz-Hotline für MV
0800 / 14 14 007
Fachkräfte der ASB Kinder- und Jugendhilfe Rostock nehmen die Anrufe entgegen, auf Wunsch können die Anrufer anonym bleiben.
Schüler können sich in ihrer Schule bei Fragen aber ebenso an Schulsozialarbeiter und ihre Vertrauenslehrer wenden. Auch sie wissen, wann und wo es weitere professionelle Unterstützung für Kinder und Jugendliche gibt.
Wie spüre ich, dass ein Kind oder Jugendlicher Probleme hat?
Jeder junge Mensch reagiert etwas anders auf Problemlagen, sagen die Fachleute. Die Anzeichen sind nicht immer einfach zu deuten, wenn der Nachwuchs in Not ist. So reagieren junge Leute unter anderem mit Rückzug: Sie werden leiser und zurückhaltender, wenn sie Hilfe benötigen. Andere werden aggressiv, wütend, laut und suchen Streit, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Manche fallen durch selbstverletzendes Verhalten auf.
Info: www. asb-kjh.de
Von Klaus Amberger